Fotos: Digitale Massarbeit

Mann aus den Bergen. Manchmal scheint Fabrizio Zanetti gar nicht nachvollziehen zu können, warum der Besucher aus dem Unterland eine Frage stellt. Nicht, dass er keine Antwort parat hätte – der 44-jährige Koch erklärt immer knapp, aber präzise. Aber wie viele andere, die in den Bergen aufgewachsen sind und sozialisiert wurden, sieht Zanetti nicht viel Sinn darin, die eigene Tätigkeit wortreich zu erklären. Wichtig ist, dass man tut, was getan werden muss. Seit 2015 ist Zanetti Executive Chef im Grandhotel Suvretta House in St. Moritz, seit diesem Jahr zählt der «Aufsteiger des Jahres» mit 17 Punkten im GaultMillau zu den besten Hotelköchen der Schweiz. Und wie der Küchenchef souverän den Spagat zwischen einem Teller hausgemachter Pizzoccheri mit viel Käse und Salbei und einem handwerklich hochstehenden Wildvogel-«Pithiviers» (grosses Bild oben) schafft, gehört zu den Fragen, die ihm ein interessierter Beobachter stellen muss. Und dann sagt der Küchenchef mit den nach hinten gebändigten Locken kurz und trocken wie Paniermehl: «Einen schönen Teller für Instagram anrichten kann jeder. Aber in einem Hotel muss auch ein Club-Sandwich oder ein Ceasar Salad top sein. Das ist wichtiger als die Variation von der Taubenbrust.»

Suvretta House

Grosse Geschichte: Seit 1912 ist das Swiss Deluxe Hotel Suvretta House eine erstklassige Engadiner Adresse.

«Hands-on-Chef.» Zanetti beherrscht beides, er ist, wie er selber sagt, ein «Hands-on-Chef». Das heisst, er sitzt nicht in seinem Büro und wartet, bis er den Abendservice in Feldherrenmanier überblicken kann. «Ich bin täglich bei den Vorbereitungen dabei, portioniere Fisch und Geflügel. Und wenn es brennt, greife ich ein», sagt Zanetti über seinen Führungsstil. Wie man auf hohem Niveau auch für sehr viele Leute kocht, hat der Schweizer aus den Oberengadiner Bergen in London gelernt: «Die eineinhalb Jahre bei Gordon Ramsay haben mich geprägt.» Beim britischen Koch und TV-Star habe er gesehen, wie man auch für 200 Gäste Essen auf dem Niveau von damals einem Michelin-Stern zubereiten könne. Das schaffe man mit Organisation und einem «klaren Kopf», so Zanetti: «Wenn wir an Weihnachten 250 Gäste haben, fangen wir um 20 Uhr an, und um 22 Uhr ist das Menü serviert. Das hat viel mit Ausdauer zu tun, man darf nur nicht schnell müde werden.»

Suvretta House, Fabrizio Zanetti, Hirschragout

Einfache Küche auf hohem Niveau: Hirschragout im Suvretta House.

Suvretta House, Fabrizio Zanetti, Zabaione al Marsala

Ein Chef, der anpackt: Fabrizio Zanetti in der Hotelküche.

Raue Schönheit. Szenenwechsel: Aus der riesigen Hauptküche des imposanten «Suvretta House» geht es hinaus in die raue Schönheit des Hochtals, das Maler, Dichter und Philosophen inspiriert hat, aber auch für einen «Hands-on-Koch» wie Fabrizio Zanetti Inspiration bereithält. Der Schriftsteller Hermann Hesse schrieb über die Schönheit dieser Gegend: «Gesehen habe ich viele Landschaften und gefallen haben mir beinahe alle. Und die schönste, am stärksten auf mich wirkende Landschaft von allen ist das obere Engadin.» Fabrizio Zanetti hat einen bodenständigeren, praktischeren Zugang zu seiner Heimat. Auch wenn er es nie so nennen würde: Sein Ausdruck von Poesie ist ein Teller, der einen anspruchsvollen Gast zufrieden in den Restaurantstuhl sinken lässt. Die Basis dafür sind «gute Produkte», mit denen «grosszügig» umgegangen wird.

