Fotos: Remy Steiner
Nur mit «Torchon». Zur vereinbarten Zeit um 9 Uhr stehe ich mit frisch gebügelter Kochjacke und geschliffenen Messern bereit in der Küche der Taverne zum Schäfli von Christian Kuchler in Wigoltingen TG. Der Chef zeigt mir die Garderobe, wo Schürzen und «Torchons» zu finden sind, so heissen Geschirrtücher in einer klassisch ausgerichteten Küche. Jeder Koch mit wenigstens einem Teelöffel voll Berufsstolz hat einen «Torchon» an der Schürze hängen, um jederzeit ein heisses Blech bewegen zu können, oder um die Hände nicht an der Schürze selbst abwischen zu müssen. Grosses Bild oben: Küchenchef Christian Kuchler links, Praktikant Schnapp.
Brot, Käse, Konfitüre. Als nächstes werde ich von Senior-Chef Wolfgang Kuchler, der das «Schäfli» von 1983 bis 2014 geführt hat, zum Frühstück eingeladen. Für den eben aus München in die Schweiz zurückgekehrten Garde Manger, Ramon Sattler, zuständig für die Vorspeisen, stehen zwei Joghurt bereit. Am Tisch sitzt auch Christians Mutter Marlies Kuchler, es gibt Brot, Käse, Konfitüre und eine lockere familiäre Atmosphäre. Christian Kuchler selbst nutzt die ruhige Zeit in der Küche, um Fonds zu pflegen und seinen Saucier-Posten für die kommenden Tage vorzubereiten. Später, nach dem Mittagservice wird er sagen, dass die Familie das Geheimnis des «Schäfli»-Erfolgs sei. Kuchler hat treue Mitarbeiter, Patissier Daniel Simunic etwa arbeitet seit fast 15 Jahren mit ihm zusammen.
Sprüche auf Bierzelt-Niveau. Zwischendurch fragt Christian Kuchler, ob ich damit rechne, heute noch mit der Arbeit fertig zu werden. Der Umgangston in der Küche ist locker und auch flapsige Sprüche auf Bierzelt-Niveau gehören dazu. Die Atmosphäre ist dennoch von einer konzentrierten Fokussierung und gegenseitigem Respekt geprägt. «Leben und leben lassen», könnte das unausgesprochene Motto lauten, den schweigsamen Patissier Simunic lässt man ebenso in Ruhe, wie andererseits Witze über die graphologisch zumindest auffällige Handschrift von Chef de Service, Fabian Mennel, zulässig sind. Auf kleinen Zetteln notiert er, was die Gäste bestellt haben. Für mich sieht das so geheimnisvoll aus wie eine Grabinschrift in Ägypten.
Hilfe vom Starchef aus Portugal. Nach dem doppelten Espresso und einem Käsebrot beziehe ich meinen Posten am Pass zwischen Christian Kuchler und Entremetière Monika Huber, die gerade einen grossen Topf Cassisrotkraut zubereitet und auch sonst für alle Beilagen und Gemüse zuständig ist. Der Chef hat mich allerdings für tierische Aufgaben vorgesehen, ich bekomme es mit allerlei aus dem Wasser zu tun. Erst gilt es gekochte Miesmuscheln aus der Schale zu pulen und die schönen grossen Exemplare zur späteren Verwendung auszusortieren. Mehr Mühe macht danach das Öffnen der leicht pochierten Gillardeau-Austern. Muscheln mit der felsenartigen harten Schale geben ihr Geheimnis nicht gerne preis, so scheint es. Hilfe naht von überraschender Seite: Starchef Dieter Koschina von der Algarve ist gerade ein paar Tage für Vorbereitungsarbeiten im Haus und hilft bei Exemplaren, die ich auch mit viel Kraft und noch mehr gutem Willen nicht öffnen kann.
Das erste Mal. Während dem Service darf ich Mennel, GaultMillaus Sommerlier des Jahres 2025, dann in die Gaststube begleiten und zwei Stammgästen, die das Trüffelmenü bestellt haben, weissen Trüffel über das Kalbsfilet hobeln. Ich bin wohl, wenn ich den Gesichtsausdruck von Fabian Mennel richtig deute, etwas zu grosszügig mit dem kostbaren «Tuber Magnatum Pico» umgegangen, habe aber trotz meiner Nervosität immerhin das Gericht richtig angesagt. Und es geht gleich weiter mit Dingen, die ich zum ersten Mal mache. Die nächste Aufgabe kostet allerdings noch mehr Überwindung. Ein Kilogramm zarte Froschschenkel hat mir Christian Kuchler bereitgestellt. Sie stammen aus einer angesehenen Zucht in Vallorbe VD und sind dank schweizerischen Tierschutzbestimmungen aus ethischer Sicht einwandfrei. Mit zwei Schnitten wird die Hüfte herausgetrennt, dann der dickere Teil des Fleisches am Unterschenkel abgelöst und der Knochen selbst abgetrennt. Dann schiebt man das Fleisch über den verbleibenden Oberschenkelknochen, der nach dem Garen als Griff dient, um die gebratenen Froschschenkel von Hand essen zu können. So gewöhnungsbedürftig die Tätigkeit ist, so fasziniert bin ich gleichzeitig immer wieder davon, mich Dingen, die ich bei anderer Gelegenheit ganz selbstverständlich serviert bekomme mit gewissermassen anatomischer Präzision zu nähern und auf diese Art näher kennenzulernen.
Geheimnis: viel Butter! Die Froschschenkel werden später mit Mehl bestäubt (mehliert) und dann in – sehr viel! – Butter, und Knoblauch gebraten, zum Schluss kommt grosszügig glattblättrige Petersilie hinzu und mit etwas Kartoffelpüree wird daraus eine herzhafte Vorspeise. Zwei Gäste haben genau dies und einen gemischten Salat bestellt, im «Schäfli» werden auch solche für ein 18-Punkte-Restaurant eher ungewöhnliche Wünsche gerne erfüllt. Bevor ich selbst eine Portion Froschschenkel essen kann, gilt es noch 30 Stück handgetauchte norwegische Jakobsmuscheln zu sezieren. Mit einer Palette wird das weiche Innere von der pittoresken Schale getrennt. Den orangefarbenen Corail, letztlich das Geschlechtsorgan des Tiers, entferne ich von der so genannten Nuss, dem festen weissen Fleisch, das zum Schluss sauber geputzt zur späteren Verwendung in Behälter geschichtet wird.
«Ich gehe für jeden durchs Feuer.» Der Mittagservice geht dabei routiniert über die Bühne, jede und jeder weiss in dieser Küche genau, was zu tun ist. Christian Kuchler führt seine Leute indem er mit gutem Vorbild vorangeht. Nach seiner Zeit beim früheren 19-Punkte-Koch Didier de Courten in Sierre und zwei Jahren bei Superstar Alain Ducasse in Paris habe er gewusst, dass er deren hierarchisch-militärischen Führungsstil keinesfalls übernehmen wollte, sagt Kuchler. Mit einem kooperativen Stil sorge er stattdessen für Transparenz, Förderung, eine familiäre Atmosphäre und gehe für jeden seiner Köche durchs Feuer, sagt der «Schäfli»-Chef. Ein wenig von dieser Förderung habe ich immerhin während meines Praktikums erfahren und weiss jetzt, wie man Austern, Mies- und Jakobsmuscheln öffnet, Froschschenkel seziert und (nicht zu viel) Trüffel hobelt.