Text: Anita Lehmeier
Wahlheimat Gstaad. Vor 28 Jahren kam der Elsässer Steve Willié erstmals nach Gstaad. Der Plan des Absolventen der Strassburger Hotelfachschule war, eine Wintersaison lang im «Olden» zu arbeiten. Das war der Anfang einer langen Liebesgeschichte. Heute ist Willié noch immer im Berner Oberländer Nobelort tätig. «Eine Herzenssache», gesteht er. Als Chef des À-la-Carte-Restaurants «La Bagatelle» im Hotel «Le Grand Chalet» leitet er eine hoch ambitionierte, neunköpfige Brigade. Er erarbeitete sich im Laufe der Jahre 16 GaultMillau-Punkte und folglich eine grosse, treue Stammkundschaft. Das rustikal-gemütliche «La Bagatelle» mit dem mächtigen Cheminée als Centerpiece im Winter oder die fantastische Sonnenterrasse in der Traumkulisse sind für die Jetset-Klientel zum bevorzugten Esszimmer in Gstaad geworden. Er selbst bezeichnet seine Küche als traditionell. Er meint damit – naturellement – die klassisch französische, mit all den Delikatessen, die man in der Grande Nation so liebt: Gänseleber. Trüffel. Langustine. Wolfsbarsch. Seezunge. Kaviar. Edle Vögel wie Bresse-Hühner, Enten aus Challans, Tauben aus der Vendée. Lamm kommt aus dem Sisteron, der Rentier-Rücken aus Lappland. Willié kauft auch im Saanenland ein: Ochsenschwanz und Nieren, Kalbsfilet und Hochrippenstücke, ebenso Gemüse oder Milchprodukte.
Generationenwechsel. Seit letztem Sommer ist Willié Mitglied der renommierten Vereinigung «Grandes Tables des Suisse». Präsident Guy Ravet hatte bei Amtsantritt im Sommer 2021 versprochen, eine Brücke über den Röstigraben zu bauen und mehr Deutschschweizer Chefs in den exklusiven Club aufzunehmen. Die Aufnahme des talentierten Wahl-Gstaader an die Grosse Tafel lag also nah. «Ich erfuhr letzten Sommer von dieser Ehre», erzählt Willié. «Ich war zu einem Chef-Treffen auf dem Wasserngrat eingeladen. Ivo Adam, der Vize-Präsident der Grandes Tables, war da und sagte mir, ich solle für Robert Speth nachrücken, der ja seine «Chesery» verkauft und sich zur Ruhe gesetzt hat. Speth fand das auch eine gute Idee. Damit war die Sache für mich entschieden.»
Glück im Unglück. Mit dieser Wintersaison ist Willié sehr zufrieden, es lief «gut, sehr gut sogar». Sie hätten im «Grand Chalet» viel Glück gehabt, es habe keine relevanten, corona-bedingten Ausfälle bei den Mitarbeitern gegeben. «Wir konnten immer mit dem ganzen Team auf vollen Touren arbeiten. Und weil viele andere Betriebe in Gstaad stark reduzieren oder ganz schliessen mussten, kamen deren Gäste zu uns.» Auch bei den Lieferanten gab es kaum Ausfälle. «Nur zwischen Weihnachten und Neujahr waren keine Bresse-Poularden zu haben – nicht wegen Corona, sondern wegen der Vogelgrippe in Frankreich» sagt Willié. Als Ersatz griff er zu «Patte noir» aus Gruyuère, um seiner anspruchsvollen Kundschaft dennoch zartes Geflügel servieren zu können. Auf seinen langjährigen Comestibles-Händler Alfred von Escher aus Zürich sei eben immer Verlass.
Seit Dezember keinen Freitag. «Full house» bedeutet auf der anderen Seite aber gestrichene Freitage für Willié. Wie gut Schnee und Wetter in dieser Saison waren, weiss er nur vom Hörensagen von seinen Gästen. «Ich selbst fahre nicht Ski, schon seit zwanzig Jahren nicht mehr. Ich kann mir keinen Unfall, sprich Ausfall leisten, dafür ist meine Verantwortung im Betrieb zu gross», meint er mit leisem Bedauern in der Stimme. Dafür trifft man Willié im Sommer, wenn es etwas weniger hektisch zugeht in der «Bagatelle»-Küche, hin und wieder auf dem Golfplatz. Mit den befreundeten Chefs aus der Umgebung dreht er in der Zimmerstunde eine Runde über die Fairways. Sein Handicap? «25. Viel weniger gut als ich es mir wünschte». Und wo geht der Chef gern essen? «Mein letzter Restaurant-Besuch liegt leider lange zurück.» Wenn er mal während der Saison einen Abend frei habe, bleibe er gern zu Hause. Dann kocht seine Frau. «Ich darf nicht in die Küche. Meine Frau sagt, ich würde viel zu viele Pfannen und Töpfe brauchen, da dauere der Abwasch doppelt so lange wie das Kochen…»
Die Saison im «Bagatelle» dauert noch bis 26. März, dann gibt’s für Willié mal wieder ein paar Tage frei.
Fotos: Adrian Ehrbar, Rupert Mühlbacher, Pierre Khim-Tit