Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder
Ein Naturereignis aus Bangkok. Eigentlich wollten Andreas und Sarah Caminada bloss einen bekannten internationalen Koch einladen, um mit einem aussergewöhnlichen 4-Hands-Dinner Geld für ihre Stiftung Uccelin zu sammeln. Damit werden junge Küchen- und Servicetalente zu Ausbildungszwecken um die Welt geschickt. Dann aber kam: Gaggan. Eine Art indisches Naturereignis aus Bangkok.
Sex und Liebe. Gaggan Anand ist einer der berühmtesten Chefs der Welt, seit vier Jahren wird sein «Gaggan» in der thailändischen Metropole Bangkok als «bestes Restaurant Asiens» gewertet, und wer den 40-Jährigen je erlebt hat, lernt nicht nur einen grandiosen Koch kennen, sondern auch einen witzigen, selbstironischen Entertainer, der mit zwei Flaschen an den Tisch kommt, die eine mit orangefarbenem, die andere mit grünem Inhalt. «Sex» steht auf der einen «Make Love» auf der anderen und Gaggan erklärt anhand von Chili- (Sex) und Curryblätter-Öl (Love) die Geschichte der indischen Küche, mit der er sich seit Jahren beschäftigt.
Koch statt Musiker. «Ich mache progressive indische Küche, so wie es progressiven Rock gibt», sagt er später. Und während aus einem Lautsprecher laut «Time» von Pink Floyd dröhnt, erklärt der Inder mit noch lauterer Stimme sein Dessert mit dem Titel «The Dark Side of the Moon». Benannt ist es nach dem berühmten Pink-Floyd-Album und der Koch, der eigentlich Musiker werden wollte, aber von seinem Vater in die Küche gezwungen wurde. Ein Glück, muss man heute sagen, auch wenn einen Gaggan davor dazu gebracht hat, ein ganzes Gericht vom Teller zu lecken. «Lick it up!» hiess diese Kreation sinnigerweise, ebenfalls benannt nach einem Rocksong.
Gaggan, wer sind Sie?
Ich bin der dümmste Chef, den sie je treffen werden, ich bin ein Zigeuner, ein Albino, der Kurt Cobain der Gastronomie. Ich repräsentiere 1,3 Milliarden Menschen aus dem falschen Land. Manchmal koche ich, meistens aber mache ich Unsinn oder posiere für Fotografen…
Sie sind ein Inder, der in Bangkok indisch kocht, heute weltberühmt, aber aufgewachsen sind Sie in Kalkutta in extremer Armut.
Ja, dahin möchte ich nicht zurück, und ich vergesse auch nicht, woher ich komme. Denn wenn man einmal einen gewissen Luxus genossen hat, kann es nur noch schlechter werden. Vergiss nie, hinunterzuschauen, sage ich meiner Mutter immer. Ich besitze zwei BMWs, demnächst wird mein neuer Porsche geliefert, aber vor 25 Jahren hielt ich mich mit einer Hand an einem Bus fest und mein Leben wäre zu Ende gewesen, wenn mich meine Kraft verlassen hätte.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Ihrer Kindheit in Armut und ihrem Beruf, in dem Sie Leute zu Essen geben?
Essen ist das Wichtigste überhaupt, es ist elementar. Wir brauchen keine Kleider, keine Autos. In Indien gibt es drei zentrale Geschäftsfelder: Brot, Kleider und Immobilien, also musste ich in eines dieser drei investieren, und es wurde Essen. Bis ich in die Schweiz kam, dachte ich, das Land besteht kulinarisch vor allem aus Käse und Schokolade. Dann habe ich bei Andreas Caminada gegessen, und es hat mich weggehauen. Essen kann die Art verändern, wie wir auf die Dinge schauen.
Ihr Restaurant «Gaggan» hat Sie reich und berühmt gemacht, trotzdem haben Sie angekündigt, dass Sie es 2020 schliessen werden.
Als ich das vor vier Jahren bekannt gegeben habe, dachten viele, es sei ein PR-Gag. Aber ich meine es ernst. Wenn Sie auf diese Berge schauen: Sie können nicht von einem Gipfel zum nächsten gehen, es geht zuerst hinauf, dann wieder hinunter, dann wieder hinauf. Ich suche eine neue Herausforderung, möchte neu anfangen. Ich glaube an die Philosophie des Phönix aus der Asche. Man muss zuerst eine Raupe sein, um ein Schmetterling zu werden.
Mit nachlassendem Erfolg hat es nicht zu tun?
Wie kommen Sie denn darauf? Wir sind abends zwei Mal ausgebucht. Es arbeiten zwar 82 Leute für 50 Plätze im «Gaggan», aber das erste Seating deckt die Kosten, das zweite ist dann mein Gewinn. Aber ich will doch nicht immer dieselben Rezepte kochen. Essen ist heute wie Mode oder Elektronik. Sie haben ein iPhone, aber warten bereits auf das nächste Modell. Das Leben ist zu schnell, wir sollten uns mit ihm bewegen.
A propos iPhone: Es ärgert Sie, wenn Leute am Tisch ständig mit dem Smartphone hantieren…
Ich finde es schade, wenn die Leute mit Ihrem Telefon beschäftigt sind, statt miteinander zu reden. Deshalb schicken wir 25 Gänge – alle 4 Minuten ein Gericht, die meisten isst man von Hand. Das geht so schnell, dass Sie gar nicht nachkommen mit fotografieren. Sie können nicht einmal gross über das Essen nachdenken. So kommen auch keine negativen Gedanken auf, ich will nur «good vibrations» in meinem Restaurant (lacht).
Was passiert mit einem Gast, der aus dem «Gaggan» kommt?
Entweder gehen Sie danach zu McDonald’s oder Sie gehen zu Bett. Wer nach diesem Essen noch zu McDonald’s geht, hat ein Problem, bei dem ich auch nicht mehr helfen kann. Aber im Ernst: Ich möchte mit dem Essen eine Erinnerung schaffen, das ist etwas vom Wichtigsten, was wir im Leben haben, das uns niemand wegnehmen kann.
Können Sie sich an Ihr erstes Gericht erinnern?
Das waren Instant-Nudeln von Maggi, Geschmacksrichtung «Curry Masala». Ich habe mich bei meiner Mutter beschwert, weil die Nudeln nicht so ausgesehen haben, wie auf der Verpackung.
Wie hat Sie diese Erfahrung geprägt?
Bis heute bin ich süchtig nach Fertignudeln. Falls Sie Appetit haben, ich hätte welche dabei! Und überall wo ich hinreise, schaue ich mir das Angebot an Convenience Food im Supermarkt an. Besonders interessant ist es in Amerika, es gibt dort viel Mist auf hohem Niveau, der nichts mit Essen zu tun hat. Oder wann haben wir angefangen, statt eines Apfels Apfel-Probiotics zu essen? Dabei sind Äpfel an sich schon so gesund, dass sie das Krebsrisiko reduzieren können.