«Publikumslieblinge.» Am letzten Abend bei «The Epicure», dem famosen Gourmetfestival unter der souveränen Oberaufsicht von Heiko Nieder im The Dolder Grand, heisst der Gast Jan Hartwig. Der 41-jährige Deutsche gehört zu den ausfälligsten Starchefs im deutschsprachigen Raum – hochtalentiert, freundlich im Auftritt und willensstark im Erreichen seiner Ziele. Beim 4-Hands-Dinner mit Gastgeber Nieder serviert Hartwig Gerichte, die er als «Publikumslieblinge» bezeichnet. Eine Disziplin, die übrigens auch 19-Punkte-Chef Heiko Nieder beherrscht. «In erster Linie muss es schmecken», findet der Koch. Im Gespräch geht es dann auch um die interessante Frage, wie ihm das Kunststück gelungen ist, nach Jahren als Angestellter in der Fünf-Sterne-Hotellerie seine Höchstnote von drei Michelin-Sternen auch als Selbstständiger im eigenen Restaurant zu bestätigen. Grosses Bild oben: Jan Hartwig und seine Taube mit Rande und Trüffel.
Jan Hartwig, im Oktober 2022 haben Sie Ihr eigenes Restaurant eröffnet – nach Jahren als Angestellter in grossen Hotels. Hat sich der Schritt gelohnt?
Ich habe das nie im Frage gestellt und bin jeden Tag froh, wenn ich meinen Laden aufschliessen kann. Aber zur Wahrheit gehört auch, es war nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte. Viele haben mir davon abgeraten, weil ich im «Bayrischen Hof» einen sehr sicheren Arbeitsplatz hatte.
Warum sind Sie trotzdem gegangen?
Ich bin ein reflektierter Mensch und gehe oft ins Zwiegespräch mit mir selbst. Es wurde klar, dass ich mit der Situation als Angestellter nicht mehr so glücklich bin. Mein Wunsch war, Gastronomie so anzubieten, wie ich mir das vorstelle –, ohne jedes Mal jemanden um Erlaubnis bitten zu müssen.
Wenn man die Rechnungen selbst bezahlen muss, sieht vieles anderes aus. Konnten Sie schnell umschalten?
Das stimmt, da sieht vieles ganz anders aus, die Energiekosten zum Beispiel sind richtig brutal. Aber für mich war es trotzdem kein harter Aufprall in der Selbstständigkeit, weil ich immer so gearbeitet habe als wäre es mein eigener Betrieb. Ich hatte nie bloss Steinbutt, Hummer und Kaviar auf der Karte, sondern immer eine Bandbreite, zu der auch einfachere Produkte wie Makrelen, Hühner oder Schweinebauch gehört.
Mussten Sie Fehler aus der Anfangszeit korrigieren?
Ich klopfe auf Holz, aber mein Konzept hat funktioniert, selbst dass ich am Samstag Ruhetag habe, ist kein Problem. Ich hatte das Glück, die Reputation der drei Sterne mitnehmen zu können und München gibt das auch her. Gestern hatten wir mit Mittag- und Abendservice 90 Gäste, ich bin also sehr zufrieden.
Ihre Eltern sind ebenfalls Gastronomen, wie wichtig waren sie beim Schritt in die Selbstständigkeit?
Sehr wichtig, weil ich dank ihnen früh gelernt habe, dass es in der Küche keinen Abfall gibt. Man kann alles für Saucen oder fürs Personalessen verwerten und einen Topf kratzt man mit dem Gummispatel noch mal aus. Ich bin nicht geizig, für schöne Schuhe oder ein schönes Auto gebe ich gerne Geld aus. Aber wenn es um Lebensmittel geht, finde ich Verschwendung daneben.
Sie haben nach der Eröffnung des Restaurants Jan nahtlos drei Sterne behalten können. Das gelingt nicht vielen Köchen…
Die meisten Köchen trauen sich gar nicht, den Schritt in die Selbstständigkeit zu machen. Ich habe mich für mein Restaurant komplett verschuldet, ich habe keine Sponsoren oder Partner, weil ich eben niemanden um Erlaubnis fragen will. Dass es Erfolg hat, ist letztlich die Folge harter Arbeit.
