Irritierende Direktheit. Mit dem DOK-Film von SRF über die «Kronenhalle» in Zürich hat ein breiteres Publikum erstmals einen unverfälschten Eindruck hinter die Kulissen eines sehr grossen Restaurants erhalten, in dem durchschnittlich 150 Leute mittags und nochmals 200 Gäste abends essen. Die auffälligste Figur im grossen Ensemble der Kronenhalle ist Küchenchef Peter Schärer, dessen Führungsstil in den Kommentarspalten und in der GaultMillau-Community viel zu reden geben hat. Schärer, der für 33 Köchinnen und Köche verantwortlich ist, spricht Dinge, die ihm nicht passen unverblümt an, der Umgangston ist von einer gewissen Direktheit geprägt, die offensichtlich viele Leute irritiert. Grosses Bild oben: Peter Knogl, Tanja Grandits, Daniel Humm (v.l.)

Was ist ein guter Chef? Die Zeiten, als Pfannen als Bestrafungsmassnahme durch die Küchen flogen, und Beleidigungen sozusagen zum guten Ton gehörten, sind zum Glück vorbei. Der Kommunikationsstil ist auf breiter Front freundlicher geworden, mehr Frauen arbeiten mit, man setzt auf Teamgeist und Kollegialität und nicht mehr auf ein Klima der Angst, wie es noch in den neunziger Jahren verbreitet war. Aber wie führt man heute grosse Teams, die unter grossem Zeitdruck und mit vielen Arbeitsschritten Essen zubereiten müssen, das auf konstant hohem Niveau zum Gast kommen soll? Der Berliner Starchef Tim Raue vergleicht die Arbeit in einer Restaurantküche mit der Tätigkeit eines Fluglotsen oder Chirurgen, auch wenn es in der Küche – abgesehen von der Hygiene – natürlich nicht um Leben und Tod gehe. Wir haben mit einer Reihe von national und international erfolgreichen Köchen gesprochen und gefragt, was eine gute Chefin, einen guten Chef heute ausmacht.

HO Pressebilder Byline Nils Hasenau

«Wer Fehler nicht offen anspricht, verursacht einen Stau»: Tim Raue aus Berlin.

Klare Ansprache bei Raue. Für Tim Raue ist es wichtig, dass seine Köche wissen, ob sie etwas gut machen oder nicht. «Die klare Ansprache halte ich für sehr effizient. Wer Fehler nicht offen anspricht, verursacht einen Stau, der irgendwann Konsequenzen hat.» Raue ist regelmässig zu Gast in der «Kronenhalle» und betreibt selbst eine ganze Reihe von Restaurants. Er ortet eine Schwäche bei jüngeren Generationen von Köchen, wenn es um Konfrontation gehe. «Auseinandersetzung ist sich die Generation Z nicht mehr gewohnt, weil man auf Instagram oder TikTok niemandem folgt, den man nicht mag, und sonst wird einfach gecancelt.»

Heiko Nieder mit Team

«Fehler dürfen Passieren»: 19-Punkte-Chef Heiko Nieder mit seinem Team im The Restaurant.

Heiko Nieder und die Fehler. Dass heute in Restaurantküchen anders geführt wird als noch vor zwanzig Jahren, ist für alle erfahrenen Küchenchefs, mit denen wir gesprochen haben, selbstverständlich – und wohl auch keine Besonderheit der Gastronomiebranche. Für Heiko Nieder, Culinary Director im prestigeträchtigen Zürcher Hotel The Dolder Grand, ist sein Auftreten als Chef nicht zuletzt eine Frage der eigenen, gereiften Persönlichkeit: «Zu heiraten und Kinder zu kriegen, hat mich stark geprägt. Seit meine erste Tochter vor 13 Jahren auf die Welt gekommen ist, führe ich anders, weil ich weiss, was im Leben wirklich wichtig ist.» Nieder, im «The Restaurant» ausgezeichnet mit 19 Punkten und zwei Sternen, hat im Swiss Deluxe Hotel eine ganze Reihe «Outlets» zu betreuen, organisiert das Gourmetfestival The Epicure und hat für seine vielen Tätigkeiten eine zentrale Führungsregel: «Fehler dürfen passieren, aber der Gast darf niemals den Fehler serviert bekommen. Man muss mir sagen, wenn etwas falsch läuft, dann stehe ich dafür grade. Aber es darf nichts verheimlicht werden, und ich will nicht angelogen werden.»