Suvretta House, Fabrizio Zanetti, Schafzüchter, Andri Casty, Bio-Lammfleisch

Inspirierende Landschaft: Schafherde von Andri Casty im Engadiner Herbst.

Lamm & Kartoffeln. Dazu gehört Lamm vom 46-jährigen Züchter Andri Casty, der rund 420 weisse Alpenschafe hält. «Das sind robuste, gesunde Tiere, die beim Gebären keinen Tierarzt brauchen», sagt der Landwirt und formuliert ebenso knapp und klar wie sein Gegenüber aus der Grand Hotellerie. Nach dem Ausflug auf die Weide mit neugierigen Schafen und munter hüpfenden Lämmern geht es in die dunkle Scheune von Kartoffelbauer Arno Gabriel in Salvuns. Bei sechs bis acht Grad lagern seine Raclettekartoffeln, dazu Sorten wie Jelly, Agria, Heiderot und Blaue Sankt Galler. Nur die vielbeschriebenen alten Sorten baut er nicht an, «die sind nicht lagerfähig», sagt Gabriel. 50 Tonnen erntet er pro Jahr, Fabrizio Zanetti nimmt ihm davon acht bis zehn Tonnen ab. In dieser Höhe, erklärt der Bauer, «wachsen die Kartoffeln langsamer und entwickeln mehr Geschmack». Aus seiner Sicht, sagt er noch zum Abschied, habe der Klimawandel auch etwas Gutes: «Früher gab es hier oben nur Wiesen und Weiden, heute können wir Gemüse anpflanzen.»

Suvretta House, Fabrizio Zanetti, Schafzüchter, Andri Casty, Bio-Lammfleisch

 Neugierige Schafe und hüpfende Lämmer: Züchter Andri Casty mit seinem Arbeitsfahrzeug.

Suvretta House, Fabrizio Zanetti, Arno Gabriel, Kartoffelbauer

«In dieser Höhe wachsen die Kartoffeln langsamer und entwickeln mehr Geschmack»: Bauer Arno Gabriel.

Sprachen, Action, Hektik. Zurück im Hotel, ist es in der beeindruckenden grossen Halle nachmittags angenehm ruhig. Die riesigen Fenster geben einen magischen Blick auf Wald und Berge frei, während Tee, Canapés und süsses Gebäck aufgetragen werden. Von zehn Uhr morgens bis ein Uhr nachts werden hier Gäste bedient, jetzt ist die perfekte Zeit für den «Full English Suvretta House Afternoon Tea». Die Clotted Cream zu den «home made Scones» – mit und ohne Rosinen – wird aus Grossbritannien importiert, für alles andere ist Chef de Pâtisserie Johannes Bonin zuständig. Zusammen mit Souschef Felix Brendelberger gehört er zu Zanettis wichtigsten Leuten. Zanetti selbst ist hier angekommen. Er habe immer in einer grossen Hotelküche arbeiten wollen. Seit er als 14-Jähriger eine zweiwöchige Schnupperlehre im «Palace» in St. Moritz gemacht habe, «wollte ich nie etwas anderes werden als Koch». «Die vielen Sprachen, die Action, die Hektik waren für mich das Grösste. Dabei ist es geblieben.» Mehr gibt es über die Liebe eines hervorragenden Küchenchefs zu seinem Beruf auch nicht zu sagen.

Suvretta House, Johannes Bonin (Executive Pastry Chef), Fabrizio Zanetti, Felix Brendelberger (Sous Chef)

Starkes Team: Johannes Bonin (Executive Pastry Chef), Fabrizio Zanetti und Felix Brendelberger (Sous Chef).

Suvretta House, Fabrizio Zanetti, Teatime

Ein Klassike: hausgemachter After Noon Tea auf englische Art in der grossen Halle des Hotels.

>> Dieser Artikel ist zuerst im GaultMillau Magazin erschienen, das viermal jährlich der «Schweizer Illustrierten» beiliegt.

>> www.suvrettahouse.ch