Text: David Schnapp Fotos: Jason Loucas/David Schnapp
«Das beste Restaurant der Welt». Jahrelang war er ganz zuoberst, dann schloss der Däne René Redzepi sein «Noma» Ende 2016, und baute es an einem neuen Ort in Kopenhagen wieder auf. Seit Mitte Februar 2018 ist das Lokal wieder offen, zu den ersten Gästen gehört Nenad Mlinarevic, «Koch des Jahres 2016» und ehemaliger 18-Punkte-Chef im «focus» in Vitznau. Ein Platz an einem «Noma»-Tisch gehört gerade zu den begehrtesten Dingen in der weltweiten Restaurant-Szene.
Nenad vor der Tür. Bei Schneeregen und Kälte steht der schwarz gekleidete Schweizer vor dem Holztor des neuen «Noma». Die Anlage mit Gewächshäusern, Testküche und Restauranttrakt liegt direkt am Stadsgraven-Kanal. Bevor Nenad eintreten kann, bittet der Servicemitarbeiter, der vor der Tür wartet, um Geduld. Denn für jeden Gast, der durch die Türe tritt, wird ein Teil der Küchencrew im Entrée versammelt, um ihn laut und freundlich willkommen zu heissen.
«Noma» bedeutet harte Arbeit. Redzepi (grosses Bild, links) und Mlinarevic (rechts) begrüssen sich freundschaftlich, der Chef bringt seinen ehemaligen Stagaire gleich selber zum Tisch im heimeligen Gastraum. 2009 arbeitete der Schweizer Koch zwei Wochen im «Noma»: «Eine harte Zeit», erinnert er sich. Der Job im «Noma» besteht aus langen Tagen, strenger Organisation und einem Chef, der sehr konkrete Vorstellungen davon hat, was er gut und richtig findet. René Redzepi gehört zu den Miterfindern der nordischen Küche, die nur mit Zutaten aus der Region arbeitet. Ein Konzept, das Nenad auf seine Art umsetzte, als er im «focus» nur mit Zutaten aus der Schweiz gekocht hat – selbst Pfeffer und Olivenöl wurden aus der Küche verbannt.
Seeschnecke mit Kräutern. Das erste Gericht ist eine aromatische Brühe mit eingemachten Kräutern wie Thymian aus dem letzten Sommer. «Perfekt zum Start», findet Nenad. «Man kommt aus der Kälte und bekommt diese warme, reichhaltige, leicht ölige Seeschneckensuppe.» Schlag auf Schlag geht es weiter, laufend wird etwas Neues serviert. Redzepi sagt: «Wir wollen das Tempo hochhalten, damit die Gäste nicht müde werden und den Appetit verlieren.» 20 Gerichte werden innert zwei Stunden serviert.
Taktgeber aus dem Norden. «Seit meinem letzten Besuch 2011 hat sich das Konzept nochmals stark verändert», stellt Nenad fest. «Früher ging es um die nordische Region, heute geht es stark um die Saison». Im Winter Fisch und Meeresfrüchte, im Sommer Gemüse, im Winter Wild. «Das ist für mich die nächste Stufe: Ein noch stärker fokussiertes Konzept», sagt Nenad, «Redzepi gibt international wieder den Takt an.»
Perfekte Balance. Zu Nenads Favoriten gehören die Pferdemuschel mit Croutons, kleinen Muschelstücken und einer Sauce, die fast fleischähnliche Aromen hat, aber auf der Basis von Muscheln, hausgemachter Miso und Pilzen basiert. Rohe Shrimps liegen unter einem dünnen, durchsichtigen Cracker in einer Krustentierbrühe und aus den Köpfen der Shrimps saugt man die kräftige Krustentierbutter. «Der salzige Cracker, die rohen Shrimps mit ihrer leichten Süsse, dann die Brühe mit einer schönen Säure – die Balance ist perfekt», findet Nenad.
Ein sonderbares Tier. Jetzt stellt René Redzepi seinem Schweizer Kollegen eine Seegurke auf den Tisch. Sie lebt noch und wird wie Königskrabben, Seeschnecken oder Shrimps in Becken lebend gehalten und erst kurz vor der Verarbeitung herausgenommen. Zweimal wöchentlich kommen die Meeresprodukte ultrafrisch im Restaurant an. Die Seegurke ist nur Show, zu essen gibt es das zum knusprigen Chip getrockenete Innere des Tiers sowie kleine Stücke der Haut mit Walnüssen und geschlagenem Rahm. Nenads Urteil: «Der Geschmack erinnert ein bisschen an Speck – ein Mega-Gericht!»
65 Köche für 140 Gäste! Das «Noma» lebt auf grossem Fuss. Bei einer Führung sieht der Schweizer Koch, wie seine Kollegen in einer Vorbereitungsküche Muscheln auslösen, Kabeljauköpfe putzen, Seeschneckenkaviar herausgrübeln. Nenad erklärt: «Die Stagaires machen den ganzen Tag nur Mise en Place. In der Frontküche vor den Gästen stehen nur die Chefs de Partie. Es ist eine riesige Maschinerie, und die Produktion muss fast ein Jahr im voraus geplant werden.» Die «Mannschaftsaufstellung»: 65 Köche. 20 Mitarbeiter im Service. Für 140 Gäste pro Tag.
Nenads leise Kritik. Gegen Ende des Menüs findet Nenad einen Haken: Der Hauptgang ist eine Art Barbecue aus Kopfstücken des Kabeljaus, der einzige Fisch im Programm. «Ich hätte schon gern auch einen Steinbutt gegessen, den gibt es in der Nordsee ja auch», findet Nenad. Und die Desserts stuft er als «schwächsten Teil des Menüs ein»: Maulbeeren mit Joghurtgranitée, ein Planktontörtchen oder Algen-Glace mit Blaubeeren. «Die Desserts wirken für mich etwas zu flach, die perfekte Balance der anderen Gerichte fehlt. Bei der Radikalität des Konzepts hätte man die Süssspeisen auch einfach ganz weglassen können, weil es hier im Winter keine Produkte gibt, die sich für Desserts wirklich eignen.»Trotz allem ist Nenad begeistert vom neuen «Noma»: «Die Grosszügigkeit der Anlage, die Organisation, das enorm fokussierte Konzept und die tolle Balance der Gerichte sind schon einmalig», findet der Schweizer Koch, bevor er wieder in den eisigen Kopenhagener Schneeregen hinaustritt.
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Noma
Refshalevej 96
Kopenhagen, 1432
Dänemark
Reservation nur online: http://noma.dk