Reto Thörig, seit einem Jahr werden die Bio-Cuisine-Blüemli verteilt. Zufrieden mit dem Erfolg?
Das sind wir wirklich. Uns ist es gelungen, die Themen Bio und nachhaltige Zutaten in der Branche zu etablieren. Seit vielen Jahren vertritt Bio Suisse die Produzenten, jetzt können wir auch die Brücke zu gastronomischen Betrieben schlagen, seien es Kinderkrippen oder Starchefs. Wurde bisher in erster Linie mit Werten wie Tierwohl, Biodiversität, Umwelt argumentiert, sind dank Bio Cuisine auch Werte wie Geschmack, regionale Verankerung und Storytelling in den Fokus gerückt.
Können Sie Beispiele dafür nennen?
Unweigerlich kommt mir Piero Roncoroni in den Sinn, der in Comano TI die Osteria del Centro betreibt. Er kauft täglich auf dem Markt ein und zaubert dann abends aus den gefundenen Zutaten ein Menü. Auf den Tisch kommt, was es gerade gibt. Das ist zu einem ganz kleinen Teil Fleisch, und zu einem grossen Teil bio. Die Zertifizierung des Betriebs mit ganzen sieben Tischen läuft gerade – er wird voraussichtlich zwei Blüemli bekommen!
Sind alle Betriebe so übersichtlich?
Das pure Gegenteil finden wir im urbanen «Daizy» in Zürich. Das Restaurant im Binz-Quartier hat gegen 150 Sitzplätze und schafft einen Bio-Anteil von rund 40 Prozent. Für etwa 25 Franken kann man sich dort mittags am Buffet gütlich tun. Das ist beeindruckend!
Sind Bio-Restaurants eher in der Stadt oder auf dem Land?
Klar hat es eine Küchenchefin im Bündnerland einfacher, an regionale Produkte mit Label zu kommen. Aber ein grosser Teil der bio-affinen Geniesser lebt in der Stadt. Ich würde darum antworten: weder noch.
Gibt es schon Betriebe mit drei Blüemli?
Ja, und das Schloss Wartegg in Rorschacherberg ist für mich ein Vorzeigebetrieb. Dort geht Bio weit über das Restaurant hinaus. Sogar die Hotelzimmer sind nachhaltig gestaltet; sie sind beispielsweise mit regionalem Lehm isoliert. Man schläft dort wie ein Murmeltier! Weitere Betriebe mit drei Blüemli sind die Gastronomie der Stiftung Fintan in Rheinau, die Hofbeiz des Kulturhofs Hinter Musegg in Luzern und das Bistro im Kornhaus In Dussnang.
Zieht die Zertifizierung Publikum an?
Fragen Sie Paolo Casanova in Madulain! Er hat nicht nur Bio-Produzenten, die ihm die Bude einrennen, sondern auch einen Run von neuen Gästen aufs Restaurant, seit er von GaultMillau und uns zum «Green Chef 2024» gekürt wurde. Schön bei ihm: Er bleibt nicht stehen, sondern hat sich von anfangs rund 30 Prozent auf 50 Prozent Bio-Ware verbessert.
Ist das so einfach? Wo liegen die Schwierigkeiten für die Küchenchefs, wenn sie mit Blüemli ausgezeichnet werden wollen?
Unser dreiköpfiges Team steht in einem regen Austausch mit den Restaurants, die sich zertifizieren möchten. Man darf jederzeit auf uns zukommen, wenn der Anteil beispielsweise bei 58 Prozent liegt und es noch nicht ganz für das zweite Blüemli reicht. Manchmal geht vergessen, dass man auch Bio-Fisch dazu zählen darf, die selbst gesammelten Kräuter, die Pilze. Und manchmal funktioniert es, wenn man ein teures Produkt wie Kaviar weglässt.
Wie schmeckt denn Bio Cuisine?
Die meisten ausgezeichneten Köche sind verwurzelt in ihrer Region, haben ein exzellentes Netzwerk und ein Bewusstsein dafür, was rund um sie passiert. Sie haben Freude an Federkohl, Bergkäse und aufgeschlagener Butter mit Arve verfeinert – statt an Yuzu und Tiefseefischen. Das schmeckt aber nicht erdig und altbacken, sondern kann durchaus modern sein. Einer der Chefs macht aus regionalem Bio-Maismehl Tacos, die er saisonal füllt. Ein anderer serviert als Amuse-Bouche getrocknete Wirsingblätter als hauchdünne Chips, die auf der Zunge zergehen. Gigantisch!
Stimmt nach einem Jahr auch das Medienecho?
In den Fachmedien ist regelmässig über Bio Cuisine zu lesen. Auch die regionalen Zeitungen reagieren, wenn ein Restaurant erfolgreich zertifiziert wird. Die Berner Fachhochschule hat es bei besagtem Anlass sogar ins Regionaljournal von Radio SRF geschafft. Und nach der Green-Chef-Verleihung waren wir Thema bei «G&G» – eigentlich ist Bio Suisse im Fernsehen ja eher auf den «Kassensturz» programmiert…
Alles paletti also?
Wir haben schon noch Hausaufgaben. Das Bio-Bewusstsein in der breiten Bevölkerung ist da, es ist aber noch nicht überall durchgesickert, dass es auch entsprechende Restaurants hierfür gibt. Bio Suisse muss diesbezüglich noch lauter werden – dies schulden wir nicht zuletzt den zertifizierten Betrieben.
Welche Ziele setzen Sie konkret fürs zweite Jahr Bio Cuisine?
Falls Sie Zahlen möchten: Es sind jetzt 80 Restaurants zertifiziert oder auf dem unmittelbaren Weg zur Zertifizierung. Wir wollen, dass im kommenden Jahr nochmals 200 Betriebe dazukommen. Wir bleiben also ambitioniert. Ohne konkrete Zahlen bedeutet das: Die Dichte auf der Landkarte soll so gross sein, dass jeder Wanderer und jeder Berufstätige ein Bio-Cuisine-Restaurant in sinnvoller Reichweite hat.
Und was war persönlich Ihr lustigstes Ereignis dieses ersten Jahres?
Ich war an einem Sonntag privat zu Gast in der Pinte des Mossettes in Cerniat FR. Als ich vom Parkplatz auf das Restaurant zuging, kam Küchenchef Nicolas Darnauguilhem auf mich zugelaufen und rief: «Ich kenne Sie! Sie sind der mit dem grünen Käse!» Er hatte ganz offenbar ein Bild von mir bei der Green-Chef-Verleihung gesehen.
>> Das Label «Bio Cuisine» zeigt den Gästen, wie viel Nachhaltigkeit sie auf dem Teller erwartet. «Bio Cuisine» ist dreistufig aufgebaut und zeichnet den Anteil an Bio- sowie Knospe-Produkten im Betrieb aus. Basis ist der Einkaufswert der Lebensmittel und Getränke. GaultMillau Schweiz unterstützt diese «Bio-Cuisine»-Initiative. www.bio-cuisine.ch
Fotos: Olivia Pulver, HO, Christopher Kuhn, Thomas Buchwalder, Fabian Häfeli, Gabriel Monnet, Adrian Bretscher