Text: David Schnapp | Fotos: Lukas Lienhard

Vom Rohbau zum Restaurant. Kurz bevor die Gäste kommen, werden die Weinkühlschränke noch zurechtgerückt, im Keller hat Sebastian Rösch vor kurzem selbst das Wasser aufgenommen, das bei einem missglückten Waschversuch von Küchentüchern ausgelaufen ist, und Restaurantleiter und Geschäftspartner Alexander Schmidt verhandelt an einem Tisch Informatik-Fragen: Die beiden «Executive Wirte», wie sie sich selbst nennen, stehen kurz vor der Eröffnung des «Lindenhofkellers» an historischer Lage in Zürich. Er könnte «ein Buch schreiben», sagt Rösch über die Zeit, in der sich sein neues Restaurant vom Rohbau zu einem schmucken, gemütlichen und doch zeitgemässen Lokal verwandelt hat.

Schlaflose Nächte. Es würde von Tischbeinen handeln, die zu spät bestellt wurden, von falsch verkabelten Glasfaserleitungen, von der Wirtschaftspolizei, die Abluftanlagen so streng beurteilt, als ginge es um Gerätschaften für den medizinischen Notfall oder um nicht lieferbare Menükarten, mit denen sich die beiden Jungunternehmer herumschlagen mussten. Sebastian Rösch hat trotz der harten Monate und der schlaflosen Nächte – «davon gab es einige» – nie aufgegeben, und er hat nie den Mut verloren.

Brotzeit Sebastian Rösch

Bayrische Brotzeit: Bretzn, Hausmacherwürste, Griebenschmalz und andere verfeinerte Klassiker der Wirtshausküche zum Auftakt.

Zürichsee-Schwallen

Hommage an die Mutter: Schwalen aus dem Zürichsee mit Meerrettich-Buttermilchsauce, Dill, Schalotten und Pumpernickel.

Bermudadreieck der Altstadt. Der Lindenhofkeller war zwar früher schon ein Restaurant mit 14 Punkten, für die René K. Hofer verantwortlich war. Zuletzt aber stand es rund zwei Jahre leer, und ob es wieder ein Gastronomiebetrieb werden sollte, war bis vor einigen Monaten nicht sicher. Sebastian Rösch hat die Zürcher Freimaurerloge als Eigentürmer aber von sich und seinen Ideen überzeugen können. Nun ist das Traditionslokal im Verbund mit den beiden Lokalen von Investor Mirko Stierli – «Chez Thomas» in Zürich und «Reussbad» in Luzern – aber ein vielversprechendes Projekt unterhalb des pittoresken Lindenhofs. Im kulinarischen Bermudadreieck der Altstadt befinden sich ausserdem die «Neue Taverne» von Nenad Mlinarevic sowie die beiden Living-Circle-Häuser «Storchen» und «Widder» mit den beiden Top-Chefs Stefan Jäckel und Stefan Heilemann.

Das Team hat auf den Chef gewartet. In bester Gesellschaft ist auch Sebastian Rösch selbst: Einige seiner früheren Mitarbeiter aus dem «Mesa» (zuletzt 17 Punkte) haben gewartet, bis ihr Chef endlich eine neue Wirkstätte gefunden hat, und stehen jetzt mit ihm in der teilweise offenen Küche. «Das war der grösste Vertrauensbeweis und eine wichtige Bestätigung für mich», sagt der sympathische Franke, der auch am neuen Ort kulinarische Bezüge zu seiner seine bayrischen – oder eben: fränkischen – Heimat herstellen will. Das erste Dinner beginnt nach zwei Häppchen mit einer üppigen Brotzeit wie auf dem Hof, auf dem Sebastian Rösch aufgewachsen ist. Brotgang und Vorspeise werden so gewissermassen in einem zusammengefasst, und wie man Bretzn bäckt, hat der Koch während einiger Nächte in seiner alten Heimat gelernt. Das Rezept wurde schliesslich der Bio-Bäckerei Lehmann übergeben, die sie nun in Röschs Auftrag herstellt. Für die verschiedenen Würste verlässt sich der 34-Jährige ebenfalls auf die traditionelle Machart eines vertrauten Metzgers: «Kochen ist für mich immer auch die Zusammenarbeit mit anderen Handwerksmeistern», sagt Rösch.

Sebastian Rösch im Lindenhofkeller, Zürich

Anrichten am Marmor-Tresen: Sebastian Rösch strebt nach Einfachheit.

Sebastian Rösch im Lindenhofkeller, Zürich

Neu interpretiert: Zur Schwale gibt es Dill in Form eines Öls.

Sebastian Rösch im Lindenhofkeller, Zürich

Eigenes Restaurant: Nach fünf Jahren im «Mesa» startet Sebastian Rösch neu.

Schwalen statt Heringe. Eine Hommage an seine Mutter ist hingegen der Heringssalat, den sie immer am Freitag zubereitet habe. Sebastian Rösch interpretiert das Gericht neu mit Schwalen aus dem Zürichsee. Die Fische werden eingelegt, damit sich die vielen Gräten auflösen, und statt mit schwerer Mayonnaise, rohen Zwiebeln, süssen Gurken und Äpfeln mit einer leichten Meerrettich-Buttermilchsauce, Schalotten und Pumpernickel kombiniert. «Ich gebe auch noch Dill dazu, obwohl das zu Hause nie so gemacht würde, aber es passt einfach saugut», sagt Rösch.

Rustikal mit Seele. «Feinbürgerliche Küche», nennt Sebastian Rösch seine Idee, die während der fünf Jahren im «Mesa» gereift ist. Dazu gehören bewährte Gerichte wie seine Spanferkelhaxen: «Dieses Rustikale hat eine Seele», sagt der ebenso begabte wie engagierte Koch, und beweist zum Start in seinem neuen Restaurant, dass er in der Lage ist, die kulinarische Bodenständigkeit der Heimat mit der Eleganz und dem Raffinement der modernen, gehobenen Küche auf überzeugende Art vereinen zu können. Die Haxen werden erst mariniert, dann 24 Stunden sous-vide gegart und schliesslich frittiert. Sie sind innen zart-rosa und aussen knusprig-braun; dazu gibt es eine Dörrbirnencreme, ein Röstzwiebelöl und hausgemachtes «Maggi» – ein Gemüsekonzentrat, das so lange reduziert wird, bis daraus eine schwarze, intensive Essenz geworden ist.

Restaurant Lindenhofkeller, Zürich

Viel Arbeit: bis zur letzten Minute vor der Eröffnung waren die Handwerker im «Lindenhofkeller» beschäftigt.

Autobiografische Küche. Ein vegetarisches Menü gibt es natürlich, aber beim ersten Abend beeindruckt Rösch insbesondere durch seinen Umgang mit traditionellen Fleischgerichten, die er tatsächlich «mit Seele», aber immer auch mit einem Gespür für die feineren Zwischentöne zubereitet: Zur zarten Rinderroulade gibt es einen ausgezeichneten Knochenmark-Jus und als Garnitur mit Salz und Öl angemachte, krause Petersilie: «So hat das meine Grossmutter immer gemacht.» Das traditionelle Nudelgericht mit dem schönen Namen «Bscheisserle» schliesslich ist mit Tafelspitz gefüllt, die klare, fettige Rinderbouillon, die dazu angegossen wird, zeugt von hohen handwerklichen Standards. Fest steht jetzt schon, dass Sebastian Rösch mit seiner authentischen, autobiografischen und fränkisch-bayrischen Küche das kulinarische Angebot Zürichs um einen schillernden Farbton bereichert.

>> www.lindenhofkeller.ch