Text: David Schnapp І Fotos: Joan Minder
Bryan Adams am Morgen. Um neun Uhr ertönt in der offenen Küche der «Neuen Taverne» laut «Heaven» von Bryan Adams: «We were young and wild and free», singt der Weltstar, der kürzlich gleich zwei Mal hintereinander im hübschen kleinen Restaurant in der Zürcher Altstadt zu Gast war. Und die Liedzeile passt ganz gut zu diesem Ort und zum Protagonisten der Geschichte: «Ich wusste zuerst gar nicht, wer er ist», sagt Nenad Mlinarevic und lacht sein unbeschwertes jugendliches Lachen, das den Lausbuben verrät, der neben dem hochtalentierten Spitzenkoch in ihm wohnt. Der 41-jährige Sohn serbischer Einwanderer, der in Zürich zur Schule ging, die Rekrutenschule besuchte und heute eine der interessantesten Figuren im bunten Kabinett der Schweizer Starchefs darstellt, ist eine vielschichtige Persönlichkeit. Als Koch erstaunlich vielseitig, als kulinarischer Handwerker versiert, als Gegenüber mal unbeschwert und fröhlich, dann ernsthaft und nachdenklich, aber auch abweisend und frostig, wenn er sich unwohl oder unverstanden fühlt.
Die Federers zu Besuch. Mlinarevic hat ein feines Gespür, für Menschen ebenso wie für Geschmack oder Trends. Mit seinem – wie man auf Neu-Zürichdeutsch sagt – «vegetable driven» Restaurant Neue Taverne (16 Punkte, ein Stern), das er seit 2019 mit Geschäftspartner Valentin Diem betreibt, hat er wieder einen Nerv getroffen. Roger und Mirka Federer waren kürzlich hier, viele Spitzenköche sieht man gerne an den mit pastellgrünem Linoleum bespannten alten Holztischen sitzen, weil sie wissen wollen, wie Kollege Nenad es schafft, mit Gemüse schon mal 90 Gäste an einem lebhaften Abend zu verpflegen.
Sushi, Velo, Köche. Nachdem Brian Adams ausgeklungen ist, spricht Nenad Mlinarevic über seine Idee von (Gemüse-)Küche, über die eigenen Widersprüche und darüber, wo er heute als Koch steht, bevor er uns mitnimmt auf eine kleine Tour durch sein Zürich, zum Sushi-Counter bei Jelmoli, in seinen Lieblingsveloladen oder zu befreundeten Köchen, deren Arbeit und Leidenschaft er bewundert.
Nenad Mlinarevic, als Sie 2017 in Vitznau aufhörten, waren Sie auf dem Höhepunkt: Koch des Jahres, 18 Punkte, zwei Sterne. Haben Sie je bereut, genau dann in Zürich neu angefangen zu haben?
Bereut nicht, aber ich gebe schon zu, dass es bei mir jedes Jahr ein wenig kribbelt, wenn der GaultMillau seine Auszeichnungen verteilt. Zu diesem Kreis gehöre ich nicht mehr. Dafür gibt es neue Aufgaben: Ich bin nicht nur Koch, sondern auch Coach und Mentor, und mit zunehmendem Alter wird diese Rolle immer wichtiger. Das Schöne bei uns ist, dass man Erfolg in einem lockeren Rahmen haben kann. Das versuche ich den Leuten zu vermitteln. Die Mitarbeiter zu begeistern, ihnen eine Perspektive zu geben, wird gerade nach zwei Jahren Corona-Krise immer wichtiger.
In der «Neuen Taverne» haben Sie weniger Zeit pro Teller. Ist das schwierig, wenn man davor auf 18-Punkte-Niveau gekocht hat?
Der Fokus hat sich verschoben. Ein Gericht muss zuerst schmecken, es muss Sinn ergeben. Aber die Frage, ob es jetzt auf 18-Punkte-Niveau ist, stellt sich nicht mehr. Das ist auch eine Befreiung. Früher habe ich auf Auszeichnungen hingearbeitet, dieser Fokus ist heute nicht mehr so wichtig.
