Text: David Schnapp Fotos: Lukas Lienhard
«Pflanzen zum Ausflippen» Er ist zusammen mit Willi Schmid aus Lichtensteig wohl eine der aussergewöhnlichsten Figuren der Schweizer Milchwirtschaft, und als Käser ist er eine Ausnahmeerscheinung: «Die Milch macht’s», sagt Martin «Floh» Bienerth, der mit seiner Frau Maria seit 21 Jahren die Sennerei Andeer führt – Stizun da Latg, wie das auf Rätoromanisch heisst. «Unser Standortvorteil ist das Futter: Das Heu kommt von Wiesen auf über 1000 Meter über Meer, im Sommer gibt es Futterflächen auf bis zu 2000 Metern», erklärt Bienerth die besondere Qualität der Milch. «Da wachsen Pflanzen, das ist zum Ausflippen», fügt der Affineur in seiner typischen lebensbejahenden Art an.
Käse der Starchefs. Daraus entstehen mittlerweile 30 verschiedene Käse, die zu den besten der Schweiz gehören. Aber auch Joghurt, Butter und Rahm gehören natürlich zum Sortiment. Im ganzen Val Schons wird schon seit zwei Jahrzehnten biologische Landwirtschaft betrieben, auch das ist ein Grund für die aussergewöhnliche Güte der hier hergestellten Milchprodukte. Viele Starchefs haben das längst entdeckt, Käse aus Andeer wird bei Andreas Caminada, Sven Wassmer oder auf der Lenzerheide bei Hansjörg Ladurner serviert. «Aber eigentlich müsste es in der Schweiz in jeder Beiz so sein, dass Käse auf den Tisch kommt, so selbstverständlich wie Wasser», sagt Martin Bienerth über das Verhältnis zwischen Gastronomie und Käserei.
Besuch aus Basel. Für Tanja Grandits ist «Floh» Bienerth nicht nur Lieferant bester Milchprodukte, der gut gelaunte 63-Jährige hat der Basler 19-Punkte-Köchin selbst das Einmaleins der Käseherstellung beigebracht. Seither wird im «Stucki» aus Ziegenmilch vom Bruderholz Geissenfrischkäse produziert, der regelmässig Teil des grossen Menüs ist. An diesem schönen Frühlingstag fährt Grandits eigens in ihrem BMW X3 xDrive 30d nach Andeer – zum Einkaufen, aber auch weil sich der Kultkäser und die Kultköchin bestens verstehen. «Floh ist einfach ein grossartiger Mensch, und was er aus der Milch hier macht, ist unvergleichlich», sagt sie.
Ein Käse namens Tanja Grandits. Beim Rundgang durch die beiden Käsekeller zeigt Martin Bienerth eine seiner letzten Kreationen. «Musenkuss» hat er die grossen Laibe genannt, die nun schon seit Monaten reifen. Es ist Bienerths Variante eines Parmesans, ein Hartkäse aus Halbfettmilch. Und in die Rinden der Laibe hat der Käser die Namen von Leuten geritzt, «die ich mag, damit der Käse gut wird», wie er erklärt. «Tanja Grandits» steht zum Beispiel da und der innovative Affineur erklärt augenzwinkernd, dass ein neues Projekt wie dieses «nicht ohne Leiden zu schaffen sei, sonst wäre es ja keine Leidenschaft». Das braucht vor allem Geduld: Wenn der Käse erst einmal im Keller liegt, dauert es in diesem Fall eineinhalb Jahre, bis ein Resultat zu erwarten ist.
Alp und Küche. Als Spiel aus «Temperaturen, Kulturen und Zeiten» bezeichnet Martin Bienerth die Arbeit seiner Frau Maria und von sich selbst: «Wir sind im lebendigen Bereich tätig», sagt er. Das sei auch der Grund, dass zwar jeder Charge Milch ähnlich, aber doch jeder Käse anders sei. In den vielen Sommern, die er selbst auf der Alp verbracht hat, sei ihm aufgefallen, dass sogar die Stimmung im Team einen Einfluss auf die Qualität der Mich gehabt habe. «Das gilt natürlich für die Küche genauso», sagt Tanja Grandits, «aus schlechter Stimmung kann kein gutes Essen entstehen.»
«Liebe und Energie» Später, im kleinen Laden der Sennerei, kauft die Köchin unter anderem die Andeerer Arve, ihren Lieblingsweichkäse, für den eigenen Shop in Basel ein. Dazu Vanille-Quark, Milch und Buttermilch für sich und ihre Tochter Emma sowie Sauermilch für eine gute Freundin: «Die schwört darauf und trinkt täglich ein kleines Glas davon als Beitrag zur Gesundheit», erzählt Tanja Grandits. Zum Schluss werden Sennerei-Schätze fachgerecht im Laderaum des BMW X3 verstaut. «Für mich ist es anregend, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die ihre Arbeit mit der gleichen Liebe und Energie ausüben wie ich selbst», sagt die «Stucki»-Chefin, bevor sie sich auf den Rückweg macht.