Text: Knut Schwander

Sensationelle 19,5 Punkte in Frankreich. Mit grosser Betroffenheit und Traurigkeit habe ich vom Tod Michel Guérards erfahren. Der avantgardistische Ansatz dieses wegweisenden Kochs hat mich seit meinem 25. Lebensjahr inspiriert. Zuerst habe ich natürlich bei GaultMillau vom Küchenchef gelesen, wo er sensationelle 19,5 Punkte sein Eigen nannte. Später entdeckte ich eine Bildstrecke über den 3-Sternekoch (der als Mitbegründer der Nouvelle Cuisine gilt) in einem Magazin; sie zeigte mir, mit welcher Raffinesse er sein Restaurant im französischen Eugénie-les-Bains entworfen und eingerichtet hat. Als meine Frau und ich beide unseren 50. Geburtstag feierten, war dies für uns der perfekte Anlass, dorthin zu fahren. Vor 11 Jahren wars, da hatte Guérard bereits ein Alter von 80 Jahren erreicht. Und ich kann Ihnen versichern, dass sich unser Besuch bei ihm für immer in unser Genussgedächtnis eingebrannt hat. Dieser Koch war ein Zauberer! 

Architektonische Superlative. Eugénie-les-Bains: Schon nur der Name erinnert an Spitzen und Veilchen, Blumen und Teestunde. Doch das einzigartige Hotel Les Prés-d'Eugénie, das Michel Guérard und seine Frau Christine Barthelemy geschaffen haben, übertrifft alle Erwartungen. Einer Filmkulisse gleich verbindet es allerlei architektonische Superlative, die man gern mit Frankreich verbindet: Ich erinnere mich an einen zauberhaften Rosengarten, an Springbrunnen und Wasserspiele, eine Sammlung prächtigster Möbel und einen Empfang von fast unwirklicher Höflichkeit. Ganz zu schweigen von den Zimmern, die zwar wunderschön sind, aber nicht die geringsten Zugeständnisse an den amerikanischen Luxus machen. Und die Küche war sowieso ein echter Volltreffer. 

Relevanz, Reinheit und Sinnlichkeit. Am ersten Abend genossen wir eine ganze Serie göttlicher Häppchen, zubereitet mit den besten Produkten und feinsten Zutaten: Ich erinnere mich an eine fast unwirklich gute Seezunge. An eine Gemüse-Fantasie, die uns vom Hocker riss. An ein märchenhaftes Soufflé. Was sollte nach diesem sagenhaften Dinner am zweiten Abend noch kommen? Der Koch erkundigte sich höchstpersönlich nach unseren Wünschen. Und so bekamen wir ein weiteres kulinarisches Feuerwerk serviert – wobei wir uns das Soufflé ein zweites Mal servieren liessen. Was das für ein Soufflé war? Da lässt mich mein Gedächtnis tatsächlich etwas im Stich. Doch den Aufenthalt in Eugénie-les-Bains, den werde ich nie vergessen. Und ich wünsche der französischen Spitzengastronomie, dass sie sich noch lange an die Relevanz, Reinheit und Sinnlichkeit der Kreationen von Michel Guérard erinnern wird. 

>> Knut Schwander ist Journalist und Gastrokritiker. Seit über 20 Jahren leitet er die Redaktion von GaultMillau in der Romandie. 

 

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