Text: David Schnapp | Fotos: Peter Lueders, Evan Sung
Sie standen kurz vor dem Konkurs, jetzt erfinden Sie gerade Fine Dining auf Pflanzenbasis neu. Wie würden Sie Ihr Jahr zusammenfassen?
Es war sehr lebendig, so würde ich es ausdrücken. Eine tolle Künstlerin hat einmal gesagt, «das Leben ist entweder ein grosses Abenteuer, oder es ist gar nichts». Wenn die Menge an Abenteuer die Währung für ein glückliches Leben ist, dann habe ich sehr viel davon.
Was macht Sie glücklich?
Dass alles, was wir machen, einen Sinn ergibt. Wir kochen nicht mehr nur für die Reichen, sondern auch für Leute, die zu wenig zu essen haben. Und mit der pflanzenbasierten Küche, die wir im «Eleven Madison Park» entwickeln, ist ja auch eine Botschaft verbunden: Wir müssen unbedingt unser Essverhalten verändern, wenn wir dem Klimawandel begegnen wollen.
Dass Sie keine Angst vor materiellen Verlusten haben, wie Sie einmal gesagt haben: Hat das geholfen bei der radikalen Umstellung, oder war es überhaupt die Voraussetzung?
Es war die Voraussetzung, und ich bin mir heute noch mehr bewusst als zum Zeitpunkt des Konzeptwechsels, dass ich alles hätte verlieren können.
Wie hoch war das Risiko, mit dem veganen Konzept alles zu verlieren?
Es war riesig. Wenn ich gewusst hätte, wie gross es tatsächlich ist, hätte ich den Mut nicht gehabt, den neuen Weg zu gehen.
Wann haben Sie das realisiert?
Die ganzen Ideen sind ja entstanden, als das Restaurant wegen der Covid-Krise geschlossen war. Und als danach die grosse Maschine «Eleven Madison Park» wieder angelaufen ist, und ich realisiert habe, wieviel es braucht, damit sie überhaupt läuft, bin ich schon etwas erschrocken.
Die Reaktionen auf Ihren neuen Weg waren, mild ausgedrückt, sehr unterschiedlich.
Es gab tatsächlich ein breites Spektrum an Feedback – von «genial» bis zu «das Essen schmeckt wie Spülmittel» war alles dabei.
Die «New York Times» schrieb in einer harten Kritik, «das Eleven Madison Park macht seltsame Dinge mit Gemüse». Trifft Sie so etwas?
Ich glaube, das ist positiv. Etwas Besseres hätte uns gar nicht passieren können. Wenn wir nicht radikal wären, gäbe es keinen Widerstand. Dass es Widerstand gibt, zeigt mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Antwort kann nur der Erfolg sein. Wenn in zwei Jahren andere Restaurants diesen Weg gegangen sind, und wir an der Spitze einer Bewegung sind, wird es interessant sein, jene Kritik nochmals zu lesen.
Nochmals zum Thema Verlust: Sie haben das Davies&Brook in London verloren, das Hotel wollte Ihren Weg der pflanzenbasierten Haute Cuisine nicht mitgehen. Schmerzt Sie das?
Klar ist das bitter, aber wir müssen diesen Weg konsequent gehen. Aber auch hier gilt: Dass es Widerstand gibt, ist gut. Das macht die Geschichte interessant.
Wo stehen Sie auf Ihrem Weg?
Wir stehen ganz am Anfang, jetzt startet das dritte Menü, und es wird immer etwas besser, es kristallisiert sich eine neue Handschrift heraus. Für mich ist klar: Ich möchte nichts anderes mehr tun als das, was wir hier in New York machen.
Waren die grössten Herausforderungen einer veganen Spitzenküche eigentlich eher technischer oder menschlicher Art?
Für mich ist es ähnlich, wie ganz zu Beginn, als ich 2006 ins EMP kam, und wir es von einer Brasserie in ein Spitzenrestaurant umwandeln wollten. Niemand hat mich damals gekannt, ich musste die Leute überzeugen, dass diese Wandlung etwas Gutes ist. Und heute muss ich sie davon überzeugen, dass wir nicht mehr das machen, womit wir weltberühmt geworden sind.
Was unterscheidet die Situation damals trotzdem von der heutigen Lage?
Der Unterschied ist, dass jetzt alles bewertet wird. Wir werden mikroskopisch genau beobachtet. Jedes neue Gericht, alles wird sofort beurteilt. Das war am Anfang nicht so. Dann haben wir auch mehr Wissen und ein funktionierendes System, dadurch sind wir heute viel schneller.
Das EMP ist zum Leuchtturm für eine neue Haute Cuisine geworden. War das Teil Ihres Plans, oder ist das ein Nebeneffekt der Umstellung?
