Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder, Olivia Pulver, Lucia Hunziker

Giuseppe D’Errico, was war ihr persönliches Highlight 2019?

Für mich ist es das Wichtigste, immer wieder aufs Neue die Passion und die Leidenschaft für die Küche zu entfachen. Hier in Zürich hat für mich eine neue Reise begonnen. Ich verfolge einen Ansatz, der leicht provokant sein soll, aber gleichzeitig will ich die Wünsche der Gäste verstehen. Das ist für mich eine neue Herausforderung, weil ich zum ersten Mal als Küchenchef arbeite. Auf diesem Weg bin ich 2019 weitergekommen und das erfüllt mich mit Genugtuung.

 

Was ist für Sie eine «provokanten Küche»?

Ich nehme Klassiker der italienischen Küche und verändere sie, indem ich zum Beispiel statt Kalbfleisch mit Thunfischsauce, Thunfisch mit Kalbfleischsauce serviere. Oder wieso muss man eine Carbonara-Sauce immer mit Spaghetti essen? Wir servieren Sie mit Artischocken... So werden die Gäste an Italien erinnert und erleben gleichzeitig immer wieder kleine Überraschungen.

 

Sie waren Sous-Chef im legendären 3-Sterne-Haus der Troigros in Frankreich und kochen heute im Ristorante Ornellaia moderne italienische Küche mitten in Zürich. Wie sehen Sie selbst Ihre Entwicklung?

Ich hatte den starken Wunsch, als Küchenchef arbeiten zu können, um meine Ideen realisieren zu können. Dass die Familie Bindella auf mich setzt ist zunächst ein grosser Vertrauensbeweis. Auch wenn der Unterschied gewaltig ist, hat mich kein Schock getroffen, als ich hier angefangen habe. Das Ornellaia ist relativ klein im Vergleich zur Troisgros-Küche, aber darauf kommt es nicht an. Das Wichtigste ist für mich, dass dies hier meine Küche ist. Ich bin nicht mehr eine Art Filter zwischen Küchenchef und Team sondern kann meine Ideen direkt an meine Leute weitergeben.

Asparago tonnato - Weisser Spargel an Thunfischsauce

Radikal saisonal: Weisser Spargel «tonnato».

Restaurant Ornellaia, Bindella - Eröffnung St. Annagasse Zürich

Italienisches Herz, französische Präzision: Giuseppe D'Errico.

Wieviel Troigros steckt noch in Ihrer Küche?

Ich habe natürlich in zehn Jahren bei den Troisgros viel über Techniken gelernt und ein Gespür für Produkte entwickelt. Das steckt in mir. Dann aber kommen meine Ideen, mein Geschmack, meine Wurzeln und meine Kultur hinzu. So kombiniere ich italienische Tradition mit einer französischen Sensibilität für das Kochen.

 

Kann sich die italienische Küche mit ihren traditionellen Wurzeln und festen Regeln überhaupt entwickeln?

Die italienische Küche ist sehr produktbezogen. Eine Tomate ist zu einem bestimmten Zeitpunkt optimal, dann isst man sie am besten nur mit etwas Salz, Olivenöl und vielleicht Basilikum. Ich komme aus Neapel und wenn ich zu Hause bin, mache ich genau das. Aber im Restaurant nehme ich diese optimalen Tomaten zum genau richtigen Zeitpunkt und versuche, den Geschmack aus meiner Erinnerung auf eine neue Art zu präsentieren: zum Beispiel als Bouillon. Es ist immer noch eine hervorragende Tomate, aber halt in flüssiger Form.

 

Wie kamen Ihre Ideen und Arbeitsweise bei Bindella an, wo Sie heute tätig sind?

Ich hatte hier von Anfang an eine «Carte blanche» und erhalte die beste Unterstützung, die ich mir denken kann. Die Umsetzung in der Küche ist ganz allein meine Aufgabe. Aber natürlich höre ich auf meine Gäste, denn am Ende müssen die zufrieden sein. Und die Erwartungen in einem Ristorante wie dem Ornellaia sind natürlich andere als in einer Santa Lucia.

Fühlen Sie sich in Zürich schon zu Hause?

Es geht mir sehr gut hier, Zürich ist eine sehr angenehme Stadt mit einer enorm hohen Lebensqualität. Ich habe mir auch keine Frist gesetzt, das würde mich nur in meiner Arbeit einschränken. Jetzt bin ich hier und möchte bleiben, um mich auf meine Aufgabe konzentrieren zu können.

