Text: David Schnapp
Daniel Humm, als wir uns im Februar dieses Jahres zum letzten Mal gesehen haben, hatten Sie Ihre Geschäfte neu geordnet, Teile davon abgestossen, Partner ausbezahlt und waren dabei, nochmals durchzustarten. Was passierte danach?
Wir haben die Restaurants «Eleven Madison Park» (EMP) in New York und «Davies and Brook» in London so lange wie möglich offen gehalten, während andere schon geschlossen hatten. Ich war auf einem Höhepunkt meiner Karriere: Die Kritiken waren ausgezeichnet, der finanzielle Erfolg war da, ich hatte ein super Team und jeder Platz in den Restaurants war auf Wochen ausgebucht. In der Nacht zum 16. März 2020 brach alles zusammen.
War Ihnen klar, dass die Schliessung der Restaurants und andere Massnahmen das Ende des «Eleven Madison Park» bedeutete, wie es bisher war?
Nein, überhaupt nicht. Als der Shutdown kam, habe ich gedacht: «Das ist eine Sache von zwei, drei Wochen.» Niemand konnte ahnen, dass dieses Team niemals mehr zusammenarbeiten wird. Wir hatten mit allen Angestellten in London und New York rund 350 Leute. In New York musste ich fast alle entlassen, das amerikanische Sozialsystem lässt einem keine andere Wahl. Mittlerweile haben rund 70 Prozent meiner ehemaligen Mitarbeiter die Stadt verlassen oder die Branche gewechselt.
Was bedeutet das für Sie?
Für mich war das zunächst ein schwer auszuhaltender Gedanke. Viele dieser Leute haben sehr lange und eng mit mir zusammengearbeitet. Ich habe unglaublich viel Zeit in die Menschen in meinem Unternehmen investiert, denn das Kapital in solchen Restaurants sind die Leute, die darin täglich arbeiten. Auf mein Team war ich sehr stolz, da kam ein enormes Mass an Knowhow und Hingabe zusammen. Dass es dieses Team nie mehr geben wird – darüber darf ich gar nicht zu lange nachdenken, das ist zu niederschmetternd.
Seit dem März ist das «Eleven Madison Park» geschlossen, was waren die finanziellen Folgen?
Die Krise hat mich auch finanziell getroffen: Die Firma stand mehrfach kurz vor dem Konkurs, ich musste durch den Verkauf von Kunstwerken und einer Immobilie in Los Angeles private Mittel frei machen. Das empfinde ich aber nicht als Verlust, ich war immer bereit, alles zu verlieren. Es ist ein harter Bruch, aber auch ein Riesengeschenk: Ich habe auf einem Höhepunkt nochmals die Chance, neu anzufangen. Diese Möglichkeit kriegt man in meinem Alter und mit einer solchen Geschichte sonst praktisch nie.
Die berühmte Krise, die zur Chance wird?
So sehe ich das, ja. Ich bekomme eine weisse Leinwand geschenkt, auf der ich neu beginnen kann. Dabei habe ich ein viel grösseres Wissen und eine klare Vorstellung davon, was ich will. Ich kann das Beste von dem nehmen, was schon da war, und es noch besser machen.
Aber die Möglichkeit, dass die Krise das Ende des «Eleven Madison Park» sein könnte, war gegeben?
Es gab immer wieder Momente, wo ich nicht wusste, ob es weiter geht, und das war beängstigend. An Gegenständen, selbst an schönen Kunstwerken hänge ich nicht; aber das EMP zu verlieren, war ein unerträglicher Gedanke. Ich habe so viele Stunden und Herzblut in dieses Restaurant investiert. Es wäre kaum möglich gewesen, das in einem neuen Projekt zu wiederholen. Es gibt keinen Ort, wo ich mehr Zeit verbracht habe, als in diesem Restaurant.
Während des Lockdowns in New York wurden Sie in kurzer Zeit zum «Social Entrepreneur», indem Sie mit einem kleinen Team Essen für Bedürftige produziert haben. Was ist der Grund für dieses Engagement?
Mich hat schon länger gestört, dass wir nur für eine ganz kleine Gruppe von Leuten Essen zubereitet habe. Jetzt habe ich einen Weg gefunden, wie beides möglich ist: Essen als Kunst oder Broadway Show zu zelebrieren, wie wir das im «Eleven Madison Park» getan haben, aber auch Essen als Hilfe für Leute bereitzustellen, wo es nötig ist.
Und wie sieht das konkret aus?
Die Organisation Rethink, die ich mitbegründet habe, motiviert Restaurants dazu, zu einem günstigen Preis Mahlzeiten zu produzieren. Wir kaufen mit Hilfe von Partnern wie American Express und dank Spenden diese Essen und verteilen sie an die Leute, die es brauchen können. Alleine im EMP produzieren wir 5000 Essen pro Tag, und insgesamt verteilt Rethink täglich 80'000 Mahlzeiten. Alleine in New York gibt es allerdings zwei Millionen Menschen, die «food insecure» sind, wie es hier heisst.
Wie soll es mit diesem Projekt weitergehen?
