Text: David Schnapp
Avantgarde und Tradition. Einem radikalen Avantgardisten und einem traditionsbewussten Vertreter der grossen Klassik verleiht der heute erscheinende GaultMillau Deutschland zwei seiner wichtigsten Auszeichnungen: Dylan Watson-Brawn («ernst» in Berlin) ist Koch des Jahres 2022, Hermann Bareiss (Hotel und Restaurant Bareiss, Baiersbronn) Gastgeber des Jahres.
Seltene Individualität. Im fünften Jahr seines Bestehens hat das «ernst» nach Ansicht der Redaktion des GaultMillau in Deutschland zu einer handwerklichen wie konzeptionellen Reife gefunden, zu einer konsequent durchdachten Individualität, wie sie nicht nur hierzulande höchst selten sei: «Im Zentrum stehen Mikrosaisonalität, japanische Techniken und Geschmacksbilder, kompromisslose Sorgfalt bei der Produktqualität, eine reduzierte Ästhetik und konstante Dynamik. Dylan Watson-Brawns Küche ist von aquarellartiger Zartheit und zugleich grosser Substanz, von wegweisender Eigenständigkeit und technischer Souveränität. Sie besitzt, was in der Spitzenküche nach wie vor eine Rarität ist: eine klare, unverwechselbare Vision», heisst es über den gebürtigen Kanadier (Jahrgang 1993), in dessen Restaurant acht Gäste an einer Theke Platz finden.
Erstmals Produzent des Jahres. Zum Gastronomen des Jahres 2022 ernennt der GaultMillau Hermann Bareiss, dessen 1982 – also vor genau vierzig Jahren – eröffnetes Restaurant «Bareiss» mit Küchenchef Claus-Peter Lumpp im Baiersbronner Mitteltal ein Ort «zur Feier der grossen klassischen Gastronomie auf kontinuierlich höchstem Niveau» sei, wie nur wenige andere. Weiter Auszeichnungen erhalten unter anderem Viktor Gerhardinger («Tian», München), als Aufsteiger des Jahres, Adrian Kuhlemann («Kuhlemann», Neustadt/Waldnaab) als Entdeckung des Jahres, Larissa Metz (Favorite Restaurant, Mainz) als Pâtissière des Jahres und Rohmilchkäse-Affineur Thomas Breckle («Jamei Laibspeis») aus Kempten im Allgäu, mit der erstmals ein Produzent des Jahres geehrt wird.
Kleine Revolution. Mit der heutigen Erscheinung des Guide, der erstmals im Verlag Henris Edition erscheint, verkündet die Redaktion aber gleichzeitig eine kleine Revolution, die vermutlich in der gastronomischen Bundesrepublik viel zu reden geben wird: «Wir sind der Ansicht, dass sich Schulnoten zur Beurteilung von Fragen der Kultur – und dazu gehört die Gastronomie ja zweifellos – nicht wirklich eignen, dass die wissenschaftliche Messbarkeit, die Eindeutigkeit, die sie signalisieren, in vielerlei Hinsicht problematisch ist», heisst es aus der Redaktion, die von Christoph Wirtz geleitet wird.
«Toques» statt Punkte.» Statt mit Punkten bewertet, werden die Restaurants jetzt mit «Toques» unterteilt, wobei fünf Kochmützen die höchste Auszeichnung darstellen und besonders gute Adressen mit roten Mützen gekennzeichnet sind. Zu den besten Restaurants Deutschlands gehören demnach: «Vendôme» in Bergisch Gladbach, «Victor’s FINE DINING by christian bau» in Perl und das Waldhotel Sonnora in Dreis. Bemerkenswert: Der Guide Michelin hatte «Vendôme»-Chef Joachim Wissler dieses Jahr nach 16 Jahren auf zwei Sterne abgestuft.
Neue Top-Adressen. Fünf weisse Mützen erhalten «Aqua»in Wolfsburg, Restaurant Haerlin in Hamburg, die «Schwarzwaldstube» in Baiersbronn, Tim Raue in Berlin und das «Schanz» in Piesport, wobei «Haerlin» und «Schanz» erstmals in die Gruppe der besten Adressen Deutschlands aufsteigen, während bekannte Köche wie Kevin Fehling («The Table», vier rote Hauben) und Christian Jürgens («Überfahrt», Rottach-Egern, vier weisse Hauben) im neuen Bewertungsschema abgestuft werden. «Den Unterschied zwischen Hauben und Noten hat in Deutschland nie jemand richtig verstanden, während in der Schweiz dieses System lange gelernt ist», sagt Chefredaktor Christoph Wirtz über das neue Bewertungsschema. «Dieses System mit zehn Stufen schafft weichere Übergänge ohne pseudowissenschaftliche Noten», fügt er an. Urs Heller, GaultMillau-Chef in der Schweiz: «In Deutschland wechseln Verlag, Redaktion und Bewertungssystem etwas gar häufig. Uns ist Kontinuität wichtig. Wir halten an unserem Punktesystem fest.»
1000 Adressen. Im neuen GaultMillau für Deutschland, der heute erscheint, sind insgesamt 1000 Empfehlungen verzeichnet. Darunter befinden sich 100 Neuaufnahmen und auch der Online-Auftritt wurde überarbeitet.
>> Fotos: Maidje Meergans (grosses Bild), HO