Ihr Gemüsekonzept trifft einen Nerv. Woran merken Sie das selbst?
Es gibt die klassische oder die molekulare Küche und die New Nordic Cuisine. Hier kommt jetzt zusätzlich die Gemüseküche hinzu. Das ist ein neuer Bereich, der auch in der Ausbildung seinen Platz finden muss. Viele Leute stellen ihre Ernährung um, das Angebot im Supermarkt ändert sich. Ich bekomme viele Bewerbungen von Topleuten, die mehr über Gemüse lernen möchten. Hier ist schon etwas in Bewegung
Sie sind ein Mensch mit Widersprüchen – mal ungeduldig, dann wieder Ausdauersportler. Wie geht das zusammen?
Es ist manchmal ein Kampf. Der klassische Küchenalltag mit Mise en Place und Servicezeit reicht mir nicht mehr. Die spannenden Momente passieren in der Kreation des Ganzen, wenn es um neue Gerichte, neues Geschirr oder die Organisation der Abläufe geht. Immer wieder etwas Neues anzustossen, treibt mich an. Ich hatte immer schon diese Unruhe in mir, die Frage: Was kommt als Nächstes?
Wer ist eigentlich Nenad Mlinarevic?
Ich bin Nenad der Koch, aber ich bin auch Unternehmer. Meine Energie ziehe ich aus der Abwechslung. Nur in der Küche zu stehen, befriedigt mich nicht genug. Viele bleiben stehen, weil sie nur den Alltagstrott haben. So weit lasse ich es nicht kommen.
Haben Sie die Idee, wieder ganz an der Spitze mitzukochen, aufgegeben?
Ich hatte immer wieder Möglichkeiten, die letztlich aber nicht zustande kamen. Dann denke ich: Vielleicht muss es ja auch nicht sein. Aber wenn es den richtigen Ort gibt, das richtige Lokal, warum nicht? Ein wenig habe ich in den vergangenen Jahren schon dazugelernt. Ich weiss, dass ich von anderen abhängig bin, dass ich nicht alleine alles von heute auf morgen ändern kann. Es muss auch nicht mehr alles schnell gehen. Das macht es noch schöner, wenn es dann doch noch eintrifft oder zustande kommt.
Haben Sie Konzepte in der Schublade, die Sie unbedingt umsetzen möchten?
Den Traum von einem kleinen Tresenrestaurant für ein Dutzend Gäste habe ich nicht aufgegeben. Aber meistens ist es eher so, dass Valentin Diem und ich ein Lokal angeboten bekommen und dann überlegen, was man damit machen könnte. Das ist ein ganz anderer Zugang als die Einstellung, mit der ich als Koch aufgewachsen bin und die eher Kompromisslosigkeit als Grundlage hatte. Heute bin ich mental viel flexibler.
Sind Sie heute auch ein besserer Koch?
Ich bin bestimmt freier und entspannter und koche vermutlich stärker aus dem Bauch heraus.
Welches sind Ihre Stärken als Küchenchef?
Ich bin kein genialer Tüftler wie etwa mein Kollege Markus Stöckle vom «Rosi». Aber ich weiss, wie man Dinge zusammenbringt, damit sie rund und gut schmecken. Ich probiere auch nicht hundert verschiedene Kartoffelsorten aus, um herauszufinden, welche Knolle perfekt für Knödel ist. Andere können unglaublich aufwendig und technisch kochen. Ich kombiniere Dinge, die man kennt, aber immer mit einem Twist und mit Geschmack.
Wie sehr steht Ihnen Ihre Ungeduld manchmal im Weg?
Das ist halt meine Persönlichkeit, ich begeistere mich für Dinge wie ein kleines Kind, bin spontan. Ich bin aber auch jemand, der sich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Ich brauche materiell nicht so viel, privat mag ich es schlicht: Meine Kleider sind meistens schwarz, mein Velo und mein Auto auch.
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