Text: Isabel Notari | Foto: Thomas Buchwalder
Rolf Fliegauf, «dry age» bei Fleisch ist bekannt. Aber «agen» bei Fisch?
Das hört sich erst mal paradox an, nicht wahr? Denn jeder denkt, dass Fisch so frisch wie möglich auf den Teller kommen soll. Da muss ich ein Veto einlegen, dem ist teilweise überhaupt nicht so. Und zwar geht es vor allem um die grossen Fische. Die brauchen nämlich ein bisschen Zeit, um noch besser zu werden – und vor allem zarter.
Was heisst «ein bisschen Zeit»?
Das kommt auf den Fisch an. Einen Steinbutt von acht bis zehn Kilo haben wir schon bis zu zehn Tage in der Kühle hängen lassen. Eine konstante Temperatur – zwei Grad, knapp über dem Gefrierpunkt – ist natürlich wie beim Fleisch sehr wichtig. Temperaturschwankungen darf es beim Fisch nicht geben.
Wird der Fisch vor der Reifung präpariert?
Unbedingt. Die Tiere hängen zwar in der Kühle, aber Kiemen und alle Innereien müssen entfernt werden. Sie würden beim Reifen zu schnell verderben.
Was bringt das «Agen» denn beim Fisch?
Das Ziel ist, den Fisch zarter zu machen und den Geschmack zu intensivieren.
Schmeckt er dann penetrant nach Fisch?
Eben nicht. Ich erkläre mal, wie wir vorgehen: Wir kriegen einen superfrischen grossen Fisch, nehmen ihn aus, waschen ihn und hängen ihn auf. Nach zwei Tagen fängt er an, ein wenig nach Fisch zu riechen. Ein, zwei Tage später beginnt die Haut, trocken zu werden, so ein bisschen wie Leder; der Geruch verliert sich, der Fisch verliert Wasser, und dadurch wird das Aroma kräftiger.
«Agen» scheint nur etwas für Fortgeschrittene zu sein.
(lacht) Erfahrung und Fingerspitzengefühl braucht es, ja. Wir mussten uns auch herantasten. Und sehr wichtig: Wird der gereifte Fisch filetiert, muss er schnell weiterverarbeitet werden.
Funktioniert das «Agen» zu Hause, zum Beispiel mit Fischfilets?
Nein, das funktioniert leider nicht. Die gehen kaputt. Der Fisch muss gross und ganz sein, er braucht so etwas wie eine Schutzhülle um sich herum.
Japaner legen Fische in Salzlake ein. Ist das die Alternative für zu Hause?
Eine sehr gute sogar! Wir machen das ebenfalls mit vielen Fischen – im Verhältnis 2,5 Prozent Lake, also 100 Milliliter Wasser, 2,5 Prozent Salz.
Was bringt das denn?
Es geht ja darum, das Produkt zu verbessern. Salz hat die Eigenschaft, Wasser aus dem Produkt zu ziehen. Der Salzgehalt gleicht sich aus, der Fisch wird fester, gewinnt an Textur und Geschmack. Ausserdem findet ein leichtes Salzgaren statt, was ja eine Haltbarmachung ist. Für alle, die knusprige Fischhaut lieben, habe ich übrigens noch einen besonderen Tipp: Den Fisch in eine Salz-Zucker-Beize im Verhältnis 60:40 einlegen – dann wird die Haut extrem crunchy.
Lässt sich der Salz-Trick auch bei anderen Produkten anwenden?
Sehr gut sogar. Besonders Geflügel wird auf diese Weise sehr schmackhaft. Da kann man auch gut noch Kräuter hinzugeben. Eine Lammkeule allerdings wird bei uns nicht gebadet, die legen wir nicht flüssig, sondern trocken ein.Das heisst, sie wird mit etwas Meersalz, Kräutern und Knoblauch eingerieben, nach 24 Stunden abgewaschen und dann weiterverarbeitet.
>> Rolf Fliegauf, 43, kocht in den Giardino-Restaurants in Ascona und St. Moritz. Der 18-Punkte-Chef ist ein Qualitätsfanatiker. Beim Fisch setzt er auf «Agen», also auf das Reifenlassen, wie man es beim Fleisch kennt. Aber nur bei grossen, ganzen Tieren wie Loup de Mer, Steinbutt und Zander