Text: David Schnapp Fotos: Fabienne Bühler
Dieses Modell ist einmalig: In der Küche des Einstein Gourmetrestaurants in St. Gallen stehen zwei absolut gleichberechtigte Chefs, die sich den sprichwörtlichen Brei nicht verderben. Natürlich gibt es erfolgreiche Köche, die starke Küchen- oder Sous-Chefs an ihrer Seite haben. Aber dass zwei Köche auf Augenhöhe miteinander kochen und entscheiden – und das erst noch hocherfolgreich, gibt es kaum ein zweites Mal in der Schweiz.
Start als Aushilfe. Dabei war Moses Ceylan, 39, nur nach St. Gallen gekommen, um bei dem ihm bis dahin unbekannten Sebastian Zier, 42, in der Patisserie auszuhelfen. 2015 hatte Zier die kulinarische Gesamtverantwortung für das Gourmetrestaurant, das Bistro und die Kongress-Gastronomie im «Einstein Hotel» übernommen. Ceylan war Küchenchef bei Juan Amador in Mannheim, als der sein 3-Sterne-19-Punkte-Restaurant schloss und nach Wien weiterzog.
«Warum nicht?» Um sich kennenzulernen, haben die beiden bei Zier zu Hause «Poulet in der Kokotte» zubereitet, erzählt Moses Ceylan. «Köche sind ja sonst Egomanen, aber Sebastian hatte einen guten Ruf und nach dem Abend bei ihm habe ich gedacht: Warum nicht?». Bald hätten sie zueinander gesagt: «Hier können wir etwas gemeinsam aufbauen», ergänzt Sebastian Zier, der zu Beginn nominell der Executive Chef war.
Unterschiedliche Schulen. Heute seien sie beide als «Executives» gleichberechtigt, «in 90 Prozent der Fälle trifft man uns zusammen, wenn wir im Haus unterwegs sind», sagt Zier. Sie stünden jeden Tag 15 Stunden gemeinsam in der Küche und gingen mit Saucen raus zu den Gästen. Meistens wisse der eine schon, was der andere denke, bevor er ein Wort gesagt habe. Die beiden Köche kommen aus höchst unterschiedlichen Schulen. Moses Ceylan sagt über sich, er sei «ein Strassenkind und Sohn von Flüchtlingen». Aber seine Karriere ist eindrücklich: Der gelernte Koch und Metzger hat bei Sven Elverfeld, Joachim Wissler oder eben Juan Amador gearbeitet, drei der innovativsten Starchefs im deutschsprachigen Raum.
Aufsteiger des Jahres 2019. Sebastian Zier ist ein Schüler von Kochlegende Harald Wohlfahrt und bevor er nach St. Gallen kam, war er im «La Mer» auf Sylt unterwegs nach oben: Entdeckung des Jahres im GaultMillau und zwei Sterne im «Michelin». Der Start in der Schweiz sei hart gewesen, das Restaurant zu Beginn oft halb leer geblieben, aber sie hätten ihr Ziel erreicht, das Hotel auf die gastronomische Landkarte der Schweiz zu setzen. Nicht nur das Gourmetrestaurant der beiden Aufsteiger des Jahres 2019 ist mit 18 Punkten und zwei Sternen hervorragend bewertet, auch das Bistro im Haus hat mittlerweile einen ausgezeichneten Ruf. «Mittlerweile kommen viele Gäste aus Zürich und sogar aus der Romandie zu uns», erzählt Zier
Harmonie auf und neben den Tellern. Als das ungewöhnliche Duo 2015 loslegte, wurde auf den Tellern zwar Qualität, aber auch zwei verschiedene Stile sichtbar – die avantgardistische Küche von Moses Ceylan und die eher klassische Richtung Sebastian Ziers. Heute herrscht auf und neben den Tellern eine spürbare Harmonie. Wenn man das Chef-Duo in der Küche beobachtet, wirkt das auf eine natürliche Art synchron, als würden in einer Fussballmannschaft zwei Stürmer blind zusammenspielen. «Moses ist ein kreatives Kraftwerk», sagt Zier über seinen Kollegen: «Ich habe selten jemanden gesehen, der sich so intensiv mit Kochen beschäftigt. Wenn der ein Lebensmittel in die Hand nimmt, passiert mehr damit als wenn 100 andere Leute damit etwas anfangen.»
«Jede Sauce wird aufgefrischt.» Während Zier erzählt, brät er ein Stück bretonischen Wolfsbarsch auf der Hautseite glasig-knusprig und Ceylan widmet sich der Sauce: «Jede Sauce wird vor dem Service nochmals aufgefrischt», erklärt der Deutschtürke aus Bayern, dessen Familie aramäische Christen sind. Zum Auffrischen der Chorizo-Sauce lässt der Koch im an sich fertigen Jus nochmals etwas Chorizo und Gemüse mitköcheln, um den Geschmack zu intensivieren. Über seinen Kollegen sagt er derweil: «Sebastian ist ein fantastischer Motivator, ich habe sehr viel von ihm über Mitarbeiterführung gelernt.»
Emotionale Küche. Das gemeinsame Ziel der beiden: noch besser werden. «Wir können noch etwas draufpacken», sagt Zier bestimmt. Ihre Küche soll emotional sein und nicht nur hübsch aussehen sondern natürlich auch gut schmecken. «Handwerk, Präzision und eine authentische Seele» will Moses Ceylan in den «Einstein»-Gerichten sichtbar machen. Wunsch und Wirklichkeit stimmen schon sehr gut überein. Das aktuelle Menü der beiden Chefs ist abwechslungsreich, geschmackvoll und auf nachvollziehbare Art persönlich.