Text: Urs Heller I Fotos: Marcus Gyger, Gaudenz Danuser
Der Engel heisst Loredana. Wir sind im Paradies, und der Engel heisst Loredana. Die junge Frau, jahrelang gestählt ein paar Höhenmeter tiefer im «Chez Vrony», wirbelt über die Sonnenterrasse, mit strahlendem Lächeln und viel Kompetenz. An ihrer Seite zwei Männer: Ehemann Elia, Sohn des weltberühmten Skistars Pirmin Zurbriggen, und Joel Meier, ein erst 23-jähriger, sehr engagierter Küchenchef. Lori ist mit beiden zufrieden. Joel setzt ein ziemlich freches Konzept geschickt um. Und Elia, bis vor Kurzem selbst noch im Weltcup im Einsatz, schafft den Sprung von der Piste in die Hütte mühelos. Der Umgangston ist herzlich. «Amore!», ruft Elia, wenn ein Problem ansteht, und Loredana schwebt herbei.
Lahmacun statt Rösti. Das «Paradies» in Findeln war mal eine Pistenbeiz, gut geführt von «Ravioli-King» Gaston Zeiter (heute «Zum Zähringer», Bern). Jetzt heisst das Restaurant «@Paradise» und ist kaum wiederzuerkennen. Ein Traum in Türkis und Taupe, mit riesigen Vasen und Lounge, natürlich mit Traumsicht aufs Matterhorn und fröhlichen Servicemitarbeiterinnen in modischen, hellblauen Kjus-Klamotten. Der Name «@Paradise» ist Programm. Hier will man eine neue, jüngere, urbanere Klientel ansprechen. Mastermind dieser Geschichte ist Max Cotting, der in Findeln mit seiner Frau das «Chez Vrony» führt, mit wohl ewigem Erfolg. «‹@Paradise› soll sich von unserem Restaurant unterscheiden, keine Kopie sein. Wir wollen etwas anbieten, das es so in den Bergen rund um Zermatt noch nicht gibt», sagt der Banker im Unruhestand. Lahmacun statt Rösti. Ziemlich mutig.
«E chli adventure.» Chef Joel Meier ist zwar blutjung, aber er ist kein Bastler. Er hat eine klassische Ausbildung hinter sich und im «Castello del Sole» gearbeitet, kann sich also gut gerüstet ans Experiment Fusion Cuisine wagen. Das sieht dann so aus: Pitabrot, Kurkuma-Hummus, Gemüsetempura und eine wunderbare Kokos-Rüebli-Ingwer-Suppe zum Start. Nicht-Vegetarier können diese «Paradise-Tapas» noch pimpen. Mit erstklassigem Pata-Negra-Schinken und einer rassigen Hauswurst. Pasta gibts auch. Feine Bucatini mit Cima di Rapa, Peperoncini und Tomaten. Eine Entdeckung ist das Hackfleisch auf Fladenbrot mit Limettensauerrahm und grünem Tabasco. Rindfleisch-Lahmacun auf 2230 Metern über Meer. «E chli adventure», sagt Loredana lachend. Der Gang des Tages: Spicy Alpen-Egli-Hotspot. Das ist mehr als nur Egli (aus Raron VS), das ist eine veritable Bouillabaisse mit Kabeljau und Lachs in einem perfekten Sud. Im Winter doppelt der Chef nach: Coq au Heida, mit Petersilienwurzelpüree und Rüebli in allen Farben.
Die besten Walliser Winzerinnen. Elia Zurbriggen ist jetzt auch Kellermeister und legt eine coole Karte auf. Gelistet sind vorwiegend Weine, die auf der GaultMillau-Liste der Top 150 aufgeführt sind. Drei herausragende Walliser Winzerinnen spielen die Hauptrolle – Marie-Thérèse Chappaz, Sandrine Caloz und Valentina Andrei. Man trinkt gut im Paradies. Elia ist rund um die Uhr im Einsatz. In Zermatt sind die Wirte eigenartigerweise auch noch für die Piste, die zur Hütte führt, zuständig. «Elia steht oft mitten in der Nacht auf, überprüft Temperaturen und Windrichtungen, verändert die Position der alten Schneekanone», erzählt Lori, «er macht das klaglos und sehr geschickt.» Startkapital: 13 GaultMillau-Punkte.
