Sie absolvierten eine Stage im «Noma Mexico» in Tulum, Mexiko. Ein Pop-Up des weltberühmten Restaurants «Noma» in Kopenhagen von René Redzepi. Was war Ihre Motivation?
Für mich als Jungkoch war es eine enorme Chance, neue Impulse zu bekommen. René Redzepi und sein Team erfinden sich stetig neu und stellen übliche Kochtechniken auf den Kopf. Auch die exotischen Zutaten aus Südamerika faszinieren mich. Ich habe ja eine dominikanische Herkunft, reiste ein Jahr durch Südamerika und war Praktikant im «Pujol» (Restaurant in Mexico City, aktuelle Nummer 20 auf «World’s 50 Best»). Ich wusste: Die Vermählung dieser zwei Komponenten würde nur während der zwei Monate von «Noma Mexico» existieren. Also wollte ich dabei sein.
Das «Noma Mexico» war bei den Gästen überaus begehrt, die Tische durchgehend ausgebucht. Wie schwierig war es für Sie, diesen «Studienplatz» zu bekommen?
Diese Möglichkeit ergab sich über mehrere Ecken. Von meiner Zeit im «Pujol» kenne ich einen Koch, der meinen Lebenslauf inklusive Motivationsschreiben an jemanden weiterleitete, der ihn wiederum an einen Koch im «Noma» weitergab. Danach meldete sich die zuständige Person bei mir und alles ging ratzfatz.
Im «Noma» sind die Anforderungen an die Köche extrem hoch. Wofür waren Sie in der Küche zuständig?
Mein Tag in der Küche begann um 10 Uhr und endete um 23.30 Uhr – manchmal auch später. In den ersten fünf Wochen kümmerte ich mich um den mexikanischen Frucht-Salat à la «Noma». Dazu gehörte die Herstellung des Tamarinden-Wasser und Arbol-Chili-Öl sowie das Zuschneiden der Früchte.
Das klingt ein bisschen eintönig.
Im Gegenteil: Sobald ich mit meinen Vorbereitungen am Nachmittag durch war, konnte ich an anderen Stationen aushelfen und weitere Einblicke gewinnen. Die Gerichte im «Noma Mexico» sind nicht koch-intensiv, benötigen aber viele Arbeitsschritte. Für einzelne Gerichte arbeiten sechs bis sieben Köche während vier Stunden jeden Tag. Eine Woche lang durfte ich mit weiteren Praktikanten die Verantwortung der «Staff Meals» übernehmen. Zum Schluss wechselte ich noch meine Koch-Station und war für den «Kürbis»-Gang (Titelfoto) zuständig. Jeder Koch brachte ausserdem die Gerichte seiner jeweiligen Station selbst zum Gast und konnte ihm gleich alle Einzelheiten zum Gericht erklären.
Wie viel verdient ein Praktikant in einem solch angesehenen Pop-Up?
Den Flug nach Mexiko und die Unterkunft musste ich selbst organisieren und bezahlen. Ich sehe das als Investition in meine Weiterbildung als Koch. Vor Ort gab es jeden Morgen um 9.30 Uhr einen Shuttle-Service für alle Mitarbeiter von Tulum City zum Restaurant. Morgen-, Mittag- und Abendessen wurden zur Verfügung gestellt. Daneben kriegten alle Stagières einmal pro Monat Trinkgeld – gerade genug, um über die Runden zu kommen. Von den 70 Personen in der Küche waren 40 bis 45 Stagières.
René Redzepi ist der Mastermind hinter «Noma» und Koch von Weltformat. Wie haben Sie ihn erlebt?
Jedes riesige Konstrukt wie das «Noma» braucht einen Visionär: Das ist ganz klar René Redzepi. Zusammen mit Thomas Frebel (Head of Research and Development) ist er das pulsierende Herz von «Noma Mexico». Die beiden schreiben Rezepte und überwachen die Vorbereitungen am Nachmittag für den Abend-Service. Entsprechen die zubereiteten Gerichte nicht Redzepis Qualitätsstandards, kann er sehr wütend werden. Er interpretiert das als direkten Angriff auf seine langjährige Vision von «Noma». Durchschnittliche Darbietungen kann er sich keine leisten. Journalisten und Food-Blogger warten nur auf einen Fehltritt seitens Redzepi – angesichts seines Ruhms aber auch wegen des Menü-Preises von 600$ in Verbindung mit der kostspieligen Anreise des Gasts. Der Druck ist immens.
