Text: Anita Lehmeier I Fotos: David Birri
FRIBOURG, ASIEN, ANDERMATT, DALLENWIL. Das «Kreuz» in Dallenwil NW ist eine Institution. Das Gasthaus ist seit anno 1570 in Betrieb und in jüngerer Vergangenheit der Hotspot im Engelbergertal für Gourmets von nah und fern. Mit Dietmar Sawyere steht nun seit Mai ein Chef am «Kreuz»-Herd, der die grosse Historie fortschreibt. Zusammen mit seiner Frau Nicole und Sohn Otto im Service. Sawyere war zuvor neun Jahre Executive Chef in den japanischen Restaurants «The Chedi Andermatt», ein Baumeister des kulinarischen Erfolgs und der Leibkoch von Besitzer Samih Sawiris. GaultMillau ernannte ihn 2022 zum «Aufsteiger des Jahres». Sawyere arbeitete lange Jahre in Asien, Australien und Neuseeland, eröffnete 32 Restaurants in acht Ländern, alle hochdekoriert. Mit der Übernahme des «Kreuz» erfüllt er sich nun einen langgehegten Traum: einen Landgasthof. «I always wanted a Landgastof» - im Original. Dem gebürtigen Fribourger geht Englisch heute leichter über von der Zunge als Französisch. «Wir haben uns auch in Zermatt umgesehen, aber da war das Problem der Unterbringung der fünfköpfigen Familie. Wir hätten unten in Täsch oder Randa wohnen müssen. Keine Option!», sagt Sawyere. «Ich erfuhr vom «Kreuz» in Dallenwil, und da wir ja bisher in Beckenried wohnhaft waren, kannte ich die Umgebung schon. Und wir haben uns sofort in das Bijou verliebt.» Seit Mai ist das sonnengegerbte, geschindelte Holzhaus mit den Geranien vor den Fenstern ihr Daheim und ihr Arbeitsplatz.
DAS SCHMUCKSTÜCK & DAS STÜBLI. «Bijou» heisst denn auch der Fine-Dining-Teil im «Kreuz», wo Sawyere seine Leidenschaft für die asiatische Küche weiterhin auslebt, mit einem Mehrgang-Gourmetmenü. Im «Bijou» trifft antikes Nussbaum-Parkett und -täfer auf cooles Design wie die schwebenden Samtsessel von Lusini. Einziger Raumschmuck: ein Kimono aus Kyoto, «ein Geschenk eines befreundeten Kochs». Im «Stübli» mit dem antiken Kachelofen, Schiefertischen und Holzstabellen pflegt der Chef seine Alpenküche, bodenständige, aber elegante Gerichte, bei der 95 Prozent der Produkte lokal sind. Als Kosmopolit zieht er die Grenzen von lokal recht weit - «für mich ist quasi die ganze Schweiz lokal», meint er schmunzelnd. Zentrale Komponenten wie Fleisch und Käse allerdings sind ultra-lokal, wie die Liste seiner Lieferanten zeigt. Die sind in Dallenwil, Grafenort, Ennetbürgen daheim.
DIE DAMHIRSCHE VOM BREITENACHER. In Sichtweite zum «Kreuz» wachsen die Damhirsche von Monika und Ruedi Durrer auf, die Sawyere so schätzt. «Ruedi kam vorbei, kaum waren wir eingezogen, und bot Fleisch an. Die Qualität überzeugte mich, jetzt sind wir Partner.» Die Durrers halten auf dem Breitenacher seit 2010 rund 45 Muttertiere mit ihren Jungen. Der Stier der Herde heisst Chnopf, er sorgt für Nachwuchs. Die hübschen, goldfarbenen Damhirsche leben in grossen Gehegen, wo sie Schatten, Quellwasser, viel Auslauf und Futter finden, extensive Tierhaltung heisst das. Wenn Fremde kommen, ziehen sie sich ans andere Ende des Geheges zurück, Durrers fressen sie aber gern Leckerbissen wie Äpfel oder altes Brot aus der Hand. Mit zwölf bis achtzehn Monaten haben die Jungtiere ihr Schlachtgewicht erreicht.
KLEINSTSCHLACHTEREI AUF DEM HOF. Während der Saison im September bis Oktober nimmt Ruedi Durrer den Gehege-Abschuss vor, wenn die Tiere ruhen. Weil das stressfrei für die Herde und für das erlegte Tier ist, gelangen keine Stresshormone ins Fleisch, es bleibt butterzart. Und durch einen sauberen Kopfschuss entsteht kein Verlust, das ganze Tier kann verwertet werden. Das Schlachten in der hofeigenen Kleinstschlachterei-Anlage macht Ruedi, das Zerlegen übernimmt ein befreundeter Metzger, ein Fleischschauer nimmt vor Ort die Prüfung der Qualität vor. Monika portioniert und vakuumiert nach Kundenwunsch die Teile für den Hof-Verkauf, ein Grossteil geht an Privatkunden. Das «Kreuz» belieferten sie schon früher. Dass nun Starchef Sawyere mit ihnen arbeitet und gleich ganze Tiere kauft, finden sie ein schönes Kompliment, eine Anerkennung ihrer Anstrengungen um Tierwohl und Fleischqualität durch höchste Stelle.
