Text: Kathia Baltisberger Fotos: Olivia Pulver
Teufelskralle. David Krüger sticht mit dem Spaten in die feuchte Erde. Vorsichtig wühlt er mit den Fingern im Dreck. Hier ist nichts. Oder doch? Ein paar Zentimeter unter der Oberfläche schimmert etwas Elfenbeinfarbiges. «Das ist die Ährige Teufelskralle», erklärt Krüger. Die jungen Blätter sind essbar, aber jetzt im Herbst sind die Wurzeln für den 15-Punkte-Chef aus dem Restaurant Opera in Zürich viel interessanter. Auch wenn die Pflanze ihren Namen den Blüten zu verdanken hat, sehen die spitzigen Enden aus wie die Zehennägel des Teufels persönlich. Krüger säubert die Wurzel im Bach und beisst hinein. Die Wurzel ist knackig und frisch, schmeckt ein bisschen wie Kohlrabi und hat eine langanhaltende Schärfe.
Unterirdische Schätze. Der Wald bei Rotkreuz ZG ist für David Krüger wie ein Freiluft-Supermarkt. Mindestens drei Mal pro Woche sammelt er hier, was er für sein Inspirations-Menü braucht. Die Gerichte ändern mit der Jahreszeit, aktuell sind Wurzeln hoch im Kurs. Unter der Erde lauert also ein ganzes Sortiment an Delikatessen. Die Crux an der Sache? «Man muss wissen, wo suchen», sagt Krüger. Denn Pflanzen wie die Teufelskralle oder die Waldzwiebel (Bärlauch) sieht man oberirdisch zu dieser Jahreszeit nicht. «Man muss sie im Frühling suchen und sich merken, wo sie sind.» Dann kann man sie im Herbst ausbuddeln. Während es die Waldzwiebel praktisch überall gibt, ist die Teufelskralle selten. Um sie zu finden, braucht es auch ein Quäntchen Glück. «Das sind für mich die wahren Delikatessen. Trüffel bestellen kann jeder.»
Löwenzahn-Ravioli. Zurück in der Küche fängt die grosse Arbeit erst an. Die Wurzeln müssen verarbeitet werden, zu Gewürzen zum Beispiel. Nelkenwurz riecht frisch aus der Erde vor allem nach Erde. Als Gewürz riecht man dann die Nelken aber raus, obwohl keine Verwandtschaft mit den bekannten Gewürznelken besteht. Krüger macht daraus einen Jus, den er zur Taubenbrust giesst. Dazu gibt es gebackene Eichelkrapfen und gebackene Nachtkerzen. Für den Hauptgang verwendet Krüger die Wurzel des Löwenzahns und zwar für die Füllung der Ravioli (Gnocchi- statt Pastateig!). Den Jus wiederum gewinnt er aus dem Waldlauch oder Waldzwiebel – oder eben besser bekannt als Wurzel des Bärlauchs.
Alte Bücher als Quellen. Das Konzept, das Krüger Agefood nennt, ist mit viel Aufwand und viel Wissen verbunden. Nicht jedes Produkt, das der Wald hergibt, hält auch den geschmacklichen Anforderungen stand. «Es gibt durchaus Pflanzen und Wurzeln, die zu viele Gerb- oder Bitterstoffe enthalten. Die schaffen es dann natürlich nicht ins Menü.» Dann gibt es solche, die roh bitter sind. Durch die richtige Verarbeitung werden sie geniessbar. Wie man aus Eicheln essbares Eichelmehl herstellen kann, lässt sich nicht einfach ergoogeln. «Meine Grossmutter hat schon Kaffee aus Wegwarte gemacht. Viele Tipps und Anleitungen habe ich auch aus alten Büchern.»
Auch der Winter gibt was her. So staut sich das Wissen an, mittlerweile können Krüger und seine Crew auf 200 Produkte aus der Natur zurückgreifen. Das meiste ist bereits für den Winter verarbeitet oder eingemacht. Doch auch in der kalten Jahreszeit lassen sich noch essbare Dinge ernten. Zum Beispiel Bachkresse. Da das Wasser nicht unter null Grad geht, friert er nicht ein. «Solange nicht alles unter einer dicken Schneedecke liegt, findet man immer etwas.»
Grosses Bild oben: Pfefferwurzel, Ährige Teufelskralle, Löwenzahn (v.l.).