 

Ihr Bruder arbeitet jetzt auch mit Ihnen, wie gut klappt das?

Mein Bruder arbeitet seit Januar 2019 im Ornellaia. Er ist Springer in der Küche und hat selber neun Jahre in Frankreich gearbeitet, kann also auf ähnliche Erfahrungen zurückgreifen, war mit mir bei Troisgros, aber auch noch bei Régis und Jacques Marcon, und wir ergänzen uns ausgezeichnet: Er ist sehr ruhig, ich etwas weniger... (lacht). Aber wir haben einen ähnlichen Hintergrund und teilen dieselben kulinarischen Werte. Ich kann ihm hundertprozentig vertrauen, das ist sehr beruhigend für mich.

 

Welche Kollegen in der Stadt beeindrucken Sie?

Im «Equitable» von Fabian Fuchs habe ich wirklich hervorragend gegessen. Daran habe ich bis heute nur beste Erinnerungen. Man kann natürlich vielerorts gut essen in Zürich, aber Chef Fabian hat mich nachhaltig beeindruckt.

 

Schon nach kurzer Zeit gehören Sie zu den besten Chefs von Zürich. Wie haben Sie die Zeit seit Ihrem Start im Frühling 2018 erlebt?

Ich sehe mich immer noch als Küchenchef, der das beste für seine Gäste geben will. Das hat sich seit meinem Start im April 2018 nicht geändert. Dass ich hier die Freiheit bekommen habe, mich auf dem Teller auszudrücken, ist fantastisch. Aber es gibt auch noch viel zu tun, wie immer, wenn man ein Restaurant neu eröffnet.

Fabian Fuchs, Koch, bei der Zubereitung von Gurkensalat mit Felchen, Buttermilch und Dill; Fuchs ist Nutzer der App Bionär, mit der er sein Gemüse bei Bauer Stefan Brunner bestellt. Restaurant EquiTable in Zürich, am 28.06.2017 / Foto Lucian Hunziker

«Nachhaltig beeindruckt»: 17-Punkte-Chef Fabian Fuchs im Zürcher Restaurant Equitable.

Was haben Sie für 2020 im Kopf, woran arbeiten Sie?

Meine Gedanken drehen sich immer um den Teller und was darauf passiert. Natürlich kann man auch den Service noch verbessern, um eine vielleicht noch engere Verbindung zwischen Küche und Speiseraum zu schaffen. Aber die Emotionen versuche ich über die Gerichte zu transportieren. Insgesamt sehe ich uns noch nicht bei 100 Prozent unseres Potenzials, wir können uns noch steigern.

 

Und was dürfen Ihre Gäste im nächsten Jahr von Ihnen erwarten?

Sie können täglich eine hervorragende Qualität erwarten. Und da wir sehr viele Stammgäste haben, die uns häufig besuchen, können sie auch immer wieder neue Ideen erwarten.

 

Gibt es gewisse Signature Dishes, nach denen Ihre Gäste immer wieder fragen?

Es gibt schon Gäste, die nach bestimmten Gerichten fragen. Aber ich koche streng nach Saison. Ich würde nie ein Gericht servieren, wenn dafür Spargeln oder Artischocken nicht in der besten verfügbaren Qualität erhältlich sind, nur weil ein Gast das unbedingt essen will.

 

Gibt es ein Gericht, das sie noch nicht realisiert haben?

Davon gibt es sehr viele! Oft hat man eine Idee, weiss aber lange nicht, wie sie umzusetzen ist. So erging es mir zum Beispiel mit meinem Mondrian-Dessert aus Panna Cotta. Ich wollte dem vielleicht meist banalisierten italienischen Dessert eine neue Poesie verleihen: Mit Mango, roten Früchten und Kakao-Biskuit. Beim Tonno vitellato ging die Idee von einem Wortspiel aus. Zuletzt habe ich ein Reh-Gericht realisiert mit Broccolipüree, Rehjus, Pilzen und Beurre Noisette, das auf dem Teller in Tarnfarben daherkommen soll – das Reh in seiner natürlichen Wald- Umgebung sozusagen.

 

>> Giuseppe D'Errico, 32, ist seit dem Frühling 2018 Küchenchef im neu eröffneten Ristorante Ornellaia in Zürich (17 Punkte), eine Kooperation zweier Unternehmen mit grosser Tradition: Auf der einen Seite die Bindella-Gruppe und auf der anderen das legendäre Weingut Ornellaia. D’Errico war zuvor Sous-Chef im französischen 3- Sterne-Restaurant Troisgros.