Text: Urs Heller I Fotos: Thomas Buchwalder
«Telefon-Auktion» um 05.00 Uhr. Via del Piano 12, Lugano-Castagnola. Keine sehr chice Adresse, klassische Industriezone. Aber was im blau-weissen Lädeli der «Pesceria di Cantaluppi» jeden Morgen auf Eis liegt, hat Klasse. «Wir haben den direkten Draht zu kleinen Fischern. Um fünf Uhr morgens liefern sie uns per WhatsApp Bilder von ihrem Fang. Dann feilschen wir um den Preis und geben unsere Bestellung auf. Eine sympathische kleine Auktion per Telefon», lacht Gianfranco Cadenazzi und ist stolz auf die Auslage in seiner Vitrine: Tuna, Gallinelle, San Pietro, Dentice, Ricciola, Rombo, Pagello, Branzino, Scorfano und noch viel mehr! «Hauptsache, mit der Angel gefangen», sagt der Fischhändler und gelernte Koch. In seinem «Mercato» sind auch Privatkunden willkommen. Jeden Freitag wird ein «pesce del venerdi» angeboten, auf Wunsch gibt es gleich noch das Rezept dazu. Grosses Bild oben: Alessandro Boleso mit einem kleinen Tuna.
«Am liebsten vier Kilo und mehr!» Auch Alessandro Boleso, Küchenchef in der romantischen «Villa Castagnola», kriegt die Bilder vom Fang. «Meine Köche und ich haben eine WhatsApp-Gruppe gebildet, wissen so immer, was zu haben ist. Mit meinem Fischhändler telefoniere ich täglich mehrmals, häufiger als mit meiner Verlobten!» Auf dem «Mercato del Pesce» weiss man, was Beloso mag: «Möglichst grosse Fische, vier Kilo und mehr, damit das «filetto» eine gewisse Höhe hat. Möglichst Fische aus unseren drei Seen: Ceresio, Maggiore und Como.» Von Profi Gianfranco kann man lernen: «Wild gefangene Fische haben schlechte Zähne, weil sie um ihre Beute kämpfen müssen und nicht einfach in einer Zucht gefüttert werden.»
Fritto misto rustico. Das Grandhotel «Villa Castagnola» ist eine elegante Fünfsterne-Adresse. Und trotzdem setzt der Chef in seinem Ristorante «Le Relais» (15 Punkte) nicht nur auf Luxus-Fische und den berühmten Zander aus dem Lago Maggiore auf die Karte. «Wir arbeiten gerade an einem «Fritto misto rustico». Dafür benötigen wir Gamberetti, Trigliette und Nasellini. Beschafft mir mein Fischhändler ebenfalls.» Boleso ist in der «Pescheria di Cantaluppi» ein geschätzter Kunde: «Ich will den besten Fisch, nicht den besten Preis. Il direttore Signor Zorloni will, dass wir in erster Linie auf erste Qualität achten und nicht die Preise unserer Händler drücken.»
Raviolone mit Cotechino und Hummer. Zurück in die grosse Küche der «Villa Castagnola». Motivierte Köche stehen am Herd, in der ersten Reihe Souschef Manuel Viviani (Boleso: «Ihm vertraue ich blind»). Der Chef kennt seine Ragazzi schon länger: «Wir haben schon zusammen in der «Villa d’Este» am Comersee gearbeitet, jetzt sind sie mir nach Lugano gefolgt.» Die mögen ihren Boss. Und sie wissen auch, dass die Lohntüte in der Schweiz deutlich besser gefüllt ist als in Italien. Die Ragazzi müssen ran. Sie sind zuständig für die beiden Restaurants «Le Relais» und «La Rucola», ebenso für die Bankette des Hauses. Auch wird verwertet, was frühmorgens der Fischhändler liefert: Die gewaltiges Raviolone, gefüllt mit deftigem Cotechino (Schweinswurst), kriegt ein luxuriöses «topping»: blauer Hummer aus der Bretagne! Wer lieber Fleisch hat, kommt naürlich auch auf seine Rechnung: Die riesige «Costoletta di vitello alla milanese» ist der heimliche Renner aus der Karte. Chef Boleso cool: «Ich habe sechs Monate bei Gualtiero Marchesi gearbeitet, kenne das Geheimrezept des Maestros.» Einen Puntarelle-Salat mit leichter Bitternote und erstklassige «Alici» (Sardellen) aus Cantabrico gibt’s dazu.
>> Die Villa Castagnola ist ein zauberhaftes Resort (Baujahr 1885!) mit 72 Zimmern und Suiten, Palmenpark, viel Kunst, Privat-Lido am See und drei attraktive Restaurants: «Arté al Lago» 16 Punkte, «Le Relais» 15 Punkte und «La Rucola».