Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder
Wildes Norwegen. «Er ist da!», ruft kurz vor zehn Uhr morgens einer in der Küche, und eine Minute später steht die halbe Mannschaft unten in der Storchengasse. Im Lieferwagen von Fischspezialist Bianchi liegt sozusagen das Grossereignis dieses Tages: 99 Kilogramm Hippoglossus hippoglossus steht auf dem Lieferschein, ein Prachtexemplar von einem weissen Heilbutt, wild gefangen in Norwegen, übers Wochenende in die Schweiz gebracht und nun vor die Küchentür von Stefan Jäckel im «The Living Circle»-Hotel Storchen geliefert.
Fisch auf Eis. Nun muss es schnell gehen, der auf Eis transportierte Fisch soll so schnell wie möglich in die Küche gebracht, um dort fachgerecht zerlegt zu werden, «damit er eiskalt bleibt», wie 17-Punkte-Koch Jäckel sagt. Allein, das ist gar nicht so einfach, 99 Kilogramm sind buchstäblich ein dicker Fisch. Es braucht mehrere Köche, um den Heilbutt auf ein Rollmöbel zu wuchten.
«Mein erstes Mal!» Kurz darauf liegt der Fisch, der ohne Kopf und Innereien angeliefert wurde, auf der Arbeitsfläche, der richtige Moment für viele Mitarbeiter, um ein paar Handyfotos festzuhalten. «Das ist auch mein erstes Mal», sagt Stefan Jäckel über die Aufgabe, ein Exemplar dieser Grössenordnung zu filetieren. Der Vorteil bei Plattfischen sei allerdings, dass keine Gräten zu zupfen seien, und die Anatomie sei bei kleinen Fischen nicht anders als bei ganz grossen. Mit einem langen scharfen Messer schneidet der Küchenchef mit schnellen Schnitten erst dem Hauptknochen entlang, und trennt dann nach und nach die eindrücklich dicken Filetstücke von der Karkasse.
Besondere Qualität. Schon wenige Minuten später werden die ersten Filetstücke portioniert. «Unser Vorteil ist, dass wir auch einen so grossen Fisch in kurzer Zeit verwerten können», erklärt Stefan Jäckel. «Wenn man so etwas nicht frisch in wenigen Tagen verkaufen kann, ist es ja schade um das Tier», so der Koch. Damit der Heilbutt ein paar Tage frisch bleibt, wird er auf Eis gelagert, das zweimal täglich ausgetauscht werden muss. Der Heilbutt, der bis zu dreissig Jahre alt werden kann, ist allerdings nicht nur sehr gross, sondern auch von besonderer Qualität: «Man sieht, dass das ein wilder Fisch war, das Fleisch ist muskulös und fest», sagt Stefan Jäckel.
Gedämpft, pochiert, konfiert. In der Rooftopbar «The Nest» gibt es schon mittags im Körbchen gedämpfte Heilbuttfilets, bestrichen mit etwas Misopaste und serviert auf orientalischem Cous-Cous. Jäckel selbst bereitet für seine «Rôtisserie» zum Lunch in Vanillebutter konfierten Heilbutt mit Escabeche, frischen Kräutern und Chorizo zu. Für das Abendmenü setzt der talentierte Koch eine «Empfehlung» auf die Karte: In Algen-Fond langsam pochierten Heilbutt (25 Minuten bei 52 Grad) an einer raffinierten, jodigen Kaviar-Algen-Beurre-blanc und dazu etwas Kartoffel-Crunch und Minifenchel.
300 bis 400 Portionen. Aus 99 Kilogramm Heilbutt gibt es «rund 300 bis 400 Portionen», rechnet Stefan Jäckel vor. Das so genannte Kranzfleisch ist wegen seines hohen Fettanteils ideal für Fischfarcen, die Abschnitte landen in der Bouillabaisse und die Knochen sind die Basis für einen aromatischen Fischfond. So gesehen, ist der weisse Heilbutt aus Norwegen nicht nur wegen seiner schieren Ausmasse spektakulär, sondern auch ein nachhaltiges Ereignis für so einen versierten Koch.