Text: Kathia Baltisberger | Fotos: Olivia Pulver
Die Schweizer Hoffnung. Das Shooting mit Raùl Garcia ist um 12 Uhr angesetzt. «Bitte nicht früher», sagt der junge Koch. «Am Morgen mag ich noch nicht reden.» Der Wunsch wird respektiert. Raùl ist Souschef bei Patrick Mahler im «Focus» im Park Hotel Vitznau. Letztes Jahr gewann er die Vorausscheidung «Westeuropa» beim Kochwettbewerb S.Pellegrino Young Chef und qualifizierte sich damit für das Finale in Mailand Anfang Oktober. «Im Moment bin ich noch überhaupt nicht nervös. Aber wenn ich dann dort bin, kommt die Nervosität mit Sicherheit», sagt Raùl.
Ab auf den Liegestuhl. Richtig vorstellen kann man sich das nicht. Raùl strahlt eine Ruhe aus, die jedem Sturm gewachsen zu sein scheint. Auch das herannahende Gewitter über dem Vierwaldstättersee irritiert Raùl nicht. «Patrick komm, wir machen noch ein Bild auf dem Liegestuhl.» Der Chef gehorcht und legt sich entspannt hin – etwas, das während der Arbeit sonst unmöglich wäre. Nur kurze Zeit später regnet es in Strömen. Doch da sind die zwei bereits wieder in der Küche.
Effizienz und Perfektion. Diese beiden Eigenschaften einen Mahler und Garcia. «Ich habe mit Raùl jemanden gefunden, der mich zu 100 Prozent versteht. Nach dieser Qualität kann man gar nicht spezifisch suchen», sagt Mahler, der mit 18 GaultMillau-Punkten und zwei Michelin-Sternen ausgeziechnet ist. «Seine Motivation und seine Zielstrebigkeit sind etwas ganz Besonderes. Man vergisst manchmal, dass Raùl erst 21 Jahre alt ist.» Raùl absolvierte die Kochlehre im gutbürgerlichen Anker in Teufen. Bei Andreas Caminada machte er eine Stage auf dem Schloss. Und auch bei Pascal Steffen im Roots hat er bereits gekocht.
Japan-Reise als Inspiration. Und Raùl will noch mehr. Zum Beispiel träumt er davon, einmal bei einem japanischen Sushi-Meister zu lernen. «Diese Präzision fasziniert mich einfach», sagt er und zupft die winzigsten essbaren Blüten für sein Tartelette vom Stil. Erste japanische Luft schnupperte er in diesem Jahr. «Ich war zwei Wochen in Tokyo und Kyoto. Unter anderem war ich im Drei-Sterne-Restaurant Sushi Yoshitake. Es war noch viel besser, als ich es mir vorgestellt habe.»
Das Gericht perfektionieren. Doch der nächste Programmpunkt in Raùls Karriere ist das Finale von S.Pellegrino Young Chef. Das Gericht wird das Gleiche sein wie beim Halbfinale in Brüssel. Zanderfilet mit einer Fischfarce, Muscheln, ein Ceviche und Artischocke. «Ich habe das Gericht noch optimiert und verfeinert. In der Sauce hats jetzt zum Beispiel noch etwas Safran», erklärt Raùl. Das Wichtigste bei dem Gericht ist der Zander. Für das Shooting hat Fischexperte Bianchi ein Prachtsexemplar geliefert. «Der ist perfekt. Er hat genau die richtige Grösse, um damit die zehn geforderten Teller zuzubereiten. Am Ende bleibt nichts übrig.»
Fehlerquellen eliminieren. Nicht umsonst heisst das Gericht Nose to tail vom Zander. Aus den Zanderabschnitten macht Raùl die Farce, aus dem Bauchlappen das Cevice. Damit es in Mailand nicht wieder zu unvorhergesehenen Zwischenfällen kommt – in Brüssel bekam Raùl zu wenig Zander geliefert –, nimmt Raùl diesmal alles selber mit. Vom Fisch bis zu den Kräutern. Er überlässt nichts dem Zufall und will alle möglichen Fehlerquellen ausmerzen. Ein Perfektionist eben.
Mentor ad interim: Guy Ravet. Bis es soweit ist, will Raùl noch etwa zwei bis drei Probeläufe machen. Dabei kann er auch stets auf die Hilfe seines Chefs zurückgreifen. «Patrick ist immer da für mich, wenn ich Fragen habe oder Inputs brauche. Er sitzt auch mal nach der Arbeit noch mit mir hin und bespricht das Gericht.» Für Mahler eine Selbstverständlichkeit. Ebenso selbstverständlich ist, dass er seinem Schützling Zeit für die Vorbereitung einräumt. Nach Mailand kann Mahler aber nicht mitkommen. «Wer steht sonst hier im Focus?» Raùl nahm auch diese Nachricht stoisch auf. Er freut sich trotzdem. «Ich freue mich, die Leute aus der ganzen Welt kennenzulernen, mein Netzwerk auszubauen. Und auch marketingtechnisch ist es super, ich kann das «Focus» in der ganzen Welt pushen.» – «Ich habe ihn im Fall nicht gezwungen, das zu sagen. Aber ja, das ist natürlich sehr cool für unser Restaurant», ergänzt Mahler. Ganz alleine ist Raùl trotzdem nicht. Guy Ravet, der Präsident der Grandes Tables de Suisse, kommt als Mentor mit nach Mailand. Und dass der Wettbewerb bereits vor 12 Uhr startet, ist für Raùl übrigens auch kein Problem. «Ich bin ja ganz alleine in meiner Küche und muss mit niemandem reden, sondern kann mich auf mein Gericht fokussieren.»