Und was macht Redzepi während 70 Köche für die wartenden Gäste kochen?
Er hat die Fähigkeit spätabends nochmals das gesamte Küchen-Team zu motivieren mit seiner unbändigen Energie, obwohl sein Tag bereits um 7.00 Uhr beginnt. Interessierte Gäste führt er nach einem Abend-Service durch die Küche, beantwortet deren Fragen und posiert für Erinnerungsfotos. Eigentlich besteht seine Aufgabe darin, während dem Service keine Kochaufgaben zu haben. Klingt komisch, ist aber ein geniales Konzept. So sorgt Redzepi dafür, dass niemand schlapp macht in der Küche und Gäste einen unvergesslichen Abend erleben.
Viele berühmte Köche pilgern momentan nach Mexiko. Woher kommt diese plötzliche Faszination mit dem Land?
Die Fläche Mexikos entspricht etwa der Grösse Zentraleuropas. Demzufolge beherbergt das Land eine riesige Biodiversität sowie einzigartige Traditionen und Kulturen. Junge Leute – darunter Köche aber auch Kleinproduzenten – erkennen diesen Reichtum und entdecken traditionelles Handwerk neu. Sie spezialisieren sich auf einzelne Sachen wie die Herstellung von Mezcal oder Schokolade. Insgesamt ein eher neues Phänomen in Mexiko. Ausschlaggebend dafür war sicherlich auch Enrique Olvera (Besitzer und Chefkoch des Restaurant Pujol), der zuerst allen klarmachen musste: «Mexiko hat kulinarisch unglaublich viel zu bieten!» Ähnlich wie René Redzepi in Dänemark. Ausserdem existieren hier uns bekannte Zutaten in einer weit grösseren Vielfalt. Beispiel Chili: Schon im Supermarkt sind es jeweils zehn getrocknete sowie frische Sorten. Auf den lokalen Märkten – endlos viele mehr. Dasselbe mit Mais. Und die Qualität der Meeresfrüchte hier ist sowieso Weltklasse.
Das klingt nach einer Menge neuer Inspirationen. Was nehmen Sie persönlich von «Noma Mexiko» mit nach Hause?
Die klassische Idee, was ein Restaurant darstellen soll, muss ich vergessen und wieder von Null beginnen. Es gibt so viele Zutaten – wie die im «Noma Mexico» verwendeten Ameisen-Eier – die wir gar nicht als solche wahrnehmen, geschweige denn verwenden. So viele Getränke, die wir in Kombination mit Essen als unpassend erachten. Ein «Noma» denkt mehrere Schritte weiter.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
Zuerst möchte ich noch die letzten Impressionen in Mexiko aufsaugen und einen kurzen Abstecher ins «Pujol» machen, um Hallo zu sagen und ihre neusten Kreationen zu probieren. Danach muss ich bereits zurück in die Schweiz, wo die ersten Catering-Aufträge auf mich warten. Mein eigenes Catering-Business «Olivier Bur Private Cooking» bleibt in diesem Jahr ein wichtiges Standbein. Daneben wäre es schön, ein kleines Pop-Up in Zürich mit Toya Bezzola – ebenfalls eine Schweizerin, die bei «Noma» im Service arbeitete – zu veranstalten. Mit dem «Noma»-Drive, den ich aus Mexiko mitnehme.
>> Olivier Bur (24) kocht für Firmen- und Privatanlässe mit seinem Catering «Olivier Bur Private Cooking». Zuvor absolvierte er ein Praktikum im «La Mar» (Lima) sowie «Pujol» (Mexico City) und arbeitete beim Edel-Caterer «Franzoli» in Zürich.
Fotos: Jason Loucas und Olivier Bur