Text: David Schnapp
Franck Giovannini, Ihr Restaurant ist normalerweise immer ausgebucht. Wie sehen Ihre Tage jetzt aus?
Ich bin auch jetzt fünf Tage pro Woche im Restaurant, jeden Freitag machen wir ein Take-away-Menü, das gilt es vorzubereiten. Ausserdem habe ich im Untergeschoss ein kleines Museum eingerichtet mit einem Hochtisch, der für Aperos von kleinen Gruppen genutzt werden kann.
Was ist in dem Museum zu sehen?
Man sieht die Geschichte dieses aussergewöhnlichen Restaurants. Ich durfte in den Kellern von Frédy Girardet und meines leider verstorbenen Freundes Philippe Rochat nach Material suchen und habe zum Beispiel sämtliche Menüs seit 1975 zusammengetragen, viele Weinkarten und Bilder. Die Idee dazu hatte ich schon lange, nun war endlich Zeit, sie umzusetzen.
Sie nutzen also offensichtlich die Zeit, die Sie jetzt unverhofft haben…
Ja, zu Hause rumzusitzen, wäre nicht mein Fall. Ich arbeite auch noch an einem Buch: Wir wollen die Gerichte aus dem Restaurant als Ausgangspunkt nehmen und setzen sie um mit den gleichen Grundprodukten, aber mit vereinfachten Rezepten, die man zu Hause nachkochen kann.
Wie erleben Sie den Shutdown seit Mitte Dezember?
Wir waren über den Zeitraum eines Jahres während sechs Monaten geschlossen, finanziell ist das schwierig. Und zeitweise haben wir uns gefühlt, als wären wir der Spielball der Politik. Ständig kamen neue Anweisungen: erst die Vierertische, dann Schliessung um 19 Uhr, dann kurzfristig komplette Schliessung, das war schon hart.
Haben Sie die Zeit auch genutzt, um sich grundsätzliche Gedanken über Ihre Arbeit und Ihr Restaurant zu machen?
Ich möchte einfach so schnell wie möglich wieder unsere Gerichte in schönem Geschirr servieren. Aber etwas, woran wir stark arbeiten, ist die Herkunft unserer Produkte: Wir kaufen immer häufiger in der Region ein, erstmals in der Geschichte des «Hôtel de Ville» werden auch Süsswasserfische serviert. Aber ganz können und wollen wir nicht auf Meeresprodukte verzichten.
Gibt es etwas, was Sie ändern wollen?
Ich serviere keine Fische mehr aus Neuseeland beispielsweise. Die Bedingung ist, dass unsere Produkte aus der Region oder aus einem Nachbarland stammen.
Haben Sie die Frühlingskarte für den Moment der Wiedereröffnung schon geschrieben?
Ich hatte auch eine Winterkarte geschrieben, die aber bekanntlich nie gebraucht wurde… Den Frühling mag ich sehr, für mich ist das die Jahreszeit der grünen Frische: Spargeln, Erbsen, Morcheln. Auf dem Frühlingsmenü stehen 30 neue Gerichte, eines davon ist zum Beispiel geräucherter Féra aus dem Lac Léman, es gibt grünen Spargel mit einer Balsamicovinaigrette und Foie Gras oder «Erbsli und Rüebli» – das erinnert an die Konservendose, wird aber natürlich auf unsere Art zubereitet (lacht).
Sie führen eines der wenigen Schweizer Restaurants mit einer globalen Ausstrahlung. Was hören Sie von Ihren Gästen?
Wir haben zwar ein internationales Renommee, aber 85 Prozent unserer Gäste stammen aus der Schweiz. Ich bekomme viele Nachrichten, Briefe, Mails: Man hat uns nicht vergessen und viele vermissen uns. Es ist ein grosses Glück, dass wir viele unsere Gäste persönlich kennen. Es gibt nicht viele Restaurants auf unserem Niveau, die ein solches Verhältnis zu ihrer Kundschaft pflegen.
Kann man Kochen eigentlich verlernen, wenn man monatelang keine Praxis hat?
Das macht mir keine Sorgen, die erste Woche oder der erste Monat nach der Wiedereröffnung werden zwar sicher hart, aber wir haben nichts von unseren Fähigkeiten verloren. So schnell verlernt man das Kochen nicht.
Was halten Sie eigentlich vom grossen Take-away-Boom, ist das ein Modell für die Zukunft?
Ich habe ehrlich gesagt genug Plastikgeschirr gesehen. Es war interessant, wir mussten auch erst lernen, wie man das macht. Aber wenn das Restaurant wieder normal geöffnet ist, werden wir dafür keine Zeit mehr haben. Zum Valentinstag vor einigen Wochen haben wir 650 Take-away-Menüs produziert; das war eine ziemlich extreme Erfahrung, aber ich muss sie nicht noch einmal machen.
Wie schätzen Sie die Lage ein – was passiert, wenn die Restaurants wieder aufgehen?
Meine Mitarbeiter, unsere Gäste – alle freuen sich unglaublich auf diesen Moment. Die Erfahrung aus dem letzten Lockdown und alles was ich höre, deutet darauf hin, dass die Leute es kaum erwarten können. Sie sind auch nicht ängstlich, sondern haben einfach genug davon, zu Hause bleiben zu müssen.
>> Restaurant Hôtel de Ville Crissier
Fotos: Thomas Buchwalder, KEYSTONE/Laurent Gillieron, HO