Text: David Schnapp | Fotos: Christopher Kuhn
Gebrannte Mandeln und Eisbär-Bonbons. Es war ein Kreuzbandriss, der letztlich über die Karriere von Christian Vogel entschied. Mit 15 Jahren verletzte sich der talentierte Alpin-Skifahrer, der im Kader mit der heutigen Olympiasiegerin Michelle Gisin trainierte, schwer und beschloss seine zweite Leidenschaft, das Kochen, zu Beruf zu machen. «Ich habe immer schon gerne gekocht. Meine Eltern hatten eine Käserei und ein Delikatessengeschäft mit 200 Sorten Käse in Goldau, so kam ich früh in Kontakt mit gutem Essen. Mit acht Jahren habe ich mir erstmals gebrannte Mandeln gemacht, weil ich die so mochte. Und fürs Trainingslager habe ich einmal aus Eisbär-Bonbons Glace hergestellt und mitgenommen», erzählt der 31-Jährige Chef des «Birdy’s by Achtien» in Brunnen SZ (15 GaultMillau-Punkte, ein Stern).
Unter Strom. Wer einen Termin mit Christian Vogel hat, trifft auf einen freundlichen jungen Mann mit offenem Blick und freundlicher Ausstrahlung, dem man anmerkt, dass er immer ein wenig unter Strom steht. Das ist in diesem Fall durchaus wörtlich zu nehmen. Schon als Jugendlicher hat Vogel selber Lautsprecher gebaut oder für eine Halloween-Party eine Lichtorgel konstruiert. «Wie Strom funktioniert, hat mich damals sehr interessiert. Ich wollte sehen, was passiert», sagt er. Heute legt er zwar in seinem eigenen Restaurant ab und zu noch als DJ auf, geblieben ist aber vor allem der ausgeprägte Forscherdrang, der Christian Vogel als Koch auszeichnet.
Meister der Manipulation. Irgendwann hat der junge Mann mit den fröhlich himmelwärts zeigenden blonden Haarspitzen festgestellt, dass die Manipulation von Gemüse ein vielversprechender Weg zu einem vergnüglichen Essen ist, wie er es sich vorstellt. Deshalb spricht er gern über die Umwandlung von Zucker unter dem Einfluss von Dampf oder trockener Hitze in einer Rande, die Zellstruktur von Sellerie und andere naturwissenschaftlichen Phänomene, die eher an den Physik- und Chemie-Unterricht erinnern als an die Kochschule. «Texturen haben mich früh fasziniert», sagt Vogel. «Schon ein Blumenkohl bietet so viel mehr Möglichkeiten als etwa ein Entrecôte», findet er und serviert deshalb Fisch und Fleisch in seinem Restaurant als Beilage. Serviert werden zwei Arten von Menüs: Zum einen Gerichte zum Teilen unter dem Titel «Birdy’s Choice», zum anderen gibt es an vier Abenden pro Woche ein Überraschungsmenü an der «Foodbar».
Welt der Texturen. Im zweiten Lehrjahr besorgte sich der neugierige Koch ein Set von «Texturas», den Produkten von Ferran Adrià, welcher mit der so genannten Molekularküche in den 2000er Jahren wegweisende neue Ideen in die Welt der Restaurants gebracht hat. Mit Adriàs magischen Mitteln lassen sich Texturen auf aufregende Arten verändern, um bekannte Aromen in einem neuen Kontext oder Aggregatszustand zu präsentieren. Zu den berühmtesten Anwendungen gehört die «Sphäre» eine Art Bonbon mit fester Aussenhaut und flüssigem Kern. «Bei der Anwendung dieser Mittel habe ich aber auch gemerkt, dass in diesem Fall die Texturen oft auf Kosten des Geschmacks verändert werden», sagt Vogel. Seither beschäftigt sich der Koch mit der Frage, wie sich Gemüse und andere Naturprodukte überraschend, aber geschmacksintensiv darstellen lassen. «Ein Schaum und etwas Knuspriges in einem Gericht, können viel ausmachen», sagt er.
Geschärfter Blick. Denn trotz seines wachen kulinarischen Forscherinstinkts ist Christian Vogel alles andere als ein introvertierter Küchen-Nerd, der sich in seinem Labor am Herd versteckt. «Ich habe als Skifahrer viel Zeit in der Natur verbracht und nehme Wetterumschwünge, die wechselnden Jahreszeiten und vieles andere sehr intensiv wahr», sagt er. Die Ruhe in der Natur gebe ihm gleichzeitig neue Kraft. Wahlweise ist Vogel mal mit dem Wakeboard draussen auf dem See unterwegs, mal fährt er auf Skis unberührte Hänge hinunter oder nutzt Felder und Wälder als organische Vorratskammer für seine Arbeit: «Mein Blick auf die Natur wurde im Laufe der Jahre geschärft. Ich sehe, was wo wächst, und was Saison hat.» Acht Kilogramm Vogelbeeren hat er diesen Sommer in Andermatt gepflückt, und die fünf Kilogramm Holunderbeeren waren gewissermassen vor der eigenen Haustüre zu finden.
Rotkohlblatt im Vogelbeeren-Sud. Dann geht Christian Vogel wieder in seine Küche, vakuumiert ein Rotkohlblatt im Vogelbeeren-Sud, füllt es anschliessend mit Chicorée, Birnen und geräucherter Petersilienwurzelcreme und hobelt zum Schluss geräucherte, getrocknete Marroni fein wie ein Gewürz über das Gericht. «Für mich ist logisch, was zusammenpasst. Aber es geht natürlich auch darum, dies dem Gast zu erklären», sagt er. Das gelinge ihm ziemlich gut. In der Innerschweiz sage man über so eine Küche, «das ist speziell», erzählt Vogel mit einem spitzbübischen Lächeln. Viele Gäste kämen allerdings immer wieder, «das Feedback ist gut», so der «Birdy’s»-Chef. Vor allem aber «kann ich kochen, was ich im Kopf habe, das macht mich happy», sagt der kochende Forscher und Sammler, bevor er zum Dessert unter anderem geräucherte Rande serviert, die er im Baumnuss-Sirup rehydriert hat und unter anderem mit Milchglace und Trinidad-Tortuga-Schokolade von Felchlin kombiniert. Kreativität, sagt er zum Schluss, falle ihm leicht. Oder in Christian Vogels eigener Sprache: «Kreativität knallt bei mir, es braucht nie lange, bis ich genügend Ideen habe.»
>> GaultMillau und American Express scouten junge, begabte Köche, die die Zukunft vor sich haben, für die Liste «Talente 2024». Fortsetzung folgt.