Die Nummer 1. «Wenn es eine Liste gibt, dann will ich zuoberst sein.» Am Telefon aus Melbourne, wo die Award-Show für die besten Restaurants der Welt stattfand, spricht Humm mit leicht angeschlagener Stimme – er musste viel reden die letzten Tage. «Die Nummer eins zu sein, ist grossartig, keine Frage.» Gleichzeitig hat der 41-Jährige auch gesunden Respekt vor dem, was jetzt kommen wird. Nicht vor den ohnehin schon notorisch vollen Reservationsbüchern. Aber was macht man, wenn man in seiner Disziplin alles erreicht hat? 4 Sterne von der «New York Times», 3 Sterne vom «Guide Michelin», das «World’s best Restaurant» … Solche Ziele zu setzen, sei für ihn selber wichtig, es sei vor allem aber ein wichtiges Motivationsinstrument für das Team. 2010 taucht das «Eleven Madison Park» (EMP) erstmals in der Liste auf, aber Rang 50 ist eine riesige Enttäuschung für Humm und Geschäftspartner Will Guidara. Als ihr Name als Erstes aufgerufen wird, verlassen die beiden sogleich den Saal in London. Sie setzen sich auf eine Treppe bei ihrem Hotel, trinken eine Flasche Wein und sprechen darüber, wie sie es ganz nach oben schaffen können. Daraus entsteht Humms kulinarischer Fokus auf New York: «Statt einer beliebigen internationalen Küche wollen wir eine lokale Küche servieren und den Leuten eine Story erzählen, die persönlich ist.» Der Business-Lunch wird gestrichen: «Wir mussten uns entscheiden, entweder Banker zufriedenzustellen, die vielleicht zwei-, dreimal pro Woche kamen, oder ein internatio-nales Publikum zu begeistern.
Ins Kochen verliebt. Daniel Humm geht mit 14 Jahren von der Schule, entgegen dem Willen seines Vaters beginnt er eine Kochlehre im Kurhotel im Park in Schinznach Bad AG. «Viktor Geiser war mein erster Chef, und er war grossartig», schreibt Humm in seinem neuen Kochbuch «Eleven Madison Park», das im Herbst erscheint und das die Schweizer Illustrierte exklusiv vorab lesen konnte. Und weiter: «Er ist einer der wichtigsten Gründe, warum ich mich Hals über Kopf ins Kochen verliebte. Als ich dort durch die Tür trat, hatte ich keine Ahnung, wie man eine richtige Vinaigrette machte oder was eine Hollandaise ausmacht. Dort lernte ich es.» Wie aber wird aus einem schmalen, hochgeschossenen Jungen, der zwar oft in der Küche seiner Mutter mithilft, aber ansonsten nicht viel vom Kochen weiss, der beste Koch der Welt? Vor einigen Monaten sitzen wir in Humms kleinem, fensterlosem Büro, ein grosses, gerahmtes Foto von Paul Bocuse, unterschrieben vom «Koch des Jahrhunderts», an der Wand. Humm hat ein grosses Plastikgefäss vor sich, in dem man Take-away-Suppen mitnimmt. Den Behälter hat er sich mit Kamillentee füllen lassen, sein Freund Guidara sagt lachend: «Manche Leute tun komische Dinge, wenn sie erfolgreich und berühmt sind.» «Ich bin nicht in New York zur Welt gekommen, aber ich bin ein New Yorker», sagt Humm. Wie viele, die entwurzelt an einem neuen Ort ein neues Leben anfangen, hat er sich mit seiner neuen Heimat intensiv beschäftigt.
Die Magie des Kochens. Humms Karriere ist kein Zufall; er ist eine Art Roger Federer der Kulinarik, seine herausragende Klasse ist das Ergebnis einer perfekten Mischung aus Talent und harter, sehr harter Arbeit. Humm sagt, kochen sei wie eine Sprache: je früher man sie lerne, desto selbstverständlicher beherrsche man sie. Im Januar dieses Jahres habe ich eine Woche mit Daniel Humm und seinem Team in der Küche gearbeitet, als sie zu Gast waren am St. Moritz Gourmet Festival. Ich wollte hinter das Geheimnis seiner Klasse kommen. Natürlich: Ich hatte mehrfach im «EMP» gegessen, hatte Humms Bücher gelesen, manche Rezepte daraus gekocht, wiederholt mit Humm über seine Karriere, seine Gerichte gesprochen. «Aber es gibt eine Magie beim Kochen», sagt der Schweizer, «die lässt sich nicht in einem Buch oder einem Rezept ausdrücken.» Sein Team weiss genau, was tun. Während der Vorbereitungszeit mag die Stimmung noch halbwegs locker sein. Aber wenn die ersten Gäste eintreffen, ist kein Raum mehr für Spässe. Wie ein von unsichtbarer Hand geleitetes Ballett arbeitet die Küchenmannschaft, einem perfekt verzahnten Räderwerk gleich. Das Ziel ist unbedingte Perfektion, und Humm nennt es sogar «unmögliche Perfektion». Dieses Streben danach, das Unmögliche zu erreichen, ist Humms vielleicht stärkster Antrieb, und es ist gleichzeitig seine schwerste Bürde. Und sein Talent ist es, seine Leute dazu zu bringen, diesen Weg mit ihm zu gehen. Humm gibt einen wichtigen Rat, wenn sie durch die Tür seiner Küche treten: «Stell dein Ego zurück!»