«Never change a winning horse.» Auch im nahen «Findlerhof bei Franz und Heidi» (14 Punkte) ist die neue Generation am Werk. Franz und Heidi Schwery sind nicht mehr dabei, haben sich nach vielen erfolgreichen Jahren überraschend konsequent verabschiedet. Sohn Francis, für Freunde «Fränkie», hat das Kommando übernommen, schaut in der Küche zum Rechten und kümmert sich an der Front aufmerksam um die Gäste auf der Sonnenterrasse. Der Boss ist neu, nicht aber die Karte: «Never change a winning horse», sagt Fränkie-Boy ganz cool und krempelt möglichst wenig um. Die GaultMillau-Tester rühmen das sehr zarte Vitello tonnato mit hervorragender Thonsauce, das Rindfleischtatar, den marinierten Gelbflossentuna, den Tomatenrisotto mit Burrata und die eindrückliche Weinkarte mit vielen Grossflaschen. Wenn die beiden Kids etwas grösser sind, wird man auch Ehefrau Michelle, Absolventin der Hotelfachschule, vermehrt im «Findlerhof» antreffen. Nachbarin Lori vom «@Paradise» freut sich darauf. «Wir verstehen uns gut. Wir waren zusammen im Schwangerschaftsyoga.»
Hunderte von SMS für die «Gastgeberin des Jahres»! Im «Chez Vrony» kümmern sich Vrony und Max Cotting-Julen aufmerksam um die Gäste, die im geordneten Zwei-Schichten-Betrieb die wunderschöne Terrasse stürmen. Sie haben Grund zum Feiern: Der GaultMillau und Titelsponsor Nespresso zeichneten Vrony als «Gastgeberin des Jahres» aus. Die Reaktionen waren heftig: Hunderte von Glückwunsch-SMS sind in den ersten 48 Stunden nach der Wahl eingegangen! In der Küche kann sich das ewig freundliche Power-Couple auf 14-Punkte-Küchenchef Jochen Hubbuch verlassen, der mit stoischer Ruhe und stressresistent rausschickt, was die Kundschaft mag. Den saftigen und riesigen Vrony-Burger, eingeklemmt in getoastete Westernbrötchen. Walliser Kalbsfilets. Königszander auf Fregola Sarda. Pikante Fischsuppe mit grünem Curry und Koriander. Ofenwarme Früchtekuchen zum Dessert. Die Stammgäste möchten natürlich, dass ihre Vrony noch jahrelang in Findeln wirtet, aber leise und diskret setzt man sich auch in diesem Clan mit der Nachfolgelösung auseinander. Next Generation chez Vrony? Wir tippen mal auf Max Cotting junior, Absolvent der Hotelfachschule Luzern, Extrem-Skifahrer, Marathon-Man, Matterhorn-Besteiger, Liebling aller Frauen und immer zur Stelle, wenn in der Familie eine spannende Aufgabe ansteht. Über «Mäxli» gibt es im Dorf nur eine Meinung: Er ist ein wilder Hund. Und er ist der geborene Gastgeber. Seine Mutter ohnehin.
Über 40 Jahre im GaultMillau. Im Bergrestaurant Zum See ist der Generationenwechsel vollzogen. Oder sagen wir mal: fast vollzogen. Max und Greti Mennig haben im idyllischen Weiler auf 1766 Metern den florierenden Betrieb an Sohn Markus und Schwiegertochter Marion übergeben, sind aber immer noch fast jeden Tag im Haus. Markus, der einen Superjob macht und die Erfolgsgeschichte (über 40 Jahre lang im GaultMillau!) souverän weiterschreibt, nimmt es schmunzelnd zur Kenntnis. Unterstützung kriegen die jungen Mennigs von der portugiesischen Küchenbrigade, die auf kleinstem Raum Grosses leistet. Senhor Adelino, vom Tellerwäscher zum Chef de Cuisine aufgestiegen, ist jetzt der Herr der Töpfe. Patron Max Mennig hat ihm alle Geheimnisse der grossen Bergküche verraten. Pasta (mit Kalbsbolo), Meerestiere (Loup de mer im Salz, ganze Seezungen, täglich angeliefert von Bianchi) und die Innereien (Milke, Leberli, Nierli vom Kalb) sind hervorragend. Die schon fast weltberühmte Cremeschnitte (unbedingt vorbestellen!) ist so gefragt und so gut wie eh und je.