Wir versuchen, immer mehr Restaurants dazu zu bewegen, sich zu beteiligen. Im Grunde genommen müssen die Gastronomen ja bloss Mahlzeiten, wie sie in der Regel für die Mitarbeiter zubereitet werden, in einem grösseren Stil produzieren. Und als Köche haben wir eine zentrale Rolle in der Nahrungskette. Wir haben den Kontakt zu Produzenten und die Fähigkeiten, auch mit wenig Mitteln etwas Gutes zu machen.
Das EMP ist gerettet, aber trotzdem geschlossen. Andere bekannte Restaurants in New York empfangen wieder Gäste. Wann können Sie wieder öffnen?
Wir planen, das EMP im Juni 2021 wieder aufzumachen. Im Moment ist die Lage zu unsicher, und da der grösste Teil des Teams nicht mehr verfügbar ist, muss ich eine ganz neue Crew aufbauen. Das kann ich aber nicht tun, wenn der nächste Shutdown droht. Ausserdem sind die Kosten für die Wiederaufnahme des Betriebs enorm hoch, das können wir uns nur einmal leisten. Deshalb nehmen wir uns die Zeit, um ein neues Konzept zu erarbeiten. Wir werden dafür reisen, Recherchen betreiben und in unserer Testküche arbeiten, um herauszufinden, was für eine Art Restaurant wir sein wollen.
Aber dass das EMP zum Bistro wird, wie man schon lesen konnte, schliessen Sie aus?
Auf jeden Fall, mein Ziel ist es, wieder das beste Restaurant der Welt zu werden, und ich denke, dass meine Ideen vom Kochen gut in diese Zeit passen: Ferran Adrià hat den Weg mit neuen Techniken bereitet, René Redzepi hat uns viel über die Herkunft der Zutaten gelehrt und meine Rolle sehe ich darin, Fine Dining auf unprätentiöse Art einer neuen Generation von Gästen zugänglich zu machen. Aber so etwas wie ein «EMP light» kann es niemals geben.
Was macht für Sie heute so etwas wie «das beste Restaurant der Welt» aus?
Ein Restaurant wie das EMP kann eine Pionierrolle in der Welt der Restaurants einnehmen, wenn es darum geht, Essen als eine kunstvolle Performance wie eine Show am Broadway erlebbar zu machen. Dabei spielt in allen unseren Lokalen – «Eleven Madison Park», «Davies and Brook» und auch im zukünftigen «425» – Architektur eine Rolle, Kunst ist wichtig und natürlich bleibt die Qualität des Essens zentral.
Von welcher Art Qualität sprechen Sie?
Wir müssen noch mehr darüber nachdenken, welche Rolle die Produkte auf einem Teller haben. Wir alle haben Fehler gemacht, in der Art, wie wir kulinarischen Luxus definiert haben. Und manchmal habe ich fast ein schlechtes Gewissen deshalb. An einem See in der Schweiz habe ich vor einiger Zeit ein Gericht gegessen, wo Kaisergranat aus Südafrika mit Kaviar aus China zusammen auf dem Teller lag. Was haben diese beiden Zutaten miteinander zu tun? Ich glaube nicht, dass man so weitermachen kann. Luxus ohne grösseren Zusammenhang, macht für mich keinen Sinn mehr. Das heisst, dass man auch etwas zurückgeben muss.
Viele Restaurants in New York und Amerika sind immer noch geschlossen, die Mitarbeiter sind weg. Wo finden Sie überhaupt neues Personal, wenn es so weit ist?
Neben dem Restaurant selbst und der Organisation Rethink sind wir hier beim dritten Gleis, auf dem ich zukünftig unterwegs sein möchte. Ich habe in den letzten Monaten viele Gespräche mit Experten aus dem Ausbildungs- und Schulbereich geführt. Heute ist es in Amerika so, dass man nach der High School eine teure Culinary School absolvieren muss, bevor man in einem Restaurant arbeiten kann. Ich selbst war bekanntlich ein totaler Schulversager, aber die Kochlehre habe ich als einer der besten meines Jahrgangs abgeschlossen. Das Ziel muss sein, dass wir als Restaurants Talente fördern und ausbilden, die uns sonst entgehen würden.
Haben Sie während der ganzen Krisen-Monate, der Unsicherheit, den Verlusten jemals daran gedacht, alles hinzuwerfen und etwas ganz Anderes zu machen?
Seit dem März habe ich einen unglaublichen Kampf ums Überleben geführt: Verhandlungen mit dem Vermieter, mit Lieferanten oder um die Finanzierung. Dabei habe ich immer gehofft, dass ich das, was ich gern tue, auch weitermachen kann. Aber etwas ganz Anderes zu machen kann ich mir nicht vorstellen. Im Gegenteil: Die Restaurant-Branche in den USA ist am Boden, die Hälfte aller Restaurants wird vielleicht nie mehr öffnen. Mit dem EMP und mit unseren Projekten können wir der Gastronomie neue Kraft verleihen, indem wir ihr kulinarische, aber auch soziale Impulse verleihen.
Fotos: Craig McDean, Evan, Sung, Peter Lueders, Clerkenwell Boy, David Schnapp