Text: Daniel Böniger
Gekocht für Reagan & Gorbatschow. «Ich kann eigentlich gar nicht kochen», sagt Harry Pfändler schnippisch. Was natürlich bloss Understatement ist: Der Küchenchef im Bären, Birmenstorf (AG) hat 14 Gault-Millau-Punkte, war jahrelang Prüfungsexperte für die Auszubildenden im Kanton Aargau – und kochte für die Hilton-Gruppe in Washington D.C. auch schon mal ein Diner für Ronald Reagan und Michail Gorbatschow. «Ich weiss einfach, wie man gute Produkte findet und sie dann nicht versaut.» Der 58-Jährige sitzt vor einem doppelten Espresso und erzählt Anekdoten aus seiner über vier Dekaden dauernden Zeit in der Gastronomie. Ende Juni ist Schluss, dann tritt Pfändler kürzer. Er habe sich in den letzten Monaten verheizt, er müsse jetzt kürzer treten.
Der letzte Wunsch eines Gasts. Über 50 Stifte hat er in all den Jahren ausgebildet, «und die meisten davon sind noch immer im Beruf.» Auch Grillkurse fürs Green Egg (er kaufte eines, bevor es in der Schweiz überhaupt einen Importeur gab) habe er ausgerichtet; zwischen 300 und 400 Teilnehmer werden es da wohl gewesen sein. Doch am meisten werde er seine Restaurantgäste vermissen, so Harry Pfändler. Das speziellste Erlebnis mit seiner Kundschaft? Er erinnert sich an den Foodjournalisten, der todkrank war und sich vom Spital aus habe in den Bären fahren lassen: «Sein letzter Wunsch war es, meine Kalbskutteln und meinen Hackbraten nochmals zu essen – das ging unter die Haut.» Und doch sei es wohl das schönste Kompliment gewesen, dass er je von einem Gast bekommen habe.
Kürbisgnocchi waren zu italienisch. Doch nicht immer lobte ihn die Kundschaft nur. Während Corona habe er in Italien bei einer italienischen Mamma gelernt, wie man gute Pasta selber herstellt. Er habe es nämlich verpasst, sich bei seiner italienischen Grossmutter das entsprechende Wissen rechtzeitig zu sichern. Zurück in der Schweiz habe er dann hausgemachte Kürbisgnocchi aufgetischt – bis vier weibliche Gäste eines Tages meinten, diese seien viel zu «breiig». Er bereitete das Gericht ein zweites Mal zu, und die Frauen taxierten es abermals als «ungeniessbar». Was ein Mann am Nebentisch mitbekam und von der besten Pasta sprach, die er je gegessen habe: «Ich solle doch die Damen gleich rauswerfen, sagte der Gast leise zu mir.»
Die Russen und der gereifte Burgunder. Natürlich spedierte Küchenchef Pfändler die Frauen nicht hinaus – dafür ist er viel zu freundlich. Was er abermals bewies, als sich sechs Russen anmeldeten, weil sie von seinem gut bestückten Weinkeller gehört hatten. «Sie wollten einige der ganz guten Flaschen über die Gasse mitnehmen – ich erklärte ihnen, dass dies bei mir nicht so laufe.» Also hätten sie sich hingesetzt, einige Speisen und mehrere Weine bestellt. «Bis ein gereifter Montrachet von der Domaine Leflaive entkorkt wurde, und sie meinten, dieser sei oxidiert.» Sie wollten ihn nicht bezahlen – und drohten damit, ansonsten nie mehr zu kommen. Was Pfändler nur recht war, auch wenn die Herren gerade für etwa 3500 Franken konsumiert hatten.
Weniger Lehrlinge als vor zwanzig Jahren. Weitere Erlebnisse in all den Jahren? Angesprochen auf das Rauchverbot in den Restaurants sagt Harry Pfändler, das dies ihn gar nicht gestört habe, weil er seit Inkrafttreten die Decke nicht mehr jedes Jahr waschen musste. Er nennt aber die Promillegrenze im Strassenverkehr als Einschnitt: «Daran ist schon der eine oder andere Stammtisch eingegangen – es dauerte seine Zeit, bis wir solche Institutionen wieder installiert hatten.» Die Gäste, so konstatiert er weiter, seien fordernder geworden, hätten aber deutlich mehr Ahnung vom Kochen und seien experimentierfreudiger. Nicht zuletzt: Es sei inzwischen nicht mehr ganz so einfach, «gschaffige» Lehrlinge zu finden. «Als die ganzen Kochsendungen vor gut 20 Jahren starteten, war das noch anders – damals hatten wir etwa viermal so viele Bewerbungen für jede ausgeschriebene Stelle.»
Ein Lob auf die Molekularküche. Was in einem bodenständigen Gasthaus vielleicht überrascht: Pfändler, der seine eigene Lehre in einer Chauffeuren-Beiz gemacht hatte, kommt in seiner Bilanz auch die sogenannte Molekularküche zu sprechen. «Das Beste, was dem Kochberuf passieren konnte», wie er findet. Weil sich Hobbyköche für die chemischen und physikalischen Prinzipien in der Küche zu interessieren begannen, konnte mit vielen Vorurteilen aufgeräumt werden: «Die Zutaten für eine Mayonnaise müssen nicht alle aufs Grad genau die gleiche Temperatur haben. Fleisch hat keine Poren, die sich beim Braten schliessen. Und so weiter...» Früher habe es ja unter Köchen noch geheissen, dass man diese und jene Zubereitung keinesfalls im «Pauli» nachschauen solle - heute sei das Standard-Lehrwerk die verlässlichste Sammlung für Grundrezepte überhaupt.
Carne Cruda - statt profanes Tatar. Wenn Pfändler zurückblickt, darf die Geschichte mit den Wasserbüffeln nicht fehlen. Sie beginnt in Österreich, wo der Küchenchef eher zufällig auf den «Paradeiser-König» Erich Stekovics traf. Von den rund 300 Sorten, die dieser anpflanzte, war der Küchenchef aus der Schweiz schwer beeindruckt – und ruhte nicht, bis seine eigene Tomatensammlung ebenso gross war. Die roten, gelben und orangen Früchte servierte er im Sommer jeweils mit Schweizer Büffelmozzarella. Nur einen Schönheitsfehler hat das Ganze: Die Wasserbüffel waren im Aargau zwar subventioniert, weil sie nicht nur Milch lieferten, sondern auch die Schilfweiden abgrasten – aber das Fleisch wurde nicht verwendet. Harry Pfändler holte Bewilligungen für die Schlachtung ein, begann zu pröbeln - und lernte, dass es zwei wunderbare Arten gibt, Wasserbüffel zu geniessen: geschmort oder roh. «Natürlich nicht als profanes Tatar, bei dem Cognac und Tabasco oft den ganzen Eigengeschmack überdecken - sondern serviert als Carne Cruda mit gutem Olivenöl, Salz und Pfeffer wie im Piemont.» Das sprach sich herum, und sogar aus dem Ausland kamen Gourmets vorbei, um davon zu probieren. Und so darf es zu Harry Pfändlers Verdiensten gezählt werden, dass Wasserbüffel heute auf der helvetischen Speisekarte seinen gebührenden Platz hat. Nicht schlecht, für jemanden, der angeblich nicht kochen kann.
>> Fotos Bruno Voser, HO