Text: Daniel Böniger I Fotos: Digitale Massarbeit
Die Pizza-Premiere. Mariya Un Noun erinnert sich noch genau daran, wie sie zum ersten Mal im Leben Pizza probiert hat. «Für mich war es erst einfach Brot mit Tomate.» Aber es habe so gut geschmeckt, erzählt sie, dass sie sich den Namen des Gerichts gemerkt habe, um es wieder bestellen zu können. Gut zehn Jahre ist das inzwischen her, damals war die Kambodschanerin Mitte 20 und zu Gast in der Hotelfachschule Luzern. Dort saugte sie förmlich alles auf, was ihr begegnete: unbekannte Zutaten, neue Kochtechniken, freundschaftliche Begegnungen mit den Köchinnen und Köchen. «Ich konnte kaum ein Wort Englisch», erinnert sie sich, «meine Neugier stillte ich, indem ich alles probierte.»
Verkauft und zwangsverheiratet. Seit damals hat es Mariya weit gebracht: Als Küchenchefin hat sie ein Team von 24 Personen unter sich, ihr Restaurant gilt als eines der besten Kambodschas. Was noch viel eindrücklicher wirkt, wenn man weiss, in welch bitterer Armut sie aufgewachsen ist. Bloss zwölfjährig, wurde sie von ihrer Mutter als Magd verkauft, um das Überleben der Familie zu sichern. Später wurde sie zwangsverheiratet, gebar ein Kind – und wurde dann verlassen.
Hannes Schmid entdeckte sie. Doch wie fand Mariya wieder auf die sonnige Seite des Lebens zurück? Zwei Dinge haben den Ausschlag dazu gegeben: ihr mit Zielstrebigkeit gepaartes Talent. Und der Schweizer Hannes Schmid. Der frühere Top-Fotograf lernte Mariya Un Noun im Rahmen seiner Non-Profit-Organisation Smiling Gecko kennen. Schnell realisierte er, welch aussergewöhnliches Gespür für Aromen sie hat. Welche kulinarischen Fähigkeiten in der 1,50 Meter grossen Frau schlummern. «Mister Hannes», wie Mariya den Schweizer Fotokünstler nennt, war es dann auch, der sie zu ausgewählten Küchenchefs nach Europa schickte und sie nach den Lehr- und Wanderjahren an die Spitze der vier Restaurants im Farmhouse Resort & Spa rund 60 Kilometer ausserhalb von Phnom Penh setzte.
Im Gepäck: 25 Kilo Gewürze! Die 150 Hektaren grosse Anlage ist nicht nur Schulareal für zig einheimische Kinder und Arbeitsplatz für 350 Locals, sondern auch luxuriöse Ferienanlage für Touristen. «Meine zwei Töchter gehen dort zur Schule», erzählt die 33-jährige Mariya Un Noun, als sie gerade in der Schweiz, in Singapur und Thailand aufkocht, um Geld für Schmids Projekt zu sammeln. Im Gepäck hat sie dazu gut 25 Kilo Gewürze: darunter mehrere Sorten Zitronengras, die sie in gewünschter Qualität im Ausland so nicht bekommt. Aber auch ordentlich viel Kampot-Pfeffer, den sie ganz besonders gern verwendet.
RÜCKGRAT DER KAMBODSCHANISCHEN KÜCHE. Es handelt sich dabei um den Piper nigrum, der allerdings nur in den zwei Provinzen Kampot und Kep nach vorgeschriebenen Richtlinien angebaut und geerntet wird. Noch 1960 gab es dort eine runde Million Pfefferpflanzen, doch die Tradition des Anbaus ging durch die Machtergreifung der Roten Khmer 1975 fast verloren. Weil Diktator Pol Pot aus Kambodscha einen Bauernstaat machen wollte, nutzte er die Anbauflächen für Reis und Gemüse. Erst seit den Neunzigern wird der Kampot-Pfeffer, den Mariya Un Noun im Vergleich zur herkömmlichen Ware als aromatisch zurückhaltender beschreibt, wieder vermehrt gepflanzt: «Für mich ist er so etwas wie das Rückgrat der kambodschanischen Küche.»
