Text: David Schnapp
Ein Jahr vegan. Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir hier über das erste vegane (Sommer-)Menü von Daniel Humm im «Eleven Madison Park» (EMP) in New York berichtet. Der 46-jährige Schweizer Koch hatte damals die ersten Schritte in eine für die Fine-Dining-Welt völlig neue Richtung gewagt. Zwölf Monate später sind wir zurück an der 11 Madison Avenue für das erste Frühlingsmenü im Rahmen des neuen pflanzenbasierten Küchengrundsatz und sprechen mit Daniel Humm über die Erfahrungen aus zwölf Monaten mit veganer Spitzenküche.
Jeden Abend ausgebucht. Unverändert ist «Eleven Madison Park» auch nach einem Jahr noch wieder jeden Abend ausgebucht, 100 Gäste essen hier an jedem Tag der Woche. Auch in der Bar, wo man unbedingt die Vegane Trüffel-Tarte versuchen sollte, herrscht lebendiges Treiben. Und zum Schluss jeden Besuchs hier gibt es glücklicherweise immer noch das saisonale Granola; zurzeit wird es jeden Morgen frisch mit Pistazien und getrockneten Kirschen zubereitet und verlängert das EMP-Feeling in den nächsten Morgen hinein.
Selbstbewusst. Nach einem Jahr veganer Spitzenküche, ist eine deutliche Veränderung zu spüren und zu schmecken. War das erste Pflanzen-Menü im EMP noch eine Art Versuch, naht-, aber fleischlos an die Vergangenheit anzuknüpfen, als wolle man mit viel Umami-Power beweisen, dass es kein Fleisch für guten Geschmack mehr braucht, scheint man jetzt den Produkten von der eigenen Farm selbstbewusst zu vertrauen. Gerichte wie der knackige Spargel mit Ysop und einer fein ausbalancierten Senf-Vinaigrette wirken fast schon wie die romantische zarte Seite des Frühlings. Dazu gibt es den Spargel knusprig ausgebacken und als zarter Dumpling (grosses Bild oben). «Wenn man mit Gemüse kocht, muss man dem Produkt viel besser zuhören. Einem Stück Fleisch zwingt man meistens seine eigene Idee auf. Uns sagt die Natur, was wir machen sollen, insofern steckt darin viel mehr Poesie», sagt Daniel Humm.
Feine Zwischentöne. Statt Randen spektakulär als Fleischersatz im Tongefäss zu servieren, gibt es jetzt pochierte, geschälte Erbsen, die mit braunem Reis glasiert sind, und an einer Sauce auf Basis von Kokosnuss, Blüten und Nepotella aus der Minze-Familie serviert werden. Umami wird hier subtil als Trägeraroma eingesetzt, darauf kommt eine florale, ätherische Note und die grüne Frische der süssen Erbsen wunderbar zur Geltung. Gerösteter, leicht geräucherter weisser Spargel auf etwas Miso, dazu grüne Mandeln und einer Art gebratenen Kartoffel-Mais-Kuchen angerichtet, werden für den Hauptgang aus einer Holzkiste gehoben, die vom amerikanischen Künstler Rashid Johnson gestaltet wurde. Auch dieses Gericht hat zwar Kraft, aber gleichzeitig bleibt Raum für die feinen Zwischentöne, für das süssliche und leicht bittere Aroma des Spargels sowie den typischen, leicht herben Mais-Geschmack.
Kein Zurück. Heute zweifelt niemand mehr daran, dass Daniel Humm seinen kulinarischen Weg der Pflanzen konsequent gehen wird. Aber lange waren auch seine eigenen Leute von den radikalej Ideen des Chefs nicht vollständig überzeugt. «Noch kurz vor der Wiedereröffnung kam ein Gruppe von Köchen zu mir ins Büro und wollte alles nochmals in Frage stellen. Das hat mich wirklich wütend gemacht. Es war mir unbegreiflich, wie nach einem Jahr Vorbereitung, Forschung und Entwicklung diese Zweifel noch aufkommen konnten. Es ging lange, bis alle voll dabei waren. Wir haben im Juni 2021 wieder aufgemacht und im November danach kam der Vorschlag, zu Thanksgiving Truthahn zu servieren. Es war unglaublich! Heute ist es klar, aber es hat ein Jahr gedauert, bis alle verstanden haben, dass es kein Zurück mehr gibt», erzählt er über diese lange Phase der Umstellung.
Magische Lebendigkeit. Mittlerweile ist klar, dass der Neustart geglückt ist, das EMP ist nicht nur das zurzeit aufregendste Restaurant in New York mit einer grossen Anziehungskraft für Prominente wie die Hollywood-Stars Angelina Jolie oder Woody Harrelson, der bei unserem letzten Besuch mit seiner Familie am Nebentisch sass. «Tonight Show»-Gastgeber Jimmy Fallon kommt regelmässig, und auf jeden Fall hat das Restaurant mit dem grossen Blumenstrauss in der Mitte und der gezielt ausgesuchten Jazzmusik aus dem Lautsprecher nichts von seiner Magie und seiner ansteckenden Lebendigkeit eingebüsst.
Kleine Schwäche. Ein kleines Sandwich aus Kammillen-Eis mit Fenchelpollen und danach eine Erdbeer-Essenz mit aufgespiesster Erdbeere bilden den Übergang in den süssen Teil. Geschmacklich führen sie die feine Frühlings-Poesie nahtlos fort, konzeptionell ist hier die vielleicht einzige kleine Schwäche des Menüs zu finden: Auch das ästhetisch makellose Hauptdessert aus Kirschblüten-, Rosen- und Erdbeereis sowie einem Erdbeergelee besteht fast ausschliesslich aus kühler Cremigkeit und bietet kaum Abwechslung in den Texturen.
«Verbindung verloren.» Daniel Humm sagt, es sei ihm während den 18 Monate Corona-Schliessung klar geworden, dass er nur mit einem radikalen Kurswechsel weitermachen konnte. «Die Idee von Luxus und Fine Dining, wie wir sie hier für Jahre gepflegt haben, ist vorbei», sagt Humm bestimmt. Seinen Sinneswandel beschreibt er so: «Ich habe lange mit der Mentalität eines Spitzensportlers gekocht und wollte einfach der beste sein. Wir haben zwar jeden Award gewonnen, den es in unserer Branche zu holen gibt, aber ich habe auch die Verbindung zum Kochen verloren. Als ich dann während der Pandemie angefangen habe, für hungernde New Yorker Essen zuzubereiten, habe ich diese Verbindung wieder gespürt.»
Jedes Gericht einzigartig. Vier Grundsätze hat Daniel Humm einmal für seine Küche definiert, auf die jedes Gericht überprüft werden muss: Schmackhaft, kreativ, schön und sinnhaft sollen sie sein. Insgesamt stimmt das vielleicht mehr denn je, denn jedes Gericht dieses Frühlingsmenü ist einzigartig, es gibt kaum Vorbilder, von denen man ableiten könnte, wie das sonst in der gehobenen Küche weit verbreitet passiert. Die Art, wie die Produkte geschmacklich inszeniert werden, ist unvergleichlich. «Ich habe den Eindruck, wir werden immer freier, und natürlich finde ich, dass wir immer besser werden», sagt Humm selbst über den Stand der Dinge im «Eleven Madison Park».
>> Das ausführliche Interview mit Daniel Humm demnächst in der Schweizer Illustrierten und auf dem GaultMillau-Channel.