Text: David Schnapp Fotos: Olivia Pulver
Momente der Unsicherheit. Wenn Daniel Zeindlhofer in der Marktgasse im Zürcher Niederdorf für die Fotografin posiert, merkt man ihm an, dass er kein abgebrühter Medienprofi ist. Und wenn man ihn fragt, ob es Momente der Unsicherheit gebe in seinem neuen Job als Küchenchef im «IGNIV by Andreas Caminada», sagt er mit entwaffnender Ehrlichkeit: «ja, natürlich». Er frage seinen Chef lieber einmal zu viel um Rat, um sicher zu gehen, das Richtige zu tun.
Neu in der Stadt. Der 32-Jährige ist neu in der Stadt und steht als Aushängeschild eines der bekanntesten Köche des Landes unter besonderer Beobachtung. Anspruchsvolle Kunden gehören ebenso zu seinem neuen Alltag wie konkurrierende Kollegen. Dabei will er seinen Chef und Mentor Caminada keinesfalls enttäuschen – und seine Gäste natürlich noch weniger. «Zürich schaut auf uns», sagt Zeindlhofer in vollem Bewusstsein für die Verantwortung, die er hat.
Haltung, Disziplin, Perfektionismus. Überhaupt ist der sympathische junge Mann ein angenehmes Gegenüber, weil er offen, direkt und authentisch wirkt. Zeindlhofer steht zu seinen Schwächen und zu seinen Überzeugungen gleichermassen. In der Schule sei er eher als Klassenclown auffällig geworden und nicht als besonders fleissiger Unterrichtsteilnehmer. Aber in der Küche habe sich das geändert. «Die Küche hat mich erzogen», sagt er heute. Am Herd habe er Haltung, Disziplin, Perfektionismus und den Willen entwickelt, jeden Tag sein Bestes zu geben.
Mit allen Sinnen. Dass man es als Koch mit Fleiss und Einsatz schnell in der Hierarchie nach oben schafft, sieht Daniel Zeindlhofer als grossen Vorzug seines Berufs. Und dass der Job einen auf verschiedenen Ebenen körperlich fordert, mag er sehr: «Es braucht eine gewisse Fitness als Koch, aber man arbeitet auch mit allen Sinnen: hören, sehen, fühlen, schmecken ist Teil der täglichen Arbeit.»
Enttäuschung statt Aggression. Zu seinen Überzeugungen gehört, dass psychologische Terrorregimes, wie sie früher in Küchen üblich gewesen sind, nicht die Methode ist, mit der man sein Team heute zu Höchstleistungen antreibt. «Wenn jemand auch beim dritten Mal nicht das macht, was ich von ihm verlange, werde ich nicht aggressiv, sondern bringe meine Enttäuschung zum Ausdruck. Das hat viel mehr Wirkung», sagt Zeindlhofer.
Dorfer, Caminada. Der gebürtige Österreicher hat seine Lehre in einer 15-Punkte-Küche in Mauthausen an der Donau gemacht, wurde bei Thomas Dorfer im «Landhaus Bacher» – einem der besten Restaurants Österreichs – «geschliffen», wie er sagt und landete schliesslich 2011 bei Andreas Caminada auf «Schloss Schauenstein». Dort lernte er seine heutige Partnerin und Restaurantleiterin Ines Triebenbacher kennen und kochte sich in der Hierarchie nach oben. Schliesslich übertrug Caminada dem Paar die Leitung des Restaurants Vista im Golfclub Sagogn und im Februar 2020 eröffnete es die «Igniv»-Filiale in Zürich.
Chance in Zürich. Es passt zu dem ehrlichen jungen Mann, dass er das Angebot nach Zürich zu gehen nicht sofort annehmen wollte, sondern sich das Restaurant zuerst in Ruhe angeschaut hat. Denn mit 45 Sitzplätzen, Mittagsgeschäft, Barkarte und Zimmerservice bietet das «Igniv» im Erdgeschoss des Marktgasse Hotels Herausforderungen, welche Daniel Zeindlhofers Kollegen in Bad Ragaz und St. Moritz nicht meistern müssen. Gemeinsam entschieden der junge Chef und seine Freundin dann aber schnell, die Chance zu ergreifen.
Freiheit in der Küche. Auch wenn sich ein gewisser «Igniv»-Stil etabliert hat, bekommt jeder von Caminadas Küchenchefs die Freiheit, so zu kochen, wie er es für richtig hält. Daniel Zeindlhofer will es dem Restaurantbesucher einfach machen: «Meine Gerichte sollen unkompliziert sein und nicht zu kopflastig. Wenn einem der Service irgendwelche technischen Feinheiten erklärt, die man kaum schmecken kann, macht das für mich keinen Sinn», sagt der Koch. Aber das Ziel müsse immer sein, dass der Gast mehr bekommt, als er erwartet habe.
Drink im Vogel-Glas. Dieses Gefühl stellt sich schnell ein, wenn auf dem Tisch Zwischengänge wie Spargel mit Pilzessenz und warmer Hollandaise, frittierte Beignets mit Kräuterfüllung und geräuchertes Rindstatar oder ein Salat mit Morcheln, Champignons und Spargeln ausgebreitet werden. Auch die Bar als neues Element in der «Igniv»-Welt bietet mehr, als man es sich vielleicht gewohnt ist. Zum Beispiel den alkoholfreien Signature Drink von Bar-Chef Philipp Kössl im kunstvollen Vogel-Glas: ein Bloody Rosemary, bestehend aus Rosmarinkombucha, Mandarinen-Shrub, Ingwersirup und Randenessenz. Auf Rätoromanisch heisst «Igniv» Nest, ein gläserner Vogel passt da perfekt ins Bild.
Spass am Kochen. Und Daniel Zeindlhofer wirkt wieder aufrichtig ehrlich, wenn er trotz all dieser Belege für hochstehendes Küchen- und Bar-Handwerk erklärt, es gehe ihm bloss um «glückliche Gäste und gute Zahlen». Alles andere, etwa gute Bewertungen und wohlwollende Medienberichte, käme dann von selbst. Vor allem aber will er den Spass am Kochen nicht verlieren. Die Gefahr scheint derzeit klein. «Nach einigen Tagen ohne Arbeit will ich unbedingt in die Küche zurück. Ich habe bei weitem nicht das Gefühl, am Ende meiner Möglichkeiten angekommen zu sein, sondern lerne noch jeden Tag dazu», sagt der talentierte junge Mann, bevor er tatsächlich zurück in die Küche eilt.
>> GaultMillau und American Express scouten Talente, die die Zukunft vor sich haben. Bisher auf der Liste «Talente 2020»: Benjamin Breton und Aagron Lleshi. Fortsetzung folgt.