Text: Knut Schwander I Fotos: Fred Merz

Talent hat er auch noch. Er kreiert millimetergenau Desserts von bemerkenswerter Schönheit. Dabei ist er selbst beachtliche 1,97 Meter gross. Die Rede ist von Titouan Claudet, der in der Küche des Luxushotels The Woodward in Genf die Süssspeisen für die Restaurants Atelier Joël Robuchon, ausgezeichnet mit 17 Punkten, und Le Jardinier (15 Punkte) zubereitet. Für seine aussergewöhnlichen Desserts wurde der 32-Jährige als «Patissier des Jahres 2025» geehrt, eine Auszeichnung, die der GaultMillau zusammen mit Titelsponsor Felchlin vergibt. Seit drei Jahren beaufsichtigt Claudet eine engagierte Brigade von sechs Fachleuten – und dies mit aussergewöhnlicher Aufmerksamkeit: Kein Tropfen geht daneben, keine zerbrochene Karaffe bleibt unbemerkt. Tatsächlich, dieser talentierte junge Mann, der im französischen Besançon geboren wurde und unter anderem bei Bernard Loiseau, Marc Haeberlin und Anne-Sophie Pic gearbeitet hat, ist ein Perfektionist! Und hat erst noch echtes Talent. Die Gäste an der Bar des Ateliers lieben es, ihm bei der Arbeit zuzusehen, wenn er seine Teller mit Hilfe von selbst entworfenen Schablonen kunstvoll anrichtet.

Koch des Jahres Guide GaultMillau 2025 - 19er Bild -

Titouan Claudet mit Erich Keller von «Felchlin» (r.) an der GaultMillau-Preisverleihung in Ascona.

Titouan Claudet, Chef pâtissier au Woodward Geneva. Genève, 20.08.2024 © Fred Merz | Lundi13

Der «Patissier des Jahres» sagt von sich selbst: «Ich bin ein Perfektionist!»

Wieso nicht kochen? Wenn er seine Desserts zaubert – etwa ein Küchlein aus 100 Prozent Felchlin-Schokolade, verfeinert mit Kardamom und Kakao-Fruchtsaft –, schwingt er den Spritzbeutel mit der Präzision eines Goldschmieds. Für den letzten Schliff zückt er jeweils sein liebstes Arbeitsinstrument: den Spachtel mit Logo von Anne-Sophie Pic, für die er in Lausanne gearbeitet hat. Ein weiteres seiner Lieblingsstücke ist die Casio-Uhr am Handgelenk: «Eine Schande, für jemanden, der in der Schweiz arbeitet, ich weiss – doch ohne sie fühle ich mich nackt.» Er sammelt solche japanischen Zeitmesser seit seiner Jugend, besitzt inzwischen etwa zwanzig Stück davon. Als diese Leidenschaft ihren Lauf nahm, war Claudet noch ein eher introvertierter, zurückhaltender Teenager. Er spielte damals mit dem Gedanken, Anwalt oder Psychologe zu werden – bis ihm klar wurde, dass diese Berufe wohl kaum zu seinem Wesen passen würden. «Wieso nicht kochen?», war sein nächster Gedanke, als er realisierte, dass in seiner Familie der Genuss gross geschrieben wird. Doch, diese Richtung stimmte.

Titouan Claudet, Chef pâtissier au Woodward Geneva. Dessert – Le café. Genève, 20.08.2024 © Fred Merz | Lundi13

Mit seinen Schablonen verleiht Titouan den Desserts den letzten Schliff.

Titouan Claudet, Chef pâtissier au Woodward Geneva. Dessert – Le café. Genève, 20.08.2024 © Fred Merz | Lundi13

Kunstwerk und Dessert zugleich: «Le café» by Titouan Claudet.