«MISTER HANNES» AUF FRUCHTIGER MISSION. Was tischt die Küchenchefin ihren Gästen auf? Es ist eine raffinierte asiatische Küche, die geschmacklich vielschichtig daherkommt: Milde Fischcurrys auf Kokosnussbasis gehören dazu. Gebratene, mit Kampot-Pfeffer gewürzte Lammkoteletts, die mit stundenlang eingekochten Jus, Lauch und gepickelten Schalotten kombiniert werden. In Mariyas Mehrgängern kommen fruchtige Desserts vor, für welche sie hier in Europa jeweils «Mister Hannes» losschickt, damit er ihr die besten Passionsfrüchte und Mangos besorgt.
Thermomix & Pacojet. Die Gerichte, die auf der fast verloren gegangenen Khmer-Küche basieren, hebt Mariya auf ein höheres Level, indem sie diese westlich anrichtet und zeitgemässe Gerätschaften zur Zubereitung verwendet. So kommt ein Curry auch mal in den Thermomix. In ihrer Küche steht ein Green Egg. Ihren Glaces verleiht wie bei vielen Kollegen auf der Welt der Pacojet die gewünschte Cremigkeit: «Am Geschmack der althergebrachten Zubereitungen ändere ich möglichst wenig. Sie sollen auch meiner Mutter schmecken.»
Beim «Operndirigent» Franck Giovannini. Mariya Un Noun hat bei ihren europäischen Kollegen noch einiges mehr mitnehmen können: Bei Massimo Bottura habe sie beeindruckt, wie er sein Team als Leader anführt, weil er sich selbst und seine Stärken ge-nau kenne. «Natürlich mag ich auch seine Rockstarattitüde.» Unvergessen sei ihre Stage bei Franck Giovannini. «Er ist wie ein Operndirigent, alle befolgen diszipliniert, was er anweist.» Am allerersten Tag sei die Ernsthaftigkeit, welche die fast 30-köpfige Belegschaft bei ihm an den Tag legt, für sie irritierend gewesen. Als sie in der kalten Küche beim Tomatenschälen aushalf, habe sie einen der Kollegen gefragt: «Könntest du nicht ein wenig lächeln?» Und weil das nicht wirklich half, habe sie Unfug mit der Kochmütze gemacht und sie bis über die Nase heruntergezogen.
Bei Caminada war's familiär. Mehrmals schon durfte sie bei Andreas Caminada schnuppern – die Lektion dort: Ein Team kann nur dann Höchstleistungen bringen, wenn das Ambiente stimmt. «Es ist eher ein familiäres Umfeld als ein Arbeitsplatz», lobt Mariya Un Noun. Umso glücklicher ist sie, dass sie für die Stiftung Uccelin inzwischen regelmässig Köchinnen und Köchen aus Europa die kambodschanische Küche näherbringen darf.
Pizzakurs für ihre Kinder. Die erste Kochlektion nach ihrer Spendensammeltour wird Mariya allerdings den eigenen Kindern geben müssen: «Meine Töchter wollen unbedingt von mir lernen, wie man Pizzateig zubereitet.» Pizza sei nämlich auch eine ihrer Lieblingsspeisen.
Köche bauen Brücken. Übrigens dürfen auch Stipendiaten von Andreas Caminadas Stiftung Uccelin von Mariyas Kochwissen profitieren. Eine Stage im «Farmhouse» bildet den (freiwilligen) Abschluss des 20-wöchigen Förderprogramms: Die Uccelin-Absolventinnen und -Absolventen lernen das Team von Smiling Gecko, Lieferketten, Alltag und die Küche Kambodschas kennen. Danach arbeiten sie im Fine-Dining-Restaurant des Resorts, entwickeln ein Verständnis für Mariyas Kochstil, unterstützen diese bei der Ausarbeitung der Menüs. Im Gegenzug geben sie ihr erlangtes Wissen auch an die einheimische Crew weiter. Gemeinsame Erkenntnis: Nichts baut bessere Brücken als Essen und Trinken.