Fotos: Sanjeev Velmurugan/HO

«Geschmack der Freiheit.» The Epicure unter der Leitung von 19-Punkte-Chef Heiko Nieder im The Dolder Grand bringt auch im neunten Jahr eine faszinierende kulinarische Vielfalt nach Zürich. Fester Bestandteil des eine Woche dauernden Festivals ist glücklicherweise, dass es die Türe aufstösst zu eher unbekannten Welten. Der Höhepunkt der Ausgabe 2024 war in dieser Hinsicht wohl der Auftritt des Neuseeländers Vaughan Mabee, der in seinem Restaurant Amisfeeld in Queenstown eine naturnahe, wilde Küche entwickelt hat, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde – unter anderem als bester Koch des Landes. Nach seinem Stil gefragt, beschreibt er ihn als «Geschmack der Freiheit» und sagt: «Wir servieren etwa 20 Gänge und in einem Dutzend davon gibt es Dinge, die unsere Gäste noch nie zuvor gegessen haben.»

Abalone Salami

Geschenk für Heiko Nieder: Abalone-Salami mit Wildschwein.

Vaughan Mabee unter Feuer

Der Mann mit dem Feuer: Gastkoch Vaughan Mabee.

Entenfuss Snack

Gewöhnungsbedürftiger Snack: knuspriger Fuss einer wilden Ente.

Abalone, Wildschwein, Wildente. Was das genau bedeutet, wird schnell klar. Mabee hat als Geschenk für Gastgeber Heiko Nieder eine Salami aus Abalon (Seeschnecken) mit Wildschwein mitgebracht. «Das hat so gut geschmeckt, das wir sie gleich als Amuse Bouche aufgeschnitten haben», sagt Nieder. Und tatsächlich, in der dünnen Scheibe mit jodigen Meeres- und herben Fleischaromen ist durchaus der Geschmack der Wildnis und der Freiheit zu erkennen. Auf einem kleinen Podest wird danach der dehydrierte, knorpelfreie und knusprige Fuss einer wilden Ente serviert – ein eher ungewöhnlicher Anblick in einem europäischen Fine-Dining-Kontext. «Das schmeckt vielleicht ein bisschen intensiv, aber wir wollen ja nicht, dass sich die Gäste zu wohl fühlen», sagt Vaughan Mabee scherzhaft zum besonderen Chip, der mit einem Entenleberparfait, Garum und schwarzem Trüffel als Krallen gewürzt wird.

Heiko Nieder am Pass

Meister der Organisation: Heiko Nieder am Pass.

Team Neuseeland

Gäste mit besonderen Ideen: das Team aus Neuseeland.

Nur wilde Tiere. Zu den Prinzipien der Mabee-Küche gehört, dass nur wilde Tiere im Ganzen verarbeitet werden: «Enten, Hasen, Hirsche – alles, was man jagen kann. Rindfleisch finde ich langweilig und viel zu fett», sagt der polarisierende Neuseeländer. Eine Ausnahme macht er bei Lämmern und Schafen, die auf den Pazifik-Inseln zu Millionen quasi wild leben. Verarbeitet werden allerdings nur Tiere, die direkt auf der Weide geschossen werden, «so wenig Zucht und so viel Wildnis wie möglich», so Vaughan Mabee. Und natürlich serviert er seinen Gästen nur Teile, die man sonst nirgendwo kriegt. Dazu gehört der Schwanz des Tiers, der ihm in Neuseeland im Alter von etwa zwei Monaten abgetrennt wird. «Wenn mein Bruder und ich uns als Kinder nicht an die Regeln gehalten haben, hat uns unser Vater zur Strafe auf die Weide geschickt, um die Schafe zu coupieren», erklärt Mabee den persönlichen Hintergrund dieses Gerichts.

Der beste Teil des Lamms. Zur harten Arbeit habe aber auch gehört, dass man im Anschluss das Schwanzfleisch gegessen habe und unter den Arbeitern auf den Farmen gebe es den Spruch, man sollte bloss den reichen Leuten nicht sagen, dass dies der beste Teil des Tiers sei. «Die sollen nur weiter viel Geld für Lammkoteletts ausgeben», sagt Vaughan Mabee lachend. Bei einer Anekdote lässt er es dann aber nicht bewenden, den maximalen Showeffekt erzielt der ungewöhnliche Koch mit einer Installation, bei der konstruierte Schafwolle aus dem Zuckeraustauschstoff Isomalt und Lammfett auf einer Lammwurst objektartig drapiert wird. Damit geht der neuseeländische Chef von Tisch zu Tisch und brennt die Wolle ab. Serviert wird dann ein Taco mit dem saftigen Fleisch des Lammschwanzes, eingelegten Zwiebeln und schwarzem Trüffel.

Seehecht Heiko Nieder

Hinreissend: «Fischknusperli auf Heiko-Art» mit Seehecht, Chorizo und Jalapeño-Hollandaise.

Heiko Nieder Vaughan Mabee Krug

«Der Gast ist der Star»: Heiko Nieder und ein Glas Krug Rosé für Vaughan Mabee. 

Etwas Besonderes. Die Abende bei The Epicure funktionieren nach einem einfachen Prinzip, Gastkoch und Gastgeber Heiko Nieder servieren abwechselnd je vier Gerichte, für die Gäste entsteht in dieser Wechselwirkung ein interessanter Spannungsbogen. Auf Vaughan Mabees Hummer mit Lammbries beispielsweise folgt Nieders Seehecht als «Edel-Fischknusperli» mit Chorizosauce und einer hinreissenden Jalapeño-Hollandaise. Nur selten aber gibt es eine Darbietung wie jene des Teams aus Neuseeland. Für Gastgeber Heiko Nieder geht das völlig in Ordnung: «Mein Gastkoch ist der Star, wir bieten nur die Rahmenbedingungen und unterstützen ihn. Natürlich wollen wir uns auch präsentieren, aber das Ziel ist immer, den Kollegen den Vortritt zu lassen.» Den vielen Stammgästen, die zu The Epicure kommen, wolle er auch etwas Besonderes bieten, so Nieder.

Hirschmilch Schädel

Ungewöhnlich bis zum Schluss: Präsentation des Desserts.

Hirschmilch Eis Blutsauce

Nur in Neuseeland: Hirschmilch-Eis mit «Blutsauce» aus Randensaft und wildem Honig.

Hirschschädel zum Dessert. Dass ihm all dies mit der Einladung für Vaughan Mabee gelungen ist, steht ausser Frage. Auch das Dessert zum Schluss könnte kein anderer Koch so servieren. Auf dem Schädel von Hirschen werden Hörner appliziert, die aus Hirschmilch-Eis zubereitet sind. Neuseeland ist das einzige Land der Welt, in dem Hirschmilch produziert wird. Im Teller werden die «Hörner» dann mit einer sirupartigen «Blut-Sauce» übergossen, die aus reduziertem Randensaft und wildem Honig zubereitet wird. Die Bienen sammeln den Nektar unter anderem in Thymianblüten, welche die Hirsche wiederum gern essen – eine Idee die Vaughan Mabee gut gefällt. Und: «Hirschmilch ist extrem fett und reichhaltig, sie eignet sich hervorragend, um daraus cremiges Eis herzustellen», sagt Chef Mabee. Sein Versprechen hat er eingehalten, die Gäste haben Dinge gegessen, die ihnen nie zuvor serviert wurden.

 

>> The Epicure vom 2. bis 7 Juli 2024