Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder
Weltklasse in Fürstenau. Massimo Bottura, Gaggan oder Quique Dacosta – einige der besten Köche der Welt sind schon nach Fürstenau gereist, um zusammen mit Andreas Caminada für dessen gemeinnützige Ausbildungsstiftung Fundaziun Uccelin ein aussergewöhnliches Dinner zu veranstalten. Mit Clare Smyth und Ana Roš konnten Caminada und seine Frau Sarah, welche die Stiftung verantwortet, nun zwei der besten weiblichen Chefs der Welt für einen Auftritt im Schloss gewinnen. So viel vorab: Es wurde ein aussergewöhnliches Erlebnis.
Mehr Frauen! Im Frühling 2022 startet das nächste Uccelin-Programm, junge talentierte Berufsleute aus Küche und Service können während drei Monaten die kulinarische Welt kennenlernen, sie erhalten ein perfekt organisiertes Programm, Flüge, Visa und Taschengeld, um sich bei Köchen oder Produzenten weiterzubilden. «Aber es bewerben sich immer noch zu wenige Frauen», sagt Sarah Caminada und möchte das gern ändern.
«Unglaubliche Arbeitseinstellung.» Mit Clare Smyth und Ana Roš stehen zwei Frauen in der Schlossküche, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch hervorragende Vorbilder sind. «In meiner Küche beträgt der Frauenanteil fünfzig Prozent», erzählt die Slowenin Roš, die dank Netflix und «The World’s 50 best» zum Küchenweltstar wurde. «Seither bekomme ich sehr viele Bewerbungen von Frauen, und ich wähle die aus, die wirklich motiviert sind.» Das Ergebnis sei sehr überzeugend, weil «Frauen einfach eine unglaubliche Arbeitseinstellung haben», so Roš.
«Einfach besser.» Die britische 3-Sterne-Köchin Clare Smyth erzählt, sie sei in ihrer Karriere oft die einzige Frau in der Küche gewesen. «Und wenn ich schaue, wer in diesen Küchen heute kocht, sind da immer noch keine Frauen. In meinem Restaurant ‹Core› in London werden es hingegen immer mehr, und ich kann nur feststellen, dass Teams mit Frauen einfach besser sind – die Sprache, die Atmosphäre, alles verändert sich zum Positiven.»
Drei Starchefs, drei Stile. Ob weibliche Küchenchefs auch eine andere Art zu kochen haben, ist eine Frage, die in der Gastronomie viel diskutiert wird. Das gemeinsame Dinner von Caminada, Roš und Smyth konnte keine endgültige Antwort darauf geben, zeigte aber immerhin wie faszinierend unterschiedlich, und letztlich von der eigenen Biografie geprägt, drei Starchefs aus drei Ländern ihr Handwerk verstehen.
Kartoffeln und Algen. Clare Smyth etwa wuchs als Tochter eines Kartoffelbauern an der englischen Küste auf, eines ihrer bekanntesten Gerichte ist denn auch eine in Algenbutter konfierte und anschliessend 48 Stunden in Algen marinierte wachsige Kartoffel, die mit geräucherten Forellenrogen und Kräutern sowie einer Algen-Butter-Sauce serviert wird. In seiner Einfachheit und gleichzeitig geschmacklichen Durchschlagskraft ist das schlicht ein grandioses Gericht.
Wald nach einem Sommerregen. Oder Ana Roš’ Waldspaziergang mit einer überraschend-komplexen Brühe, die an den dichten slowenischen Forst nach einem Sommerregen angelehnt ist und tatsächlich an einen feuchten, erdigen, säuerlichen Waldboden erinnert. Auch der Raviolo mit geräucherten Kastanien und Bärentatzen ist ein sehr eigenwilliges Element, «aber urteilen Sie nicht, probieren Sie einfach», sagt die Köchin. Bären gehören in Slowenien zum traditionellen Speiseplan, die Jagd ist streng reglementiert, es dürfen nur Tiere geschossen werden, die gefährlich sind für Menschen oder andere Tiere, «so gesehen ist das eine sehr nachhaltiges Produkt», findet Ana Roš. Der Geschmack erinnert an kräftiges Wildvogelfleisch wie beispielsweise Moorhuhn.
Mehr Muscheln! In die Kategorie «nachhaltige Zutaten» gehört auch Clare Smyths Kreation aus grillierten Muscheln aus Cornwall. «Wir sollten mehr Muscheln essen, sie wachsen ganz von selbst, ohne unser Zutun im Meer», sagt die Britin. Sie serviert die Schalentiere mit Fenchel, Austernblättern und einer leicht jodigen Consommé. Während Smyths Gericht an die Geografie ihrer Heimat erinnert, bezieht sich Ana Roš bei ihrem als Wrap präsentierten Hauptgang auf eine Kindheitserinnerung.
Erinnerung an Afrika. Der leichte, fast netzartige Fladen namens Injera erinnere sie an eine Reise nach Afrika, erzählt die slowenische Küchen-Autodidaktin. Zum Fladenbrot gibt es eine intensive Brühe, die aus verschiedenen Fleischresten von Rind, Lamm, Schwein und Huhn gewonnen wird, ohne dass tatsächlich Fleisch auf dem Teller zu finden wäre. Vielmehr löst der intensive konzentrierte Geschmack des Fonds ein starkes Verlangen nach Fleisch aus, und als Kontrast gibt es ein Lindenblatt, gefüllt mit Pilzen. Ana Roš und Clare Smyth haben aus ihren jeweiligen Leben völlig unterschiedliche, aber höchst faszinierende kulinarische Handschriften entwickelt. Die beiden beweisen, dass Frauen die Spitzenküche tatsächlich mit ihrer Geschichte und ihren Geschichten prägen können.