«Ski in – Ski out» am Gornergrat. Seitenwechsel. Mit der Gornergrat-Bahn erreicht man zwei magische, fast immer restlos ausgebuchte «Ski in – Ski out»-Hotels. Das berühmte, kulinarisch – sagen wir mal – wenig experimentierfreudige Fünfsternehotel Riffelalp. Und das gemütliche «Riffelhaus» auf 2548 Metern. Das «kleine Palace in den Bergen», vom Zermatter Dorfpfarrer Josef Ruden 1853 erbaut, ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht; Instagram-Bilder vom magischen Outdoor-Pool mit «Horu»-Blick gehen um die Welt. Am Herd ein Mann, den die Gourmets im Dorf kennen: der Elsässer Alain Kuster, 30 Jahre lang im «Mirabeau» und fast ebenso lang mit 16 Punkten im GaultMillau. Sein Konzept am Berg: mittags Walliser Plättli, Käseschnitten, Fondue, Rösti und ein feines À-la-carte-Angebot, abends ein verblüffender Viergänger für die Hotelgäste. Best of? Pot-au-feu vom Rind mit Wurzelgemüse. Alpenheusüppchen mit Speck. Carpaccio vom Gelbflossentuna. Kalbsfilet, umhüllt von Zermatter Hamme. Schweinebauch, 36 Stunden lang auf dem Feuer. Wer Kuster im Team hat, schafft es auch in den GaultMillau: 14 Punkte.
Lammfilet im Blätterteig. Generationenwechsel geglückt, das gilt auch für das Berghaus Blatten. Die Bergsteigerfamilie Taugwalder wirtet seit 1850 (!) hier. In den vergangenen 40 Jahren waren Leander und Simone Taugwalder die Gastgeber; sie haben sich auf dem Matterhorn kennengelernt. Jetzt ist Tochter Sarah der Boss, zusammen mit ihrem Mann Hans. Die Blatten-Klassiker: Steinpilzsuppe mit einer Blätterteighaube wie bei Paul Bocuse selig, Hirschcarpaccio, Lammfilet, umhüllt von Speck und Blätterteig. Das «Zum See» und das «Blatten» sind vom Dorf aus in einem angenehmen Spaziergang gut zu erreichen.
«Ze Seewjinu», Stafelalp und Gandegghütte. Weitere Empfehlungen im wohl schönsten Skigebiet der Schweiz: Das Bergrestaurant Fluhalp hat Kultstatus, auch wegen der Live-Band auf der Terrasse. In der «Mountain Lodge Ze Seewjinu» (Walliser Dialekt) ist der berühmte frühere Hörnlihütte-Chef Kurt Lauber der Gastgeber. Man kann ihn mieten – als erfahrenen Bergführer. Auf der Stafelalp (gehört zum Hotel Matthiol) freuen sich die Gäste auf Graved Lachs, Luma-Fleisch und den coolen Stafelalp-Burger. Im «Marmotte» gibt es Wild aus eigener Jagd, Eringer Rind und Lamm vom eigenen Bauernhof. Spektakulär ist die Gandegghütte: Sicht auf Breithorn, Lisskam, Dufourspitze und Gletscher, Rösti und Trockenwürste im Teller, Cornulus-Weine im Keller.
>> Lesen Sie im Januar den zweiten Teil des grossen GaultMillau-Reports: Die besten Adressen und die Neuentdeckungen im Dorf.