Text: David Schnapp | Fotos: Valeriano Di Domenico
Informatikerin, Köchin, Patissière. Ihre Karriere verlief nicht gradlinig und störungsfrei, aber irgendwann doch ziemlich erfolgreich. Felicia Ludwig aus dem Bindella-Vorzeigebetrieb «Ornellaia» in Zürich ist die GaultMillau Patissière des Jahres. Die heute 39-jährige gebürtige Rumänin hat in ihrer alten Heimat erst Informatik gelernt und kam dann mit 27 Jahren nach Deutschland. «Ich habe als Abwascherin in einem Hotelbetrieb in Schwäbisch Hall angefangen. Mein Chef hat gesehen, dass ich ein gewisses Talent zum Kochen habe und mir eine Ausbildung organisiert. Der Anfang war sehr hart, ich konnte die Sprache nicht und war mit Abstand die Älteste in meiner Klasse.»
Umschulung in Ascona. Der Einsatz und die Tränen haben sich gelohnt, Felicia Ludwig wurde Köchin, zog in die Schweiz und arbeitete erst als Köchin im famosen Suvretta House in St. Moritz und dann im eleganten Eden Roc am Lago Maggiore in Ascona. Bei Rolf Krapf im «La Brezza» wurde aus der Köchin schrittweise die Frau fürs Süsse: «Backen war schon als Kind meine Leidenschaft, den Wunsch, die Patisserie als Beruf auszuüben, gab es schon länger.» Dass sie erst Köchin gelernt habe, bereue sie keine Sekunde, sagt Felicia Ludwig. Es helfe ihr sogar, wenn es darum gehe, Desserts leichter, aber würziger zu machen, indem sie etwa mit Kräutern und Gewürzen arbeite.
Schokolade: Felchlin. Der süsse Trend gehe ohnehin in diese Richtung: «Ich versuche mit dem Zucker an die untere Grenze zu gehen und arbeite konsequent mit laktosefreier Milch. So werden die Süssspeisen leichter.» Zu den wichtigsten Zutaten in der Patisserie gehört ausserdem natürlich die Schokolade, Felicia Ludwig setzt zum Beispiel auf die Milch-Couvertüre Bolivia oder die dunkle Madagaskar mit 64 Prozent Kakaoanteil der Schweizer Manufaktur Felchlin aus Schwyz. «Diese Schokoladen mische ich oft und setze sie vor allem für Mousses oder Pralinen ein. Es wäre ja schade, wenn man ein so tolles Schweizer Produkt nicht nutzen würde», sagt Ludwig.
Colaiannis Feedback. Dass sie heute an einem Höhepunkt ihrer Karriere stehe, habe sie auch Anonio Colaianni zu verdanken, findet die Patissière des Jahres. «Mit Antonio zu arbeiten, hat mich eindeutig weitergebracht, er hat mir viel beigebracht – die Wichtigkeit der Säure beispielsweise – und hat mich mit seinem ehrlichen Feedback immer unterstützt. «Clouds», «Mesa», «Gustav» und jetzt «Ornellaia» sind die Stationen, die Felicia Ludwig zusammen mit ihrem Chef Colaianni in der Stadt Zürich gegangen ist. Nun arbeitet die Dessert-Spezialistin hinter einer riesigen Glasscheibe, welche die Küche vom Restaurant trennt. «Dass uns die Gäste bei der Arbeit beobachten könnten, ist ein tolles Gefühl. Ich freue mich, wenn ich beispielsweise beobachten kann, wie die Leute unsere Desserts fotografieren. Dieser stille Kontakt durch die Scheibe ist etwas Wertvolles», findet die sympathische Köchin und Patissière. Auf diese Weise erfahre sie Anerkennung für ihre Arbeit, die in einem gewöhnlichen Rahmen vielleicht geringer ausfallen würde.
Klassik, neu interpretiert. Ihre Handschrift hat sie in den letzten Jahren gefestigt, und zu einem unverkennbaren Stil gefunden: «Ich versuche klassische Desserts neu zu interpretieren oder zu dekonstruieren, das ist mein Weg und das kommt bei den Gästen sehr gut an», erzählt sie. Die Tarte au Citron oder Profiterolles in verschiedenen Formen gehören ebenso dazu wie Gerichte mit Äpfeln – Tartes, Strudel oder Bratapfel. Und den Eiskaffee, den Felicia Ludwig immer wieder neu erfindet, kann sie ebenfalls nicht von der Karte nehmen, er wird zu oft bestellt. In Zukunft werde sie vermehrt an veganen und noch leichteren Desserts arbeiten, «dieser Stil ist sehr gefragt», sagt Ludwig, bevor sie sich an die letzten Vorbereitungen für den Mittagsservice im «Ornellaia» macht.
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