Text: David Schnapp Fotos: Joan Minder, Thomas Buchwalder 

Michèle Meier, herzliche Gratulation zur Köchin des Jahres! Wie geht es Ihnen mit dieser Auszeichnung und den neu 16 Punkten?

Ich habe gemischte Gefühle. Als erstes ist die Freude riesig, die Auszeichnung ist eine wertvolle Bestätigung dafür, dass sich das Herzblut und die Energie, die ich in meine Arbeit gesteckt habe, gelohnt haben. Etwas weniger wohl ist mir bei dem Gedanken an das Rampenlicht, und ich bin nicht gerade eine Person, die gern im Mittelpunkt steht.

 

Ändert der 16. Punkt etwas an ihrer Arbeit?

Ich mache mir eher Gedanken über den Druck, dem ich jetzt ausgesetzt sein könnte. Den gestiegenen Erwartungen begegne ich mit Respekt, gleichzeitig will ich dem treu bleiben, was wir hier machen und unser Qualitätsniveau mindestens halten. Ich glaube, man muss auch einfach cool bleiben und den Moment geniessen können.

Michèle Meier «Köchin des Jahres 2021»

«Köchin des Jahres» aus Luzern: Michèle Meier, Restaurant Lucide im KKL. 

Warum sind Sie überhaupt Köchin geworden?

Ich wusste schon in der siebten Klasse, dass ich gerne Köchin werde möchte. Floristin wäre noch eine Möglichkeit gewesen, aber die Entscheidung fiel mir am Ende leicht.

 

Und woher kommt die Liebe zur Küche?

Essen hatte zu Hause immer einen zentralen Platz. Mit meinen Eltern und meinen beiden Geschwistern haben wir uns mittags und abends am Familientisch getroffen. Unter der Woche hat uns unsere Mutter mit einer sinnvollen Alltagsküche versorgt, manchmal sonntags hat sich dann mein Vater in die Küche gestellt.

 

Mit welchem Ergebnis?

Es konnte sein, dass das Essen dann erst um 15 Uhr auf dem Tisch stand (lacht), aber es war immer mit Sorgfalt und Hingabe gekocht: Kutteln mit Tomaten, eine stundenlang karamellisierte Zwiebelsauce zu Spaghetti oder Kalbszunge an Madeira-Sauce an Weihnachten.

Sie haben Ihre Lehre bei Nik Gygax im berühmten «Löwen» in Thörigen gemacht. Gygax, der dieses Jahr seinem Herzleiden erlag, galt als genialer Koch und schwieriger Mensch. Wie haben Sie ihn erlebt?

Angefangen habe ich meine Lehre 1994 nicht im «Löwen», sondern in einer unspektakulären Beiz. Dort wurde allerdings viel mit Fertig- und Halbfertigprodukten gearbeitet. Das war nicht, was ich mir vorgestellt hatte. Deshalb bewarb ich mich bei Gygax und musste nochmals ganz von vorne anfangen. Plötzlich wurde alles im Haus gemacht, selbst Blätterteig haben wir hergestellt. Die Atmosphäre in einer Küche, wo immer irgendwo ein Jus köchelt, ist einfach ganz anders. Einfach war es sicher nicht. Wir haben zu Nik Gygax aufgeschaut, er war eine Respektsperson, aber auch ein eher launischer Charakter.

 

Haben Sie je daran gedacht, aufzugeben?

Nein, dafür habe ich die Arbeit in der Küche zu sehr geliebt. Bis heute überwiegen für mich die positiven Seiten des Berufs, auch wenn er einem viel abverlangt. Ohne das Verständnis meines Partners beispielsweise, der nicht aus der Gastronomie kommt, ist eine Beziehung fast unmöglich.

 

Warum fordert einem das Kochen eigentlich so?

Vielleicht, weil es nie aufhört. Man kann immer noch etwas machen, noch etwas verfeinern. Aber genau deshalb verleidet es mir auch nicht, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass dieser Moment je kommen wird. Vom Einkauf der Produkte, über die Zubereitung bis zum Anrichten gibt es unendlich viele Möglichkeiten.

 

Was für eine Chefin sind Sie heute selber?

Ich bin freundlich, aber bestimmt. Dass ich deutlich werde, ist möglich, aber sehr selten. Man bekommt bessere Resultate, wenn die Mitarbeiter Freude an der Arbeit haben, davon bin ich überzeugt.

 

Auf was achten Sie bei Ihren Gerichten?

Mir ist geschmackliche Harmonie wichtig, und dass man erkennt, was man auf dem Teller hat. Es geht um das Produkt und nicht darum, was es noch sein könnte. Eine Karotte braucht für mich zum Beispiel keinen asiatischen Geschmack im Hintergrund. Und dann geht es schliesslich um Qualität und Konstanz beim Abschmecken.

 

Köche sprechen oft vom Abschmecken, was bedeutet das genau?

Es geht um den Gesamteindruck der Gerichte, damit sie nicht fad sind, aber auch nicht überwürzt schmecken. Das fängt schon beim Salzen des Wassers an, in dem man Gemüse kocht und betrifft jeden einzelnen Prozess in der Entstehung eines Gerichtes. Deshalb probiere ich alles immer wieder. Abschmecken heisst für mich letztlich, den Punkt zu treffen, an dem ich zufrieden bin.

Sie kombinieren zum Beispiel hausgemachte Ravioli mit einer Füllung aus Geisskäse von Toni Odermatt mit Randen, Haselnüssen und Nussbutter. Fallen Ihnen Ideen für neue Gerichte leicht zu?

Nur wenn ich den Kopf dafür frei habe. Dann sitze ich zuerst am Schreibtisch und notiere mir Ideen. Die lasse ich anschliessend etwas ruhen, bevor ich sie mit meinem Restaurantleiter Christian Gujan bespreche. Er geht selber viel essen und hat oft wertvolle Inputs. Langsam entsteht dann ein Bild vom Gericht im Kopf, das ich dann dem Team erkläre, bevor wir uns an die Umsetzung machen.

 

Können Sie Ihre Küche in einem Satz auf den Punkt bringen?

Ich strebe eine ehrliche Küche an, die mir als Person entspricht. So fühle ich mich wohl mit dem, was ich mache.

 

>> Michèle Meier, 41, ist seit 2019 Küchenchefin im «Lucide» Luzern (16 Punkte). Zuvor war sie unter anderem verantwortlich für den «Blinker» in Cham (14 Punkte). Zu Meiers weiteren wichtigen Stationen gehörten das «Kreuz» in Emmen von Hans-Peter Suter oder der «Löwen» von Nik Gygax in Thörigen, wo sie ihre Lehre abschloss.

 

www.lucide-luzern.ch