Campanella: Arme-Leute-Küche vs. Fine Dining

Erst Regen, dann Sonnenbrillen. All die zufriedenen Gesichter sprechen Bände: Als die sage und schreibe 26 Mercedes-Karossen in die Einfahrt des Swiss Deluxe Hotels Eden Roc in Ascona einbiegen, sieht man in den Autos allerorts nur Lächeln. Sei es hinter dem Steuer, sei es auf den Beifahrersitzen. Und sogar einige Sonnenbrillen hat es, obwohl der Juni an diesem Samstag ziemlich alle Register (Regen, Wind...) gezogen hat, die ihm zur Verfügung standen. Beste Laune also – dabei haben die Gäste von Mercedes-Benz das Beste in diesem Augenblick erst vor sich: ein sechsgängiges Abendessen der S-Klasse bei Starchef Marco Campanella. 

Fisch für eine Woche im Essig mariniert. Das bisherige Programm? Mittags ging es nach einem stärkenden Teller Cavatelli «alla Norma», also mit Auberginen und Tomatensauce, zubereitet vom Küchenchef höchstpersönlich, auf eine Ausfahrt in Richtung Brissago. Dort besuchten die 43 Gäste die Pescheria Palmieri, Fischlieferant des «Eden Roc», wo sogleich mit einem mächtigen Zander aufgetrumpft wird. Aus einem ähnlichen Exemplar hatte Grandes-Tables-Mitglied Campanella die Zwischenverpflegung gezaubert: Die Filets hatte er mehliert, gebraten und zu guter Letzt mit Gemüse eine ganze Woche lang (!) in Essig eingelegt. Zum Fisch gab es nichts mehr als Brot: «Eigentlich ist das ein Arme-Leute-Essen», kommentierte Marco Campanella. «Es ging früher darum, dass man den übrigen Fisch möglichst lange noch aufbewahren wollte.» 

Mit von der Partie: «Sommelier des Jahres 2018». Dass der 18-Punkte-Chef das ganz grosse Fine Dining ebenso beherrscht - dafür steht dann wie angedeutet das Menü im «Eden Roc». Nach einigen bezaubernden Häppchen auf der Terrasse – ganz grossartig: ein Malzwaffel-Körbchen mit Schweine-Pastrami und Eigelb – begrüsst CEO von Mercedes Benz Schweiz, Roland Schell, die Gäste in fliessendem Italienisch. Darauf stellt GaultMillaus «Sommelier des Jahres 2018» Francesco Benvenuto, inzwischen für die Weinhandlung Martel unterwegs, den ersten Tropfen vor: Malanser Pinot Blanc 2022 von Georg Fromm. «Ich kann nicht verstehen, dass diese Traubensorte immer wieder belächelt wird», meint er am Tisch. 

Intensive Aromatik, filigrane Leichtigkeit. Tatsächlich passt der Tropfen perfekt zum ersten Highlight aus der «La Brezza»-Küche: Lostallo-Lachs, mariniert und abgeflämmt, begleitet von einem Kopfsalat-Sud, knackigem Kohlrabi und Pistazien. Wie stilsicher der Starchef bei seinen Kreationen zugleich für intensive Aromen und filigrane Leichtigkeit sorgt (und dabei die verschiedenen Texturen nie vergisst), wird gewissermassen zum wiederkehrenden Thema des Abends: Gut zu sehen beim gut gesalzenen Kaisergranat mit viel Tessiner Tomaten-Umami, Escabeche-Sauce und Basilikumöl. Oder beim Black Cod, belegt mit Lardo und begleitet von einer Beurre Blanc, gebratenem weissen Spargel und einem Hauch Minzöl. Nicht zuletzt bei den hausgemachten Ravioli mit Pecorinofüllung und Nussbutterschaum, die so dünn und prall sind, dass sie im Mund zerplatzen. Viel Arbeit steckt dahinter: Wöchentlich sechs Mannstunden werden im «La Brezza» für diese Pasta investiert. 

Mercedes-Sterne überall. Wer kurz vor dem Hauptgang die Küche betritt, trifft auf einen hochkonzentrierten Marco Campanella. Höchstpersönlich beugt er sich über die Teller und verteilt darauf die Sauce für die 24 Stunden lang gegarten Shortribs. Erst seit Januar ist er Brand Ambassador für Mercedes, es ist sein erster kulinarischer Event für die deutsche Traditionsmarke. Und nicht nur auf seiner Schulter prangt der ikonische Stern, sondern auch auf den Schürzen der Service-Crew, die besagtes wunderbar weiches Rindfleisch nun an den Tisch bringt. Zusammen mit einer rohe Tranche Wagyu sowie einem Salat aus Buchenpilzen und Spitzkohl, der dank Salzzitronen der Kreation viel Frische verleiht. Sich aber nicht beisst mit dem Cabernet Sauvignon von «Heitz» aus dem Napa Valley, den Francesco Benvenuto dazu eingeschenkt hat. Sein augenzwinkerndes Fazit zum Abend: «Arbeiten war schon unangenehmer!» 

Lob für die «Jungs» von Livia. Seit letztem Sommer als einzige Frau im Küchenteam ist Livia Bucheli, die Patissière, die zuletzt ihren grossen Auftritt hat. Gut eingelebt? «Es läuft prima mit den Jungs!», lächelt sie. Und gibt eine Erdbeerglace-Nocke auf einen Ring aus Sambirano-Schokolade, gefüllt mit Joghurtcreme und Zitronenkeks, angegossen mit einer filigranen Zitronen-Erdbeersauce. Nicht nur sie, sondern jeder einzelne im Team von Marco Campanella, bekommt für diesen atemberaubenden Abend verdienten Applaus. Die Gesichter der Gäste? Sie sehen am Ende im «La Brezza» noch ein Stück zufriedener aus als vier Stunden zuvor.