Andreas Caminada, stehen Sie heute noch aus demselben Grund auf wie vor 20 Jahren?
Vor 20 Jahren bin ich fast nicht ins Bett, weil ich noch so viel zu tun hatte. Ich musste noch Pralinen machen, Saucen ansetzen und vieles mehr. Das hat sich schon geändert, weil wir jetzt fast 150 Mitarbeiter haben. Ich stehe aber immer noch meistens und am liebsten in Fürstenau auf, und dann schaue ich, wo es mich braucht: im Garten, in der Küche, in einem Meeting, oder ich gehe einfach mit dem Hund raus.


Internationales TV-Format mit Amazon, Kochbuch für den englischsprachigen Markt, neues «Igniv» in Andermatt – Ihr Jahr war reich an Höhepunkten, oder?
Das war ein sehr intensives Jahr. Es hat damit angefangen, dass ich sieben Wochen lang für die Amazon-Serie «Dinner Club» auf Reisen war. Dann kamen wieder Video-Drehs für den GaultMillau-Channel, die Aufzeichnung von «Masterchef», das Tagesgeschäft oder das Kochbuch, das 2026 erscheint. Auch Andermatt hat uns zweieinhalb Jahre lang beschäftigt. Es kommt schon Einiges zusammen – aus vielen Partnerschaften ergeben sich viele Verpflichtungen. Ich bin aber immer motiviert, wenn ich etwas zusage. Allerdings freue ich mich jetzt auf die Ferien, und ich möchte die Leute davor bewahren, vor Oktober 2025 wieder etwas von mir lesen zu müssen. Mal schauen, ob das klappt (lacht).


Gibt es Momente, in denen Ihnen alles zu viel wird?
Nein, bis jetzt nicht. Aber ich habe in Sarah auch eine super Partnerin. Marcel Skibba als Küchenchef und Geschäftspartner im Schloss und all die anderen Leuten in den Restaurants geben mir eine Sicherheit und ein gutes Gefühl. Dass es einem zu viel wird, passiert wahrscheinlich dann, wenn ein solches Konstrukt auseinanderfällt. Aber die Struktur unserer Firma ist über zwanzig Jahre gewachsen, sie ist stabil. 

Schauenstein, Uccelin

«Ich stelle mich vor»: Caminada bei den Gästen.

Schauenstein, Uccelin

Eines der besten Restaurants der Schweiz: Tisch auf Schloss Schauenstein.

Schauenstein, Uccelin

«Sicherheit und ein gutes Gefühl»: Küchenchef Marcel Skibba.

Sind Sie eigentlich für Ihre Gäste ein Star?
Ich wollte zwar immer Fans und keine Gäste, aber es geht dabei nicht um mich, sondern um die Arbeit. Die Leute sollen Fans sein von dem, was wir machen. Nein, im Ernst: Ich gehe zu jedem Tisch sage, «Grüezi, ich bin Andreas Caminada». Ich würde nie voraussetzen, dass mich alle kennen.


Koch, Firmenchef und Maskottchen Ihres Unternehmens – welche Ihrer Rollen mögen Sie am liebsten?
Es hat alles seine Wichtigkeit, in 21 Jahren hat sich viel entwickelt. Es ging mir immer darum, nicht stehen zu bleiben – das ist eine Grundeinstellung, ein Mindset! Und alle diese Dinge – ein Magazin, Videos, Fernsehen, neue Restaurants – wollte ich ja machen, Vielfalt finde ich spannend. Aber meine wichtigste Arbeit findet in Fürstenau statt, mit Marcel zusammen kreiere ich die Menüs, und ich kümmere mich darum, dass es meinen Leuten gut geht. Das ist etwas vom Wichtigsten überhaupt.


Was fällt Ihnen nicht so leicht?
Jedes Mal, wenn wir eine neue Staffel Rezepte für den Channel drehen, muss ich mich beim ersten Video überwinden. Danach läuft es, dann bin ich wieder drin.

Caminada Karoline Herfurth

«Vielfalt finde ich spannend»: Andreas Caminada unterwegs durch die Schweiz mit Filmstar Karoline Herfurth für die TV-Show «Diner Club» auf Amazon Prime Video.

Wenn Sie für die Kamera mit einer berühmten Schauspielerin wie Karoline Herfurth durch die Schweiz reisen, fühlt sich das selbstverständlich an, oder ist das auch für Sie etwas Besonderes?
Meine Kernkompetenz ist in der Küche beim Zwiebelschälen, alles andere liegt ausserhalb meiner Komfortzone. Das Zwischenmenschliche in solchen Situationen ist für mich kein Problem. Die Schwierigkeit ist eher, dass der Druck steigt, wenn 20 Leute mit Kameras und Licht um mich herum sind, und etwas von mir erwarten.


