Text: Knut Schwander Fotos: Julie de Tribolet
Ein heisser Ofen. Die Tür geht auf. Und Frédy Girardet tritt ein, lachend und mit einem kleinen Ofen aus Gusseisen in den Händen. Dieser Miniaturofen diente Anfang des 20. Jahrhunderts den Vertretern von Küchengeräten als Vorführmodell. Frédy Girardet, der berühmte Chef von Crissier, erhielt ihn einst von seinen Freunden Bocuse, Troisgros und Robuchon - verziert mit einer kleinen Plakette und den Worten «Joyeuse retraite». Dieses Geschenk bringt er jetzt ins Hôtel de Ville in Crissier, weil er findet, dem schönen antiken Objekt gehöre ein besonderer Platz im neuen Museum, das Franck Giovannini soeben im Untergeschoss seines Gourmetlokals eingerichtet hat.
Erinnerungen & Emotionen. Dieses Museum ist noch ganz jung, aber bereits reich an Erinnerungen und Emotionen. «Das ist heute alles Geschichte», sagt Frédy Girardet und blättert in Menüs und alten Fotos, zeigt Teller von einst und erinnert sich an die Anfangsjahre. Ein Porträt seines Vaters, der das Hôtel de Ville vor ihm führte, ein Bild des Brunnens, der seit 1729 vor dem Haus sprudelte, Fotos von berühmten Gästen wie Salvador Dali. Bald wird klar: Dieses Hôtel de Ville verdient wie kaum ein anderes ein Museum. «Kürzlich wollte ich eine bestimmte Karte in unseren Archiven suchen», erzählt Franck Giovannini, der heutige Chef des Hauses, «ich durchwühlte jede Menge Kartons, die nie sortiert worden sind und entdeckte alle diese Schätze.» So beschloss er, einen der Geschichte des Hauses würdigen Ort einzurichten. «Im Soussol fand sich ein freier Raum, und ich sah sofort: Das ist die Gelegenheit!», erzählt Giovannini mit vor Begeisterung glänzenden Augen.
Eine einzigartige Sammlung. Franck Giovannini klopfte auch bei bei früheren Mitarbeitern an, etwa bei Jean-Louis Foucqueteau, der von 1971 bis 1997 als Maître d’hôtel wirkte und ein mit der Region verbundener Sammler ist. Sie brachten ihm Trophäen, Karten, Fotos, Souvenirs und Zeitungsartikel. Und da waren auch noch Objekte aus der Zeit seiner Vorgänger Philippe Rochat und Benoît Violier. «Mit meiner Assistentin Carmen sortierten wir alles aus», erzählt Giovannini. Jetzt sind all die Stücke fein säuberlich in Vitrinen geordnet oder gerahmt: Originalpläne des Hauses, ein Foto des reich beladenen Dessertwagens von einst, die Sitzplatzkarten von Henri Gault und Christian Millau von der Ehrentafel, als sie Frédy Girardet 1975 den Clé d’Or überreichten. Das Girardet-Buch «La Cuisine spontanée» ist mit sechs Übersetzungen vertreten, unter anderem in Japanisch und Holländisch. Das Jagdmesser, viele Trophäen und die Entenpresse von Benoît Violier, eine Speisekarte von 1969 mit der Unterschrift «Alfred Girardet». Man entdeckt, dass ein Menü im Jahr 1974 bereits 85 Franken kostete und man ist begeistert angesichts des Goldenen Fischotters, den Violier höchstpersönlich modellierte, um Franck Giovannini für seinen Erfolg beim Bocuse d’Or zu beglückwünschen. Auch die Kochblusen aller vier berühmten Chefs von Crissier sind da - jede mit Widmung.
Während der Essenszeiten geschlossen. Man könnte Stunden hier verbringen, wenn man alles lesen möchte: Die Zeitungsausschnitte, die Nachrichten der einstigen Chefs und die Glückwünsche, die sie in ihren ersten und ihren letzten Tagen erhielten. «Dieses Museum ist für unsere Gäste gedacht, sie können hier einen Apéritif geniessen oder einen Abend gemütlich ausklingen lassen», erklärt Franck Giovannini. «Aber während des Essens lassen wir sie nicht hinein», fügt er schalkhaft hinzu. Denn er ahnt die Aufregung für sein Serviceteam, wenn die lieben Gäste total fasziniert im Museum verweilen statt rechtzeitig an den Tisch zurückzukehren.