Fotos: Joan Minder

Tim Mälzer, Sie kokettieren damit, der beste italienische Koch ausserhalb Italiens zu sein. Abgesehen davon – wer sind Sie?

Tim Mälzer: Ich stellte mir neulich mal die Frage, was auf meinem Grabstein stehen soll.

Ist das die Antwort?

Mälzer: Nein, aber wie will man solche Fragen mit einem Satz beantworten? Grundsätzlich bin ich ganz froh, dass ich viele bin, dass ich sehr vielseitig bin und dass ich mich bislang nicht dafür entschieden habe, eine Person zu sein. Ich versuche, im Leben ein Guter zu sein. Und was ich sehr mag, ist, wenn jemand sagt: «Du bist einer von uns.»

Wenn ich «Kitchen Impossible» einschalte, habe ich das Gefühl, einem kleinen Jungen zuzuschauen, der anderen Streiche spielt, sich diebisch darüber freut und sich hinterher ein wenig dafür schämt.

Mälzer: Das ist die Quintessenz. Meine grosse Leidenschaft – positiv als auch negativ – ist, dass ich immer ganz gern die Gegenposition einnehme. Dass ich grundsätzlich nicht an eine Sichtweise glaube, sondern dass wir eine Summe unserer Erfahrungen sind und nie unisono gleich auf Sachen gucken können. Und wenn jemand engstirnig unterwegs ist, positioniere ich mich leidenschaftlich gern dagegen, bis es bei dem andern vielleicht auch klick macht. Und wenn ich dann recht bekomme, bin ich auch auf seiner Seite. Aber grundsätzlich positioniere ich mich gern dagegen, weil ich kein Freund von Masse bin.

Andreas Caminada, was sehen Sie bei «Kitchen Impossible»?

Andreas Caminada: Tim ist eine Rampensau. Einer, der immer noch eine Rechnung mit mir offen hat, es jedes Jahr wieder probiert und mich jedes Mal Nein sagen hört. Ich glaube, ich würde verlieren, und deswegen mache ich nicht mit. Nicht etwa, weil ich nicht verlieren will. Aber diesen Stress, dem sich Tim jedes Mal aussetzt, in diese unvorhergesehenen Situationen reinzugehen und einfach völlig im Scheiss zu enden … Ich glaube, mit den vielen Projekten, die ich habe, würde mich das fertig machen.

Mälzer: Also ich denke, du vergibst eine Chance. Weil jeder, der «Kitchen Impossible» als Wettbewerb sieht, hat die Sendung nicht verstanden. Auch das Wort Sendung ist falsch. Denn eigentlich ist es das ganz grosse Vergnügen. Es wäre die Chance, aus deinen Routinen auszubrechen.

Sie haben in Ihrer Karriere einige bemerkenswerte Wendungen gemacht. Wie hat sich Ihr Verhältnis zur gehobenen Gastronomie im Laufe der Jahre entwickelt?

Als ich mit «Kitchen» angefangen habe, war ich ein sehr guter Koch, ein guter Handwerker. Ich war auch eine Schlampe und habe mir in bestimmten Bereichen keine Mühe gegeben. Meine Motivation zu kochen, lag selten im Gericht, sondern beim Gast. Ich habe damals die Entscheidung getroffen, aus der Spitzengastronomie auszusteigen, weil ich den Habitus drumherum, den Geldduktus, die Visitenkarten, die Titel, nicht mochte. Respekt muss man sich bei mir erarbeiten. Ich gebe nicht viel drauf, wenn Leute nett zu mir sind. Da steckt keine Leistung drin. Aber jemand, der meine Mitarbeiter anständig behandelt, der anständig ist zu meiner Frau, zu meiner Familie, zu den Menschen, die vielleicht gar keine Position und keine Bedeutung haben, der verdient meinen Respekt.

Caminada: Tim hat sich in den letzten zehn Jahren extrem verändert. Die Sendung hat ihn geprägt wie auch das Bild der Köche im ganzen deutschsprachigen Raum. Ich finde, Tim ist viel besser geworden, auch kochtechnisch.

Andreas Caminada & Tim Mälzer: das grosse Doppelinterview

Fahrt übers Land im historischen Jeep: Wenn es um gute Küche geht, sind sich die beiden Männer erstaunlich schnell einig.

Andreas Caminada & Tim Mälzer: das grosse Doppelinterview

Tim Mälzer und Andreas Caminada reden über ihre Branche: «Es gibt Trends, die sich überall durchsetzen.»

Tim Mälzer, bedauern Sie es manchmal, dass Sie nicht mehr aus Ihrem Kochtalent gemacht haben?

Mälzer: Nein, ich habe das Beste aus meinem Talent gemacht. Talent ist nicht nur die Fähigkeit, etwas zu machen, sondern auch die Bereitschaft, es zu tun. Ich war immer fleissig und habe hart gearbeitet. Alles, was ich erreicht habe, ist erarbeitet. Mir wurde nichts geschenkt. Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe – ohne grosse Investoren im Rücken.

Caminada: Du hast alles aus deinem Entertainer-Talent herausgeholt.

Mälzer: Ich habe zum Beispiel auch nie das Geld anderer Menschen verbrannt. Wenn, dann habe ich mein eigenes Geld verbrannt. Ich habe noch nie einen Euro Schulden hinterlassen. Darauf bin ich wahnsinnig stolz. Ich erarbeite mir etwas, und verbrenne es dann oder investiere es – nennen wir es mal so. Und dann lerne ich und mache es intelligenter und schlauer.

Was unterscheidet Sie von jemanden wie Andreas Caminada?