Sind Sie heute ein anderer als zu Beginn Ihrer Karriere?
Als ich mich mit 26 Jahren mein eigenes Restaurant aufgemacht habe, gab es in der Küche so viel zu tun, dass ich mich dort gut verstecken konnte. In die Rolle des Gastgebers musste ich erst hineinwachsen. Jetzt bin ich 47 Jahre alt und weiss, wer ich bin, was ich will und was nicht. Auch wenn ich ein zurückhaltender Mensch aus den Bergen bin, sage ich «Nein», wenn mir etwas nicht passt.

Schloss Schauenstein

Seit 21 Jahren Caminadas Zentrum: Schloss Schauenstein in Fürstenau GR.

Andreas Caminada - Dinner Club - Kochsendung auf Prime - Schloss Schauenstein Fürstenau - November 2024 - Copyright Olivia Pulver

«Ich weiss, wer ich bin»: Andreas Caminada.

Gibt es etwas, wofür Sie von Ihrer Frau Sarah immer wieder kritisiert werden?
Sie ist gar nicht so kritisch mit mir, wir sprechen uns eher gegenseitig Mut zu. Meine Frau und ich haben gegenseitig viel voneinander abgeschaut. Wir mussten so oft diskutieren und uns auseinandersetzen, dass wir uns mittlerweile gegenseitig lassen können. Das Wichtigste, was ich in dieser Hinsicht gelernt habe, ist, dass man zusammensitzt und plant. In einer Partnerschaft braucht es Diplomatie.


Sie reisen viel, essen auf der ganzen Welt. Was fällt Ihnen auf, wohin geht die kulinarische Reise?
Vor allem in Städten fällt mir auf, wie viel Bewegung in der kulinarischen Welt ist. Restaurants in Thailand sind heute beispielsweise auf einem erstaunlichen Niveau. Auch auf Instagram sieht man krasse Sachen in Bezug auf die Technik, es passiert sehr viel in hoher Geschwindigkeit.


Wie verändert das Reisen Ihre eigenen Restaurants?
Wir wollen immer «on top of it» sein, deshalb erneuern wird die Restaurants regelmässig. Nächstes Jahr machen wir zum Beispiel Anpassungen beim «Igniv» in Zürich, dann ist Bad Ragaz an der Reihe. Gute Leute, gutes Design – darauf achten wir stark, das ist die Basis jedes guten Betriebs. Unser Antrieb muss sein, dass es dem Gast bei uns besser gefällt als irgendwo sonst. Und bei den Gerichten geht es nicht um grosse Sprünge, sondern einfach darum, gut zu kochen. Ich lasse mir die Geschwindigkeit auch nicht von äusseren Entwicklungen vorgeben, wir müssen unser eigenes Tempo gehen. 

Finn und Cla holen sich mit ihren Freunden ein Autogram vom Fack-ju Göhte-Star Karoline Herfurth (Schauspielerin) - Dinner Club - Kochsendung auf Prime - Schloss Schauenstein Fürstenau - November 2024 - Copyright Olivia Pulver

«Wir sprechen uns Mut zu»: Caminada mit Ehefrau Sarah (l.), den Söhnen Finn (schwarze Mütze) und Cla (grüner Pulli) sowie Schauspielerin Karoline Herfurth und Kindern aus dem Dorf bei der Premiere von «Dinner Club».

Welche Idee haben sie noch nicht umgesetzt?
Es gibt viele Ideen, wir müssen ja immer überlegen, was der nächste Schritt ist. Ein Restaurant ist schnell aufgemacht, uns ist es aber im Moment wichtiger, das gut zu pflegen, was wir haben.


Welche Idee haben Sie verworfen, und es hinterher bedauert?
Ich bin seit drei Jahren an etwas dran, aber ich verrate nicht, was es ist. Vielleicht realisieren wir es nie, das wäre auch okay. Dann kann es ein anderer machen.


Und gibt es eine Idee, bei der Sie froh sind, dass Sie sich nicht umgesetzt haben?
In Zermatt haben wir schon drei Betriebe angeschaut und uns dann dagegen entschieden. Ich trauere nichts hinterher, was ich nicht habe.

Andreas Caminada, Schloss Schauenstein, Dom Pérignon, Langoustine in drei Teilen mit Zitrone und Fenchel, 2006

Früher: Langustine in drei Teilen mit Zitrone und Fenchel aus dem Jahr 2006.