60 Köche. Im «Eleven Madison Park» wird nur ein Menü serviert, wobei der Gast einige Wahlmöglichkeiten hat, zwei Hauptgänge oder zwei Desserts zum Beispiel. Das heisst, die rund 60 Köche wissen genau, wie ein Gericht oder ein Element daraus zuzubereiten ist, weil sie es immer und immer wieder tun. Das artet nicht in langweilige Routine aus, sondern führt zu einem exakten, in jedem Detail perfekten Ergebnis. Und es garantiert eine konstante Spitzenqualität, die Grundvoraussetzung für ein Restaurant dieser Qualitätsklasse. Denn Konstanz bedeutet hier, im Herzen von Manhattan, sieben Tage die Woche für 90 Gäste am Abend und von Freitag bis Sonntag zusätzlich für 50 Gäste am Mittag ein Gourmet-Erlebnis auf den Tisch zu zaubern, das unvergesslich bleiben soll.
Knollensellerie & Trüffel. Daniel Humm sieht es so: «Kochen bedeutet Technik, bedeutet Organisation und Präzision. Es braucht jahrelange Übung und engagierte Arbeit. Aber, und wahrscheinlich ist das zentral, Kochen muss etwas Eigenständiges sein, es ist ein persönlicher Ausdruck.» Er sei jetzt, nach über 20 Jahren in diesem Beruf, so weit, dass er sich als Koch gefunden hat. Anfangs sei es ihm nicht gelungen, Dinge wegzulassen: «Da wollte ich zeigen, was ich kann: da noch ein Produkt, da noch eine Technik.» Eines seiner berühmtesten Gerichte besteht heute hingegen gerade noch aus zwei Produkten: Knollensellerie und Trüffel, kontrastierendes Weiss und Schwarz, aber vollendete Harmonie. Schon früh in seinem Berufsleben in der Schweiz ist Daniel Humm als hoch talentiert aufgefallen: Die Lehre schliesst er als Jahrgangsbester ab, arbeitet bei Nik Gygax im «Löwen» in Thörigen, bei Otto Limacher im Grand Hotel Tschuggen in Arosa und seinem wichtigsten Mentor, Gérard Rabaey (zweimal «Koch des Jahres», 3 «Michelin-Sterne»), in Brent und schliesslich im «Gupf» in Rehetobel, wo er erstmals eine Küche leitet. Vom GaultMillau wird er 2002 als «Entdeckung des Jahres» gefeiert. Mit einem Lufthansa-Flug kommt Humm im Jahr 2003 in die USA: zwei Koffer, einige Kochjacken und sein Messerset. Er spricht kaum Englisch, seine wichtigste Anweisung für die ersten Wochen als Küchenchef im Hotel Campton Place im Herzen San Franciscos lautet: «Make it nice.» Der Spruch steht heute auf einer grossen Tafel, für alle jederzeit lesbar, in der Küche des «Eleven Madison Park», und Make it nice ist auch der Name der Firma von Humm und Guidara, mit der sie neben dem «EMP» weitere Restaurants betreiben: das «The NoMad» im gleichnamigen In-Hotel, dem bald weitere Ableger in Los Angeles, Las Vegas und möglicherweise London folgen sollen, oder das «Made nice», eine neue Adresse mit gesundem Fast Food.
«Ich lebe meinen Traum», sagt Daniel Humm. Sein Weg von Schinznach Dorf ins Herz von New York verläuft nicht ohne Brüche und persönlichen Schmerz. Die erste grosse Liebe zu Elayne, mit der er als 17-Jähriger eine Beziehung beginnt, endet, als «die Liebe meines Lebens» einen anderen Mann kennenlernt und nach London zieht. Mehrere Jahre sieht Humm die 1995 geborene gemeinsame Tochter Justine nicht mehr. Auch die Beziehung zur Mutter seiner beiden kleineren Töchter Vivienne und Colette hält nicht. Aber Humm sagt, er sei mit seinen Ex-Frauen und mit seinen Kindern im Reinen. Die neue Frau an seiner Seite ist eine New Yorker Künstlerin und Kuratorin mit Schweizer Wurzeln: Olympia Scarry wuchs teilweise in Gstaad auf und ist die Enkelin des legendären Kinderbuchautors Richard Scarry. Was für Maler Claude Monet die «Seerosen», ist für Koch Humm sein Dessert «Milk and Honey». Es geht auf eine Schweizer Kindheitserinnerung zurück: Mama Brigitte machte ihrem erstgeborenen Sohn jeweils eine Tasse warme Milch mit Honig und einer Prise Salz, bevor er ins Bett ging. Oder da ist die Ente mit Lavendel. Humm hat es Jahre gekostet, herauszufinden, wie man die kapriziöse Ente perfekt zubereitet. Die Vögel werden vom eigenen Metzger im Restaurant trocken gereift und mit einer Gewürzmischung aus getrockneten Lavendelblüten, Honig, Koriandersamen und Szechuan-Pfeffer eingerieben, dann gebacken und je nach Saison und Menü mit verschiedenen Beilagen kombiniert. Diese Ente wurde schon Tausende Male serviert, aber sie ist nun mal die vielleicht beste Ente der Welt. «Wir nehmen das, was wir tun, sehr ernst», sagt Humm, «aber uns selbst nehmen wir nicht zu wichtig.»