Text: Kathia Baltisberger | Fotos: Olivia Pulver
Agil. Es ist noch kühl auf der Alp Mille morgens um 7 Uhr. Und still. Beides ändert sich in Kürze. Die Hirten auf der Alp im Val de Bagnes im Wallis binden die Eringer Rinder ab und lassen sie auf die Weide. Die Nacht verbringen die Tiere im Stall, am frühen Morgen dürfen sie auf die saftigen Wiesen. Mit lautem Glockengebimmel geht es bergwärts. Eringer gehören zu den kleinsten Rinderrassen. Sie sind kurz, kompakt, kräftig. «Sie können sich mühelos im steilen Gelände bewegen. Sie sind perfekt für eine solche Alp», erklärt Jean-Pierre Baillfiard. Der Bauer besitzt zehn Eringer und gibt sie über den Sommer auf die Alpage de Mille. Es handelt sich um eine sogenannte «Consortage», also einen Zusammenschluss verschiedener Bauern, um die Alp zu nutzen.
Königin der Alp. Sportlich-elegant bringen die Eringer Kühe rasch ein paar Höhenmeter hinter sich. Sie fressen sich satt am saftigen Gras und den violetten und gelben Blumen. Ganz friedlich stehen sie beisammen. Auch das kann sich schnell ändern. Die Eringer sind für ihre strikte Rangordnung bekannt, die sie im Kampf ausmachen. Die stärkste Kuh ist die Königin. Jeder Bauer hat in seiner Herde eine Königin. Erkenntlich sind sie an den roten Nummern auf dem Leib. Unter allen 130 Kühen gibts eine Alp-Königin. Aktuell ist das die Nummer 115.
Von der Alp in die Online-Metzg. Jean-Pierre Baillfiard, der selbst einmal pro Woche auf der Alp bei seinen Kühen ist, hat Gäste mitgebracht. Gaëtan Borgeaud ist Metzger in Martigny und verarbeitet das Fleisch der Eringer. Lucas Oechslin ist Mitinhaber von Luma Delikatessen und Endabnehmer der Stücke. Gaëtan kennt sich mit den Tieren aus. «Ich habe früher selbst auf der Alp gearbeitet.» Luma hat das Eringer Fleisch schon länger im Sortiment, Oechslin verschafft sich nun ein eigenes Bild von der Haltung und den Walliser Traditionen.
Eringer-Kämpfe. Die Hirten lassen die Tiere nach dem «Frühstück» auf ein flacheres Stück Wiese. Die Stimmung zwischen den Kühen ist nun aufgeladen. Während die einen gemütlich im Gras liegen, senden andere sichtliche Provokationen. Sie scharren mit den Hufen im Dreck, die Kühe tänzeln umeinander herum und plötzlich greifen sie an. Sie strecken ihre Hörner zusammen, versuchen sich gegenseitig wegzudrängen, bis sich eine geschlagen gibt und von dannen zieht. Es handelt sich um ein natürliches Verhalten, auch wenn Kühe anderer Rassen weit weniger aggressiv sind. So mitten in der Kuhherde kann das durchaus ein mulmiges Gefühl auslösen. Gefährlich für die Umstehenden sei es aber nicht. «Die Kühe gehen nicht auf die Menschen los», versichert Jean-Pierre. Ein Hirte steht den ganzen Tag mit den Tieren auf der Weide, beobachtet alles und notiert, welche Kühe Kämpfe gewonnen oder verloren haben.
Geschmackvoll. Die Eringer stammen aus dem Val d’Hérens, das nur wenige Kilometer vom Val de Bagnes entfernt liegt. Im Tal, zu dem auch der Hotspot Verbier gehört, werden heute die meisten Eringer gezüchtet. Die Eringer-Kämpfe haben im Wallis eine lange Tradition und sind eine nicht immer unkritisch betrachtete Attraktion. Das Fleisch ist weniger populär, aber eine Delikatesse. «Es ist nicht unbedingt das zarteste Fleisch, aber geschmacklich ist es eine Wucht», sagt der Metzger.
Knochengereift. Gaëtan Borgeaud verarbeitet die ganzen Tiere, verkauft das Fleisch frisch. Luma Delikatessen lässt es in Neuhausen am Knochen reifen. «Wir haben vor allem Stücke von Kühen», erklärt Oechslin. «Durch die Reifung kann man einiges aus dem Fleisch rausholen.» Am häufigsten verkauft Luma Eringer Beef in den «Butcher’s Table»-Filialen in Zürich und Bern. «Dort können unsere Metzger die Kunden beraten und sagen ehrlich, dass es etwas mehr Biss hat und geschmacklich intensiv ist. Die Kunden lassen sich darauf ein und sind begeistert.»