Dann kam die Pâtisserie ins Spiel. Seine Eltern rieten ihm, erst mal das Gymnasium abzuschliessen. Danach absolvierte er die Hotelfachschule im französischen Poligny, «wo das Konditorenhandwerk auch keine allzu grosse Rolle spielte». Zwar hat er bis heute keinen Abschluss als Bäcker/Konditor, aber allmählich entdeckte er während dieser Ausbildung seine Passion fürs Zuckerwerk: «Süssspeisen erfordern vorausschauendes Denken und ein Gespür fürs Anrichten von Speisen», findet Titouan Claudet, «und das passt zu mir!» Die französischen Konfiseure Benoît Charlet und später Sebastien Voxon wurden seine Mentoren – bis Covid kam und in Frankreich alle Restaurants schliessen mussten: «Ich langweilte mich gewaltig!» Claudet sah, dass die Schweiz die Pandemie-Massnahmen schneller lockerte als Frankreich und bewarb sich bei Anne-Sophie Pics Restaurant in Lausanne. Er wurde genommen. «Unter Chefkonditor Thibaut Honajzer konnte ich meine verrückte Kreativität und meine Genauigkeit weiterentwickeln.»

Titouan Claudet, Chef pâtissier et Olivier Jean, Chef des cuisines de l'Hôtel The Woodward Geneva. Genève, Août 2024 © Fred Merz | Lundi13

«Fantastische Zusammenarbeit»: Patissier Titouan Claudet mit Küchenchef Olivier Jean (r.).

Dialog mit Starchef Olivier Jean. Dann lernte er Olivier Jean kennen, den heutigen Küchenchef im «Atelier Joël Robuchon» in Genf. Und bewarb sich erneut. «Als Olivier anrief und meinte, ich solle für ihn ein ganzes Team leiten, habe ich dann beinahe kalte Füsse bekommen», erinnert sich Titouan Claudet. Er habe in den Wochen vor der Eröffnung von «The Woodward» wenig geschlafen – doch der Start war schliesslich äusserst erfolgreich. «Olivier wurde zu meinem dritten Mentor, die Zusammenarbeit ist bis heute fantastisch. Er lässt mir viele Freiheiten, wir stehen aber auch in einem äusserst konstruktiven Dialog. Hier im Atelier bin ich erfüllt!»

Titouan Claudet The Woodward Genève Pâtissier de l'année 2025

Soll sich von der Masse abheben: ein Dessert mit Feige, Feigenblättern und Olivenöl.

Der sympathische Insta-Star. Titouan Claudet überzeugt auch die Profis. Erich Keller von Titelsponsor Felchlin: «Titouan beeindruckt durch seine aussergewöhnliche Kreativität und seiner unglaublichen technischen Präzision. Er setzt mit seinen innovativen Dessertkreationen neue Massstäbe. Und er ist ein sympathischer Typ geblieben, auch wenn er längst ein Insta-Star ist.» 161'000 Follower, beeindruckend! 

 

Ein Patissier mit Sportlerfigur. Dass sich der «Zuckerbäcker» in Genf wirklich wohl fühlt, spüren auch die Gäste. Dass sich das «Atelier Robuchon» im neuen GaultMillau Guide 2025 gleich um zwei auf 17 Punkte steigern konnte, hat auch mit den geometrischen, zeitgemässen Desserts zu tun. Wie wäre es mit einer Kreation aus gebratener Feige, Olivenöl und Feigenblättern? «Meine Geschmackskombinationen sollen sich von der Masse abheben», sagt er selbstbewusst. «Bestenfalls wecken sie Erinnerungen, die so intensiv sind, wie bei den berühmten Madeleines von Proust!» Und tatsächlich schafft dies der junge Mann mit den funkelnden Augen und der schlanken Silhouette auch regelmässig. Fragt man ihn, was er in der Freizeit macht, kommt die Antwort ohne ein Zögern: «Ich esse!» Erst mit Nachfragen erfährt man, dass er ausserdem zu jeder Jahreszeit im Genfersee schwimmen geht. Dass er Halbmarathons läuft, wandert und skifährt, regelmässig ins Fitnessstudio geht. Und: «In zehn Jahren werde ich ein eigenes Süssigkeiten-Restaurant führen.» So introvertiert und zurückhaltend wie in seiner Jugend scheint er nicht mehr zu sein.