DIE HOCHBEINIGEN SCHWARZEN. Aus dem benachbarten Grafenort bezieht Sawyere ganz exklusive Leckerbissen: Schwarze Alpenschweine, die Carla und Peter Zumbühl hier seit vier Jahren züchten und halten. Alpensäuli sind eine alte, fast ausgestorbene und durch Pro Spezie Rara wieder geförderte Rasse – nicht zu verwechseln mit Alpsäuli, die einen Sommer lang mit Molke aus Alpkäsereien gefüttert werden. Alpenschweine sind aufgrund ihres hochbeinigen Körperbaus, ihrer schwarzen Haut und ihrer Robustheit gut geeignet für steiles Gelände. Die Alp Schwand der Zumbühls bietet den Alpenschweinen einen idealen Tummelplatz, um schön langsam achtzehn Monate heranzuwachsen. Herkömmliche Mastschweine landen nach nur vier Monaten im Schlachthaus. Durch die extensive Haltung der Alpenschweine an Hanglage, die den Tieren viel Bewegung und Fitness im Freien bietet, erhält das Fleisch eine perfekte marmorierte Faserung und den nussigen Geschmack.
Das «weisse Gold»? Brunos Lardo! Aus dem Rückenspeck lassen die Zumbühls in der Fleischmanufaktur Burgrain bei Bruno Lingg den Lardo herstellen, «das weisse Gold». «Bruno ist einer der wenigen Metzger, der perfekten Lardo ohne jegliche Zusatzstoffe hinbekommt», erzählt Carla Zumbühl. Zumbühls bringen die Alpenschweine sowie veredelte, hausgemachte Spezialitäten unter dem Label «Hiäsigs» auf den Markt. Dietmar Sawyere entdeckte den vollregionalen Lardo am Genussmarkt vom «Culinarium Alpinum» in Stans. «Im «Chedi» hatte ich keine Verwendung dafür, im «Kreuz» kommt der Lardo und der Schinken nun zu seiner wohlverdienten Ehre», sagt Sawyere. Auch bei Zumbühls kauft er ganze Tiere ein, verwertet sie von Nose to tail. «Schon vor unserer Eröffnung hatte ich 90 Kilo Alpensäuli im Kühlkeller. Ganz besonders freue ich mich auf die mit Pilzen und Milken gefüllten Schweinsfüsse – eine Heidenarbeit, aber eine Exklusivität für die «Stübli»-Herbstkarte.»
RUND UND WÜRZIG. Auf dem Rückweg von der Alp Schwand zum «Kreuz» legen wir einen Halt ein bei der Käserei Odermatt. Patrick Odermatt hat sich vor einigen Jahren ganz auf die Produktion von Geisskäse spezialisiert – im Verkehrskreisel in Dallenwil wirbt ein Mega-Käselaib unübersehbar für Odermatts Delikatessen. Eine davon: die Dallenwiler Geissä-Chuglä, ein Extrahartkäse im Knoblauch-Zwiebelmantel, die Nidwaldner Antwort auf die Belper Knolle. Sawyere gibt mit Hobelspänen der Chuglä seinem Tatar den Extra-Twist obendrauf. Bei einem Kaffee im «Kreuz» entwickelten der Käser und der Koch zusammen eine Idee: Käse im Kaffeemantel zu aromatisieren. Was mit Heu, Trester oder Pfeffer funktioniert, sollte doch auch mit Kaffee gehen. Jetzt lagern in Odermatts Keller drei Laibe Kafi-Chäs der Genussreife entgegen. Der exquisite «Kreuz»-Kaffee stammt übrigens aus der Rösterei Maria-Rickenbach, dem Klosterdorf ob Dallenwil. Die Menü-Karten fürs «Kreuz» druckt Nachbar Odermatt, eine der weltbesten Druckereien. Künstler von Weltruf wie Damien Hirst und Fischli/Weiss lassen hier ihre Ausstellungskataloge drucken.
HOLZEN-ANGUS-KÜHE AUF 2000 METERN. Der gute Ruf vom Holzenfleisch war natürlich auch zu Sawyere ins «Chedi» gedrungen. «Wir hatten Verträge mit Metzger Ferdi Muheim, darum kommen Stefan Mathis und ich erst jetzt ins Geschäft», erzählt Sawyere. Wie so viele Star-Chefs schwärmt er vom Holzen-Fleisch, speziell von den Angus-Rindern. Wie es zu dieser Premium-Qualität kommt, davon überzeugt er sich mit einem Besuch auf der Alp Laucheren, wo 16 Mutterkühe und ihre Kälber den Sommer verbringen. Hoch oben in Wisiberg geht’s vom letzten befahrbaren (nur mit 4x4!) Feldweglein eine halbe Stunde Fussmarsch obsi. Hier in der Höhe von rund 2000 Metern verbringt eine von Mathis’ Angus-Herden den Sommer. Eine andere sömmert auf der Bannalp. Die gute Luft, die Artenvielfalt des Alpgrases und das Fitness-Training im stotzigen Gelände tragen zur einmaligen Qualität von Holzen-Fleisch bei, ebenso das über Jahre erarbeitete Know-how von Stefan Mathis. «Als wir vor zwanzig Jahren mit Angus und Mutterkuhhaltung anfingen, wurden unsere Tiere auf die hintersten Alpen verbannt. Alle wollten auf den vorderen nur Milchkühe, wir waren Exoten», erinnert sich Mathis. Sein Pioniergeist wurde belohnt, heute reissen sich Starchefs und Gourmets um Holzen-Produkte. Ganz besonders schwärmt Sawyere vom knochengereiften Fleisch. Im Tatar kommt der 1a-Geschmack und der feine Biss des Fleisches perfekt zur Geltung. Sauerklee fürs Topping hat Sawyere erst beim Händler bestellt, «bis ich sah, dass in unserem Garten welcher wächst.» Die Fichtensprossen für die Beurre blanc sammelt der Chef auf seinen Spaziergängen mit dem Familien-Labrador Trüffel. Sein Name sei leider nicht Programm, solche Edelpilze habe er noch keine gefunden.