Text: David Schnapp I Fotos: Joan Minder
Weibliche Berge. Gleich zu Beginn klären wir eine wichtige Frage zu den Mythen: Sie werden «Mithen» ausgesprochen, erklären die anwesenden Einheimischen. Die etwa in Zürich oder Bern gern verwendete Aussprache «Müthen» sei nicht korrekt. Ausserdem sind die beiden Bergspitzen weiblich – die kleine und die grosse Mythe. Abgesehen von dieser sprachlichen befinden wir uns aber vor allem auf einer kulinarischen Exkursion ins malerische Gebiet der ikonischen Berggipfel. Zur kleinen Wandergruppe gehören Dominik Hartmann, 30, der Mitbesitzer und kreative Kopf des Restaurants Magadalena in Rickenbach, und sein Schwiegervater René Hartmann, 63. Dominik, der eigentlich Suter heisst, hat den Namen seiner Frau Adriana angenommen.
Mythen-Butter. René Hartmann ist Psychologe und war bis vor Kurzem im Leitungsteam der Pädagogischen Hochschule Zug tätig. Seit vielen Jahren schon wandert er jeden Sonntag auf die Alp Zwüschet-Mythen, um bei den dortigen Bauern vier bis fünf Kilogramm Butter einzukaufen, die er dann seinem Schwiegersohn ins Restaurant liefert. «Früher habe ich das nebenberuflich gemacht, heute mache ich es eben hauptberuflich», sagt der sportliche Mann lachend und zieht mit Wanderstöcken und Rucksack los.
Hartmanns Ökosystem. Damit sind wir schon mitten in Dominik Hartmanns Ökosystem zu Berge, zu Lande und zu Wasser. Es besteht vor allem aus Familie, weiteren wichtigen Menschen sowie aus der Natur und den Elementen um den begabten Koch herum. Im Naheliegenden findet der 30-Jährige fast alles, was er zum Leben und Kochen braucht. Bloss die Gedanken machen oft weite Reisen. «Es kann schon ein paar Wochen dauern, bis die Idee für ein Gericht ausgereift ist», erklärt Hartmann. Dann aber brauche es nicht mehr viel Zeit in der Küche, bis es genau so ist, wie er sich das vorgestellt hat. Um sich herum hat er Leute versammelt, die den Raum freimachen für die kreative Entfaltung des Ausnahmekochs.
Feines Gespür. Zurück in Rickenbach treffen wir auf weitere Elemente des Systems Hartmann. Das erste Thema, das die drei jungen Gastronomen besprechen, sind Dominiks neue, klobige Adidas-Schuhe – sogenannte «Ugly Sneakers»: Ein paar Sprüche, grosses Gelächter, dann setzt man sich mit Kaffeetassen an einen Tisch im leeren Restaurant Magdalena. Vom Gastraum aus hat man einen Breitwandblick auf den Schwyzer Talkessel und ein Basketball-Feld auf der anderen Strassenseite. Dort werden vor dem Service gern ein paar Körbe zur Pflege des Teamgeists geworfen. In der Ferne glitzert in verheissungsvollem Blaugrün der Vierwaldstättersee. Er wird später noch eine Rolle spielen in dieser Geschichte über einen erstaunlichen jungen Mann mit seinem feinen Gespür für Menschen und Aromen.
Traum vom eigenen Restaurant. Am Tisch sitzen sitzen Souschef Noah Bachofen, 27, und «Magdalena»-Geschäftsführer Marco Appert, 29, der schon mit Dominik in Rickenbach zur Schule gegangen ist. «Beim Fussballspiel auf dem Pausenplatz habe ich ihm die Vorlagen gegeben, er hat sie verwandelt», erzählt Appert. Heute versuche er, alle unangenehme Büroarbeit von seinem Freund und Geschäftspartner fernzuhalten, damit der genügend Raum für die kreative Entfaltung erhält – letztlich spielen also beide noch auf derselben Position. Schon als 16-Jährige hatten sie – Appert ist auch gelernter Koch und Patissier – den Traum vom eigenen Restaurant. Noch vor ihrem 30. Geburtstag realisierten sie ihn.