Ich bewundere diesen Weg, den Leute wie Andreas gehen, sehr. Ich komme von unten und versuche manchmal krampfhaft, nach oben zu gelangen. Andreas hingegen kommt, kulinarisch gesehen, von oben und kann jetzt entspannt nach unten gehen. Leute wie er eröffnen Beizen und kochen einfacher und entspannter. Denn was sie bestimmt nie verlieren, ist ihren Hang zur Perfektion. Sie können ja gar nicht anders, als geil
zu kochen.

Kann man von unten nach oben kochen?

Mälzer: Hin und wieder habe ich dieses Bedürfnis, noch einmal kochen zu lernen. Ich bin sehr mit meiner Rolle behaftet geblieben, einfach und klar zu kochen. Aber ich glaube schon, dass ich ein herausragendes Verständnis von Kulinarik habe, und dass ich Qualität sehr gut beurteilen kann.

Andreas Caminada, Sie haben einen ausgezeichneten Ruf als Talentförderer. Was ist das Wichtigste, das Sie Ihren Mitarbeitern und Auszubildenden vermitteln?

Caminada: Die Leidenschaft für den Beruf und die Freude am Gastgebersein. Es geht nicht nur um Rezepte, sondern um die Haltung und den Spass an der Arbeit. Das prägt die Menschen, die bei uns tätig sind, und das nehmen sie mit, egal, wohin sie gehen. Die Fähigkeit, im Team zu arbeiten und trotz der harten Arbeit die Leichtigkeit zu bewahren, ist entscheidend.

Mälzer: Ich habe ja spasseshalber immer von Andreas Caminadas Blue Man Group gesprochen. Seine Leute haben alle dieselbe Frisur, dieselben Klamotten, dasselbe Training, dasselbe Körpergewicht. Diese Jungs kannst du untereinander durchwechseln. Inzwischen gibt es aber auch viele grosse Köche aus deiner «Schule», die sich rausbewegen konnten.

Caminada & Mälzer: «Tim ist eine Rampensau»

Zwei Männer im Albula: Andreas Caminada zeigt Stadtkind Tim Mälzer die Naturschönheiten seiner Heimat.

Andreas Caminada & Tim Mälzer: das grosse Doppelinterview

Bei Polenta Bündner Art vom offenen Feuer wird die universell verständliche Sprache der Küche gesprochen.

Andreas Caminada & Tim Mälzer: das grosse Doppelinterview

«Mag nichts in Würfel schneiden» – die mise en place überlässt Mälzer lieber seinem Berufskollegen.

Wie sehen Sie die Veränderungen Ihrer Branche?

Mälzer: Früher war die Gastronomie eine knallharte Branche. Heute achte ich darauf, dass meine Mitarbeiter nicht überlastet werden. Wenn es Krankheitsfälle gibt, mache ich Teile des Restaurants zu, um die Arbeitsbelastung zu verringern. Die Balance zwischen Arbeit und Privatleben ist wichtig, und diese versuche ich in meinen Restaurants zu halten.

Caminada: Wir haben ein Stempelsystem eingeführt, um die Arbeitszeiten besser zu kontrollieren. Es ist wichtig, dass sich die Mitarbeiter nicht überarbeiten. Die Viertagewoche ist eine Option, aber sie muss wirtschaftlich machbar sein. Wir versuchen, ein gutes Klima zu schaffen, damit die Mitarbeiter gern zur Arbeit kommen.

Wie sehen Sie die Zukunft der gehobenen Gastronomie?

Caminada: Trends kommen und gehen, aber am Ende des Tages koche ich so, wie es meiner Persönlichkeit entspricht. Es gibt unzählige Möglichkeiten, ein Gericht zuzubereiten, doch schlussendlich muss es meine Handschrift tragen. Ich lasse mich von Trends inspirieren, aber ich bleibe meiner Linie treu. Das ist wichtig, um authentisch zu sein.

Mälzer: Es gibt Trends, die sich überall durchsetzen. Die gehobene Gastronomie ist da keine Ausnahme. Aber ich finde, dass der «Guide Michelin» oft für eine Verödung der Kreativität sorgt, weil er rustikale Innovationen nicht wirklich wertschätzt. Die innovativen Dinge passieren oft anderswo. Die «50 Best» haben das erkannt und eine breitere Vielfalt zugelassen. Das finde ich gut.

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Food. Art. Lifestyle.

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Andreas Caminada, würden Sie Tim Mälzer einen Job anbieten?

Caminada: Er muss natürlich die Leistung bringen. Wenn du nur eine grosse Klappe hast und nicht lieferst, dann wäre das ein Problem.

Mälzer: Ich wäre ein sehr guter Souschef. Ich kann meine Leistung gut einschätzen. Ich weiss, wo ich eine Vollkatastrophe bin und wo nicht. Was ich nicht so gut im Griff hätte, wäre mein Mundwerk. Wenn du fair bist, halte ich die Fresse. Wenn du eine Pfeife bist, kriegst du von mir verbal Feuer. Das liegt an meinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.

Caminada: Bei mir fängt jeder unten an, als Gardemanger wahrscheinlich oder irgendwo als zweiter Mann, wo er gerade gebraucht wird.

Mälzer: Ich bin nicht eitel. Aber es gibt Arbeiten, die ich einfach nicht mag. Ich würde als Entremetier kochen, aber nicht Entremetier vorbereiten. Ich mag keine Kartoffeln schälen, ich mag nichts in Würfel schneiden. Müsste ich das trotzdem tun, würde ich sagen: «Okay, ich machs. Aber ich stelle jemanden ein, der das für mich erledigt.»


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