Text: Urs Heller I Fotos: HO
Familiensaga, nächste Folge. Yasmin von Siebenthal, 27 Jahre jung, führt jetzt die «Alpenrose» in Schönried, und dass sie sich soeben mit Johannes Kratz verlobt hat, trifft sich gut. Der junge Mann ist gelernter Koch und Souschef im Haus. Yasmins Eltern Michel und Carole von Siebenthal bleiben noch ein wenig an Bord, erleichtern der vierten Generation den Start. Beeindruckend: Das zauberhafte Boutique-Hotel am Dorfeingang ist seit 77 Jahren (!) in Familienbesitz. Die vielen Stammgäste wissen: Im grosszügig und elegant eingerichteten «Alpenrose» fühlt man sich sehr wohl, willkommen – und man isst auch noch ausgezeichnet. Grosses Bild oben v.l.: Michel, Carole und Yasmin von Siebenthal, Johannes Kratz.
Kleine Brigade, grosse Karte. Michel von Siebenthal und Johannes Kratz stehen ziemlich einsam draussen in der Küche, aber das hindert sie nicht, eine umfangreiche Karte und selbst ein recht ehrgeiziges «Menu Degustation» vorzulegen. Wir surften durch die Karte, starteten mit einer «leicht pikanten» Currysuppe und notierten: Etwas pikanter dürfte sie schon sein. Aber sie war harmonisch, und die «Beilage» liess sich sehen: Ein knuspriges, riesiges Wantan, gefüllt mit Garnelen, serviert mit einer echt guten Wasabi-Mayo. Die luxuriöseste Vorspeise entdeckten wir im grossen Menü: Simmentaler Kalbstatar, mit Schönrieder Sauerrahm und Oscietra Kaviar. Simmentaler Rind gibt’s natürlich auch, angerichtet auf dünn gehobelten Kartoffeln («Tian»). Nur unsere strenge Erziehung hinderte uns daran, vom ausgezeichneten Rauchpfeffer-Balsamico-Jus Nachschlag zu bestellen.
Bio-Forelle, Zitronenkruste. Der subtilste Gang des Abends: Ein sanft gegartes Bio-Forellenfilet aus Zweisimmen. Mit Frischepaket: Zitronenkruste, Zitronensauce, dazu eine Sellerie-Mousseline und ein allerdings etwas «schweres» Oliven-Arancini. Die Forellenfilets schafften es zu Recht auch ins Menü, das mit einem ehrgeizigen Hauptgang überrascht: Taubenbrüstchen, Périgord-Trüffel, Kartoffelsoufflé, Trüffeljus. Ohne Fleisch geht in der «Alpenrose» auch: Geschmorter Chicorée auf Orangenrisotto; dazu wird ein veganer Jus serviert. Die beiden Köche sind, mit Pacojet-Unterstützung, auch für die feinen Desserts zuständig, aber da stielt ihnen Mutter Carol von Siebenthal die Show: Sie rollt einen zum Käsewagen umfunktionierten alten Kinderwagen an den Tisch. Im Angebot ausschliesslich Käse aus Schönried und aus dem Saanenland, dazu hausgemachtes Früchtebrot. Wer will da widerstehen?
Heimliche Heldin: Die Grossmutter. Selbstverständlich ist es nicht, dass sich der «Alpenblick» im harten Gstaader Markt halten konnte. Heimliche Heldin ist Grossmutter Monika: Sie stand mit fünf kleinen Kindern allein da, als ihr Ehemann Fredy, der berühmte, bei Vater Benjamin Girardet in Criussier ausgebildete Chefkoch 1983 nach einem Herzinfarkt verstarb. Monika von Siebenthal hielt durch. Dass jetzt Enkelin Yasmin übernimmt, wird sie ganz besonders freuen.