Jugendlich unbekümmert. Noah Bachofen übernimmt als Souschef Aufgaben, die Dominik lieber delegiert. «Ich bin gar nicht so gerne Chef», sagt Hartmann. Ein Gespräch darüber, wer im Team wofür zuständig ist, habe es allerdings nie gegeben. «Zu Beginn waren wir nur zu dritt in der Küche, da gab es ohnehin keine Hierarchie. Heute macht jeder sein Ding, und am Ende kommt alles zusammen», sagt Noah Bachofen, gelernter Diät- und Spitalkoch aus Glarus, über die Rollenaufteilung am Herd. Wer den traditionell militärischen Umgangston und Führungsstil in Restaurantküchen kennt, staunt über die jugendliche Unbekümmertheit, den freundschaftlichen Umgang und die erfrischende Nonchalance, mit der die jungen Leute ihr Geschäft betreiben. Dazu gehört neben einer fantasie- und geschmackvollen vegetarischen Küche im Restaurant auch eine improvisierte Bäckerei im Dorf. Das «Magdi-Brot» mit «Gummel» (Kartoffeln) gehört zum Besten, was man in einem Schweizer Restaurant bekommt.
Aus Liebe zur Gastronomie. Adriana Hartmann, 31, taucht mit den beiden Kindern Ameo und Yua auf. Die Restaurant-Mitinhaberin ist nach einem Design- und Kunststudium eher zufällig – oder vielmehr: aus Liebe – in der Gastronomie gelandet und kümmert sich um gestalterische Fragen im Betrieb. Etwa um die schwarzen Kochuniformen von der lokalen Modemacherin Esther Annen. Ihr Wechsel vom Kunst- ins Gastgewerbe habe etwas Logisches: «Mit Kunst und Essen will man Gefühle hervorrufen. Wir kreieren ein Erlebniskonzept, das ist nicht weit entfernt ist von meinem Kunstbegriff.»
Vegetarisch auf Top-Niveau. Die Emulsion aus Familie, Freunden, Nachbarn ist ein Erfolgsrezept, so viel steht schon seit etwas mehr als zwei Jahren nach Eröffnung fest. Das beweisen die hervorragenden Bewertungen mit 16 GaultMillau-Punkten und zwei Michelin-Sternen für eine Küche, die auf Fisch und Fleisch verzichtet und stattdessen vegetarisches Fine Dining auf einem für die Schweiz einzigartigen Niveau betreibt. «Dass wir vegetarisch kochen, hat sich einfach ergeben. Als wir nur noch einen Fischgang im Menü hatten, haben wir den halt auch weggelassen», sagt Dominik Hartmann, der zuvor bei Fabian Fuchs im «Equi-Table» in Zürich und bei Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein seine Fähigkeiten als Koch verfeinert hat, und wie dieser zum Team von kochenden Markenbotschaftern von V-ZUG gehört.
Bio-Gemüse nebenan. Ein paar Schritte die Strasse hinauf steht das Schwyzer Bauernhaus von Meiri und Eva Betschart-Waser. Hartmanns frühere Hauswirtschaftslehrerin experimentiert gerade mit Snackgurken, die an den Wänden hochwachsen; sie zieht ein paar Haferwurzeln aus der Erde und lässt einer Reihe Kürbisse auf der Wiese zwischen Apfel-, Quitten- und Birnenbäumen freien Lauf. In ihrem kreativen Bio-Chaos «hat es so viel, wie es hat», sagt sie. Den Hof bestellt das Bauernpaar nach der Methode des Dynamischen Agroforsts. Dabei wird eine Symbiose zwischen den Pflanzen auf mehreren Etagen hergestellt: Zwiebeln, Erbsen, Gras und Bäume wachsen ergänzend zusammen – nichts könnte besser in Dominik Hartmanns Welt der Harmonie passen.
Raue Elemente. Vielleicht auf der Suche nach einem Kontrast zum allgemeinen Wohlgefühl, setzt sich der Koch in seiner Freizeit gerne rauen Elementen aus – Wasser, Wind und Wetter. Mit einem Surfbrett und einem leuchtfarbenen Kite-Schirm ausgerüstet, steigt Dominik Hartmann an der Axenstrasse beim Schiefenegg-Tunnel in den Urnersee und lässt sich, angetrieben nur von warmer Luft, hinausziehen. Für Hartmann ist der Weg zum See ebenso wichtig wie die Zeit auf dem Wasser: «Diese Zeit nutze ich, um über Ideen nachzudenken», erklärt er. Und um Ideen dreht sich bei dem begabten jungen Mann fast alles.