Text: David Schnapp Fotos: Christopher Alexander Kuhn
Eineinhalb Jahre nicht gekocht. Jacob Jan Boerma, kurz JJ, wirkt ziemlich euphorisch in der schmalen offenen Küche seines Kollegen Stefan Heilemann: «Ich habe seit eineinhalb Jahren nicht mehr für Gäste gekocht. Es ist grossartig, dass wir hier sein können, und dass das in der Schweiz möglich ist.» Der 46-jährige Niederländer ist für einen besonderen Lunch nach Zürich, ins Swiss Deluxe Hotel Widder gereist. «Wir wollen das entspannte Mittagessen am Sonntag wieder mehr pflegen», sagt dazu der GaultMillau Koch des Jahres, Stefan Heilemann. Die Gäste schlafen im Hotel, dazu gibt es das Mittagessen zweier Top-Chefs.
Entenleber und Spanferkel. Der lange Lunch beginnt mit Snacks und kleinen Gerichten zu entspannter Jazz-Musik in der Widder Bar, bevor die beiden Kochfreunde dann im Widder Restaurant abwechslungsweise Gänge zubereiten, die sich zu einem «fantastischen Menü» (Boerma) zusammenfügen. Der kochende Holländer startet mit leichten, aromatisch präzisen Kleinigkeiten wie einem Macaron mit Entenleber, Hibiskus und Himbeere; von Stefan Heilemann gibt es unter anderem ein mit Spanferkel gefülltes, gedämpftes Brötchen mit Koriander.
Hilfe aus Heiden. Jacob Jan Boerma hat sein 3-Sterne-Restaurant «De Leest» in Vaassen Ende 2019 geschlossen, um sich einfacheren gastronomischen Konzepten zu widmen. «Ich habe ein Projekt in Tokio, und im Sommer soll unser Restaurant Fine Fleur in Antwerpen starten, das Casual Fine Dining bietet», erzählt er. Er liebe seinen Beruf und vor allem die Möglichkeit, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten. Er müsse aber nicht mehr selber jeden Tag in der Küche stehen, umschreibt Boerma seine Vorstellung von erfüllender Arbeit. In Zürich hat er Hilfe seines Küchenchefs aus dem «Fleur» und von unerwarteter Seite: Neben dem unterstützenden «Team Heilemann» hat sich Patrick Geier aus dem «Incantare» von Tobias Funke in Heiden freiwillig als Aushilfe angeboten: «Mein Chef hat gesagt, ich soll mich am Sonntag etwas entspannen und wandern gehen, aber ich arbeite lieber», sagt der engagierte Koch.
Vorliebe für Kingfish. Die Stimmung in der Heilemann-Küche ist freundschaftlich, konzentriert und entspannt zugleich – beste Voraussetzungen für einen «really fucking nice lunch», wie es JJ Boerma ziemlich gradlinig auf den Punkt bringt. Den Niederländer und seinen Zürcher Kollegen verbindet unter anderem die Vorliebe für Spencer Gulf Hiramasa Kingfish, der aus kühlen Gewässern im Süden Australiens stammt, und jetzt in zwei Varianten serviert wird: als asiatisches Ceviche mit Passionsfrucht, Limette und Kokosnuss – leicht cremig und frisch von Boerma – sowie als reichhaltige, mundfüllende Kombination mit Entenleber, Soja, Seeigel und Algen von Stefan Heilemann.
Best of Rotbarbe. «Bei der Auswahl der Produkte haben wir ziemlich ähnliche Vorstellungen», sagt Stefan Heilemann: «Als mir Jacob Jan sein Menü geschickt hat, waren Steinbutt und Langostinos vorgesehen, mit denen ich auch gerne arbeite. Aber wir hatten natürlich noch Alternativen bereit», erzählt er lachend. So serviert Boerma einen grandiosen Gang mit den kurz gebratenen Krebsen, die in perfekter Balance mit Süsse, Säure und etwas Schärfe aus Kaffir-Limette, Karotten, Ras el Hanout und Kräutern daherkommen. Von Stefan Heilemann gibt es eines seiner Meisterstücke: Die gebratene Rotbarbe aus der Algarve mit Artischocke, Bottarga und Sherry-Escabeche ist im Umgang mit diesem anspruchsvollen Fisch etwas vom Besten, was uns zu dem Thema schon serviert wurde.
Die ersten Waldbeeren der Saison. Die Hauptgänge bilden dann aus Boermas Steinbutt mit geräucherten Kräutern und Joghurt sowie einer angenehm dünn geschnittenen Scheibe vom A5 Wagyu-Rind aus Kagoshima mit Yuzu und Broccoli von Heilemann ein starkes Doppel, bevor der entspannte lange Lunch mit einem letzten kleinen Highlight endet: «Widder»-Patissier André Siedl hat in Italien die ersten Waldbeeren der Saison gefunden. Sie haben dieses unvergleichliche betörende Parfüm und kommen erkennbar als Beeren in eine Schale – zusammen mit Sauerampfer-Sorbet, Süssholz und karamellisierter Bionda-Schokolade von Felchlin.
Vorliebe für Löffel-Gerichte. Für Stefan Heilemann hat sich der kleine Extra-Aufwand für dieses besondere Mittagessen gelohnt: «Die Energie in der Küche war toll, und es war interessant zu sehen, dass wir eine ähnliche Art zu kochen haben und doch sehr verschieden sind», fasst der 18-Punkte-Koch den besonderen Sonntag zusammen. Die Gemeinsamkeit bestehe in einer Vorliebe für Gerichte, die gut schmecken, die man aber entspannt mit dem Löffel essen könne. «Das Ziel ist dasselbe, die Wege dahin sind aber sehr unterschiedlich», so Heilemann. Und die entspannten Sonntagsessen im «Widder» soll es auch in Zukunft so oder so ähnlich wieder geben.