Ich bekam ja schon früher für meine Küche sehr positive Kritiken. Aber wenn wir jetzt zurück zur Fleisch-und-Fisch-Küche gegangen wären, bin ehrlich gesagt nicht sicher, ob wir damit noch einen Platz an der Spitze der weltbesten Restaurants verdient hätten.
Könnte man es so sagen: Sie hatten einen unverwechselbaren Stil und einzigartige Gerichte entwickelt, aber auf Basis einer relativ klassischen Küche. Jetzt aber erfinden Sie die Küche wirklich neu?
Ganz genau. Vom kreativen Standpunkt her war es für mich keine Option gewesen, zu dieser perfektionierten klassischen Küche zurückzugehen.
Weil Sie sich selbst kreativ herausfordern wollten, weil Sie sich mit Ihrer eigenen Arbeit nicht langweilen wollten, oder weil Sie wussten, dass Sie nach einem Jahr Schliessung nur mit einem Knall zurückkommen können?
Um den Knall ging es nicht. Als kreative Person schaue ich, woher ich komme, wo ich stehe und wohin ich gehen will. Wie ein guter Musiker möchte ich den Moment spüren, und ihn auf meine Art zum Ausdruck bringen.
Kann das, was Sie in NYC machen eine Blaupause sein für andere Restaurants, oder kann das nur in Manhattan erfolgreich sein?
Ich glaube nicht, dass es New York für den Erfolg dieses Konzepts braucht. Es ist sich gut, dass wir das hier machen, so spricht jetzt die ganze Welt darüber.
Es braucht also keine grosse Stadt, sondern nur den Mut, vegane Spitzenküche zu wagen?
Ja genau, so sehe ich das.
Alain Ducasse, der Grossmeister der französischen Küche, war kürzlich bei Ihnen im Restaurant. Wie fand er das Menü?
Ducasse war echt begeistert und hat sehr viele, sehr freundliche Worte gefunden für das, was wir hier machen. Er findet es genial, dass wir diesen Weg eingeschlagen haben.
In seinem Pop-up-Restaurant ADMO in Paris serviert Ducasse Gemüse, Getreide und nachhaltigen Fisch, aber kein Fleisch. Was ist Ihre Einschätzung: Hat ihm der Mut gefehlt, ganz auf tierisches Eiweiss zu verzichten?
Er hat mir sogar gesagt, dass er den Mut zu einem radikalen Wechsel nicht hatte. Ich kann das auch verstehen, in meinem Fall hätte es schliesslich das Ende meiner Karriere sein können.
Sehen Sie bereits, dass Ihr neuer Stil Kollegen anderswo auf der Welt beeinflusst?
Auf jeden Fall, die Auswirkungen sind sogar massiv: Das Drei-Sterne-Restaurant Geranium in Kopenhagen hat verkündet, dass dort kein Fleisch mehr serviert werden soll, und beruft sich dabei auf uns. Die Met-Gala in New York fand kürzlich mit einem veganen Essen statt. Der Bürgermeister von New York kam auf uns zu, weil die Stadt in Schulen oder Spitälern nur noch pflanzenbasierte Gerichte servieren will.
Haben Sie weiter entfernte Ziele oder denken Sie bloss von Menü zu Menü?
Im Moment denke ich von Menü zu Menü, wir arbeiten aber auch an einem neuen Buch, es wird einen Film über mein Leben geben, und wir wollen eine Stiftung gründen, die sich für Leute einsetzt, die in Amerika leben und zu wenig zu essen haben. Schliesslich kreieren wir das Label «Eleven Madison Home», mit dem wir pflanzenbasiertes Essen nach Hause liefern wollen.
Sie haben alle bisherigen Projekte aufgegeben. Wie sieht Ihr Plan für die nächsten Jahre aus?
Ganz einfach: «Eleven Madison Park».
Wer so lange kocht wie Sie, steht in der Regel nicht mehr jeden Tag in der Küche, vieles hat man irgendwann gesehen. Aber jetzt sind Sie auf eine Art wieder am Anfang. Haben Sie je daran gedacht, diesen Punkt nochmals zu erreichen?
Ich hätte es mir gewünscht, aber nicht gedacht, dass es noch möglich ist. Ich dachte, dieser Zug sei abgefahren. Eigentlich ist es ein Geschenk, dass es sich jetzt nochmals so anfühlt wie zu Beginn meiner Karriere.
>> Die Channel-Serie zum Jahresende: Sieben begabte Chefs ziehen Bilanz. Heute: Daniel Humm, Weltstar in New York («Eleven Madison Park»). Er verblüffte mit seinem neuen Konzept: 100 Prozent vegan.