Schauenstein, Uccelin, Marcel Skibba, Andreas Caminada, Karotte und Physalis

Heute: Karotte und Physalis aus dem Jahr 2024.

Das Geschmacksprofil Ihrer Gerichte hat sich stark verändert. Es ist heute komplexer, vielschichtiger und vielleicht auch herausfordernder als noch vor zehn Jahren. Einverstanden?
Vielleicht wirkt sich das Reisen hier schon aus. Das eigene Geschmacksempfinden verändert sich, und wir wollen neue Techniken integrieren. Fermentation zum Beispiel ermöglicht es uns, neue Aromenprofile zu kreieren. So gesehen hat der Garten unsere Küche komplett verändert. Grundsätzlich braucht es eine gewisse Spannung im Essen. Man sollte sich nicht zu oft wiederholen, sonst wird es langweilig. 


Auf welches Gericht aus Ihrer Karriere sind sie immer noch stolz?
Kürzlich habe ich in Deutschland gesehen, dass jemand Reh im Speckmantel macht. Das haben wir 2003 erstmals serviert. Auch auf den Kopfsalat-Gazpacho bin ich stolz oder auf die Kombination aus Zwiebel und Physalis. 

Andreas Caminada, Schloss Schauenstein, Dom Pérignon

«Wir haben dieses Jahr schon einige geile Gerichte rausgehauen»: Andreas Caminada in der Küche.

Und welches ist das Gericht aus Ihrer Küche, das 2024 heraussticht?
Wir haben dieses Jahr schon einige geile Gerichte rausgehauen, im Frühling war es Sellerie, Rhabarber und Pfifferlinge oder Rüebli und Physalis zum Beispiel. Marcel Skibba hat eine aufwendige Technik entwickelt, um die perfekte Ente zuzubereiten: Der Vogel wird aufgepumpt, blanchiert, gepökelt, dann getrocknet und im Ofen gebraten. Vor dem Servieren übergiesst man die Ente nochmals mit heissem Fett, damit die Haut schon knusprig wird. 


Welches Ihrer Gerichte mögen Ihre Buben besonders gern?
Die Capuns aus der «Casa Caminada» mögen sie eher weniger, sie bevorzugen die Variation meiner Mutter mit mehr Rahm statt Brühe. Ich freue mich zu sehen, wie offen sie für neue Gerichte sind und wie sich ihre Geschmackswahrnehmung verändert und erweitert. Aktuell ist mein jüngerer Sohn Cla zum Beispiel grosser Fan von Sushi. Ich hätte mich in seinem Alter nicht an rohen Fisch gewagt.

IGNIV Andermatt

Im Dezember 2024 eröffnet: neues «Igniv by Andreas Caminada» in Andermatt Reuss.

Videodreh Swiss Mountain Spring mit Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein, Fürstenau - 06/2023 - Copyright Olivia Pulver

Neue Aromenwelten aus eigenem Anbau: der Garten von Schloss Schauenstein im Sommer.

Worauf freuen Sie sich im nächsten Jahr, was steht an?
Dass ich versuche, Leser vor Interviews mit mir bis zum Oktober 2025 zu bewahren habe ich schon gesagt?


Ja, das ist notiert.
Ausserdem will ich mehr Sport machen. Ich rede mir seit 20 Jahren ein, dass ich sportlich bin, dabei mache ich nicht viel mehr als mit den Jungs Fussball zu spielen. Nächste Woche wird das Laufband geliefert, das ich bestellt habe. Ich bin sehr motiviert, künftig jeden Tag mit 30 Minuten Laufen zu beginnen. Fürstenau ist demnächst für drei Wochen geschlossen. Anfang des Jahres 2025 schauen wir dann, was alles kommt.

Andreas Caminada (47) gehört zu den international bekanntesten Schweizer Köchen. Er war zweimal Koch des Jahres, sein Restaurant Schloss Schauenstein ist mit 19 GaultMillau-Punkten und drei Michelin-Sternen ausgezeichnet und rangiert als einzige Schweizer Adresse unter den «World's 50 best Restaurants». Die Caminada Group betreibt ausserdem «Igniv by Andreas Caminada» in Andermatt, Bad Ragaz, Bangkok und Zürich, mit der Stiftung Uccelin werden Talente aus Küche und Service gefördert. Ab dem 3. Januar 2025 ist Caminada als Gastgeber des TV-Formats «Dinner Club» auf Prime Video zu sehen, 2026 erscheint sein neues Kochbuch im renommierten Verlag Phaidon.

Fotos: Olivia Pulver, Digitale Massarbeit, Joan Minder, HO


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