Was braucht es, um das höchste Niveau zu erreichen?
Ich hatte das Glück bei drei wichtigen Lehrern arbeiten zu können: Christian Jürgens, Klaus Ehrfort, und Sven Elverfeld. Jeder von ihnen hat drei Sterne mit ganz unterschiedlichen Küchenstilen erreicht. Die Wurzeln ihrer Küche gingen zurück auf die ganz grossen deutschen Köche – Heinz Winkler, Dieter Müller und Eckart Witzigmann –, gleichzeitig wurden bereits erste progressive Ansätze verfolgt. Für mich war das eine hervorragende Basis. Aber um die Frage zu beantworten: Der Unterschied zwischen zwei und drei Sternen ist letztlich die Konstanz und die Unverwechselbarkeit der Handschrift.
Was ist Ihre unverwechselbare Handschrift?
Ich spiele gerne mit der deutschen oder der europäischen Geschmacks-DNA. In meinen Gerichten erinnert vieles an zu Hause, wenn wir zum Beispiel ein Beuscherl mit Innereien und Zunge vom Kalb mit Kartoffelknödelchen servieren.
Worin liegt für Sie der Reiz der deutsche Küche?
Ich bin gerade daran, das herauszufinden. Fährt man nach Italien in den Urlaub, freut man sich auf Pizza, Pasta, Focaccia. Bei Thailand hat man sofort Bilder von Garküchen mit Papayasalat oder Currys im Kopf und in Spanien denkt man an Paella oder Schinken. Und was hat Deutschland zu bieten? Wir haben super Produkte – den besten weissen Spargel der Welt, tolle Kohlsorten, hervorragendes Wild, Süsswasserfische, Schweinezuchten… Aber wir schauen noch zu oft nach rechts und links. Manchmal schaffe ich es, mich auf unsere kulinarischen Wurzeln zu besinnen, aber es gelingt nicht immer.
Kann etwas Rustikales wie ein Pfälzer Saumagen in die Haute Cuisine übertragen werden, ohne die Seele des Gerichts zu verlieren?
Ich bin kein Pfälzer, aber ich bin überzeugt, dass man daraus ein Top-Gericht machen könne. Auch die sehr deutsche Forelle mit Wurzelgemüse und Meerrettich eignet sich gut für Fine Dining. Vielleicht wird es in einem ganzen Menü schwierig, weil unsere Küche etwas zu schwer ist. Man muss die richtige Mischung finden.
Zum Schluss: Haben Sie auch den Eindruck, dass sich Fine Dining gerade stark wandelt?
Das sehe ich auch so. Der Gast sucht mehr Lockerheit, man will sich nicht mehr still wie in einem Museum sitzen, sich anschweigen und vom Service belehrt werden. Ein Restaurant soll in meinen Augen wie ein Wirtshaus sein. Bei uns ist es laut, es wird getrunken, gegessen und gelacht. So macht es mir Spass.
>> Jan Hartwig, 41, hat 2022 sein Restaurant Jan in München eröffnet und auf Anhieb drei Sterne im Guide Michelin erhalten sowie fünf schwarze Hauben im GaultMillau. Zuvor hatte er bereits im «Atelier» im Hotel Bayrischer Hof auf diesem Niveau gekocht. Hartwig stammt aus einer Gastronomenfamilie in Niedersachsen, zu seinen wichtigsten Stationen als Koch gehörten die Restaurants von Christian Jürgens («Kastell» in Wernberg-Köblitz), Klaus Erfort (Saarbrücken) und Sven Elverfeld («Aqua» im «Ritz-Carlton» in Wolfsburg), wo er ab 2009 Souschef war.
Fotos: Pieter d'Hoop, Konstantin Volkmar, Fritz Buziek