Fotos: Olivia Pulver
Die Ruhe selbst. In der Gastronomie spricht man gerne von den «jungen Wilden». Jung ist Felix Anneler zweifellos. Aber wild? Der 26-Jährige steht ruhig in der Küche des Restaurants «Verena» in Olten. Konzentriert brät er den Bierrettich an. Er soll eine schöne Farbe annehmen, aber auf keinen Fall verbrennen. Seine Handgriffe sind gezielt und bedacht. Worte verliert er nur wenige. «Wie würdest du das Randensteak anrichten?», fragt er seinen Kollegen Dave Wälti. Die beiden teilen sich die L-förmige Küche. Sie sind Co-Köche, könnte man sagen. In Büros ist das modern, in der Gastronomie eher ein Novum. Doch für die beiden stimmt die Situation. «Ich würde die Pickles auf der dehydrierten Rande anrichten. Ich mag es nicht, wenn eine gerade Anzahl an Komponenten auf dem Teller ist», so der Vorschlag des Chefs. Dave Wälti ist im «Verena» Geschäftsführer, Gastgeber, Koch und Spüler. «Ich bin da, wo es mich braucht», sagt er. Felix Anneler ist der Küchenchef. Und das obwohl er die Weiterbildung zum Chefkoch noch gar nicht absolviert hat. «Ich bin dran», macht er aber deutlich.
Vegane Jakobsmuschel. Den Bierrettich braucht Anneler für ein neues Gericht: vegane Jakobsmuschel in einer Beurre-blanc. «Oft kreieren Dave und ich die Gerichte zusammen. Ich bringe rohe Ideen und Dave feilt sie zur Perfektion aus», sagt Anneler. «Hier haben wir uns aber von Instagram inspirieren lassen», ergänzt Wälti. Der Rettich soll nicht die Meeresfrucht imitieren oder ersetzen, sondern die Gäste verblüffen. Das gelingt den beiden Köchen auch mit dem Rüeblitartar. Ein Signature Dish von Wälti, den er in seiner Karriere immer mal wieder serviert hat. Wältis Art zu kochen gefällt auch seinem Kompagnon. Regionale Produkte zu verwenden, das kennt Anneler von zu Hause. «Obwohl ich mitten in der Stadt Bern aufgewachsen bin, hatten wir immer Gemüse vom Markt und Fleisch direkt vom Bauern», erinnert sich Anneler.
«Habe den Druck gebraucht.» Eine grosse Hilfe in der Küche war er zu Hause aber nicht. «Ich habe nie geholfen», sagt er und lacht. Auch zur Kochlehre kam er eher durch Zufall. «Ich war zu faul, um mich um eine Schnupperlehre zu kümmern. Da bin ich einfach zu meiner Tante in die Altersheimküche gegangen.» Der Beruf gefiel ihm und er bewarb sich im 5-Sterne-Hotel Schweizerhof in Bern. «Ich wusste: Wenn ich Koch werden will, dann richtig.» Anneler lernte bei Silvan Durrer in «Jack’s Brasserie» das Handwerk. «Der Einstieg in den Beruf war sehr streng. Aber ich glaube, ich habe diesen Druck gebraucht», sagt er selbstkritisch. In Erinnerung geblieben ist ihm vor allem noch eines: die vielen Wiener Schnitzel. Rund 20’000 panierte Kalbsplätzli gehen dort pro Jahr über den Pass. «Ja, Schnitzel ausbacken kann ich sehr gut», sagt Felix. «Aber ich bin auch froh, dass wir hier im Verena ein anderes, moderneres Konzept haben.»
Saisonale Produkte aus der Region. Das moderne «Verena»-Konzept basiert auf der Saisonalität. Was auf dem Menü steht, variiert stets. Der Gast überlässt es dem Chef, was auf den Tisch kommt. Omakase nennt man das in Japan. «Wir arbeiten mit einem Bio-Bauern aus Brittnau AG zusammen und nehmen, was er uns liefert», sagt Anneler. Das Fleisch bezieht Anneler von der Metzgerei Simpel in Bern. Den Fisch liefert Bianchi. Zum Beispiel aus der Lachsforellenzucht in Bremgarten oder aus dem Lago Maggiore. «Das war für mich am Anfang eine der grössten Herausforderungen. Ein eigenes Produzentennetzwerk aufzubauen», sagt Anneler. «Aber zum Glück habe ich Dave. Er kann auf ein grosses Netzwerk zurückgreifen und hat mir immer geholfen.» Felix Anneler ist in seine Rolle hineingewachsen. «Dave gibt mir Rückendeckung. Er ist eine grosse Inspiration und hat mich sicher sehr geprägt», sagt Anneler.
Gefährten seit mehreren Jahren. Kennengelernt haben sich Dave und Felix im «Casino» in Bern. «Ich kannte Dave vom Hörensagen und wollte zu ihm an die Bistro Bar im Casino», erzählt Felix. «Noch vor dem Vorstellungsgespräch hat mich Florian Betschen im Team willkommen geheissen.» Der Fauxpas des heutigen Casino-Chefs bringt Felix Glück. Er startete als Commis und arbeitete sich zum Chef de Partie hoch. Nach Wältis Abgang im Casino ging Anneler nach Zermatt. Die Wege der beiden Berner kreuzten sich wieder. Anneler half Wälti bei verschiedenen Pop-ups oder dem Empanada-Projekt «Al Toque». «Als Dave mit dem ehemaligen Zollhaus auf mich zukam, habe ich mir das Lokal angeschaut. Wir haben beide gesagt, wir wären blöd, wenn wir es nicht versuchen würden.»
Auf Anhieb 15 Punkte. Zunächst wurde renoviert und umgebaut. Nur innen, denn das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Aus dem «Zollhaus» wird das «Verena». Für nicht Oltener: Die heilige Verena ist die Schutzpatronin der Stadt. Ihr Antlitz prangt an der Fassade des kleinen Häuschens unweit des Bahnhofs. Stammgäste von früher nennen das Lokal partout weiter «Zollhaus». Für Wälti und Anneler ist das kein Problem. Sie wagen den Spagat und versuchen mit ihrer Küche und dem Ambiente, allen Gästen gerecht zu werden. Das «Verena» ist eine gemütliche «Beiz», in der man auf sehr hohem Niveau isst. Der GaultMillau bewertete das Lokal auf Anhieb mit 15 Punkten. «Die Nachricht hat mich sehr gefreut, aber auch überrascht. Gleichzeitig entstand auch ein gewisser Druck, weil ich wusste: Jetzt dürfen wir uns keine Fehler mehr erlauben.»