Das Humm-Prinzip. Das Führungsprinzip von Daniel Humm lautet hingegen «konstanter freundlicher Druck», wie der Schweizer Starchef am Telefon aus New York sagt. In seinem «Eleven Madison Park» sind rund 60 Köchinnen und Köche für ein herausragendes veganes Menü zuständig, und Humm sagt, es habe jahrelange Aufbauarbeit gebraucht habe, um die Standards, die ihm wichtig seien – gegenüber seinen Leuten, aber auch gegenüber den Lieferanten zu setzen. Konstanz brauche es auch im Führungsverhalten, sonst komme es schnell zu Nachlässigkeiten. Wenn es um Fehlerkultur geht, hat Daniel Humm ebenfalls eine klare Linie: «Fehler werden emotionslos angesprochen, es geht immer um die Sache und nie um die Person. Lob hingegen darf sehr emotional sein», sagt der 47-jährige Schweizer, der es als erster Koch der Welt geschafft hat, mit pflanzenbasierten Gerichten drei Sterne im «Guide Michelin» zu erhalten. Auch Humm sagt, er führe heute anders als noch vor 15 Jahren. «Als junger Küchenchef ist man gerne mal überfordert und wird dann laut. Aber laut zu werden, ist eine Führungsschwäche.»

Daniel Humm, Chef Eleven Madiosn Park, New York, NY, USA 2023

Jahrelange Aufbauarbeit: Daniel Humm im «Eleven Madison Park» in New York.

Küche Cheval Blanc, Peter Knogl, Chefkoch, 19 GaultMillau-Punkte - Story: Grand Hotel Les Trois Rois, Hotel des Jahres 2019, GaultMillau, Basel 2019 - © Geri Born

«Ich nehme die Leute, wie sie sind»: 19-Punkte-Chef Peter Knogl im «Cheval Blanc» in Basel.

Peter Knogl bleibt ruhig. Beharrlichkeit und Konstanz ist eine Eigenschaft vieler Köche, die auf höchstem Niveau über Jahre arbeiten – wie Peter Knogl im einmaligen Stadthotel Les Trois Rois. Knogls «Cheval Blanc» gehört mit 19 Punkte und drei Sternen zu den besten Adressen des Landes, in internationalen Ratings landet der eigenwillige Bauernsohn aus Bayern regelmässig auf Spitzenplätzen. «Ich nehme die Leute wie sie sind, und versuche ihre Stärken einzusetzen und stelle so meine Brigade zusammen», sagt Knogl über seinen Stil als Chef. Es gebe keine Spitzengastronomie ohne Disziplin, aber er werde dennoch nie laut in der Küche: «Ich bin ganz ruhig, Schreien bringt gar nichts.» 

Team Tanja Grandits at work. - Story: Tanja Grandits, GaultMillau Schweiz, Köchin des Jahres, 19 Punkte, Restaurant Stucki, Basel 2019 - © Lucia Hunziker

«Ich bin gerne Chefin»: 19-Punkte-Köchin Tanja Grandits in der «Stucki»-Küche.

«Cheerleaderin» Tanja Grandits. Die einzige Frau unter den Schweizer 19-Punkte-Chefs hat sich im Basler Restaurant Stucki eine (Arbeits-)Welt nach ihren ganz persönlichen Vorstellungen gebaut und bezeichnet sich selbst als «Cheerleaderin» im Team. Sie sei zuständig für die positive Grundstimmung und Respekt sei ihr oberstes Prinzip. «Ich bin mir sehr bewusst, dass ich allein gar nichts erreichen könnte», sagt die begabte Köchin und erfolgreiche Kochbuchautorin. Mit ihrem Restaurant habe sie sich selbst verwirklicht, deshalb müsse sie sich als Chefin auch nicht verstellen. «Wenn etwas Trauriges passiert, kann ich in der Küche auch mal weinen, auch dafür gibt es Raum.» Grandits ist überzeugt davon, dass Negatives nur Negatives anzieht, «und das hat nichts mit Esoterik zu tun». Wenn es sein muss, scheut sich Tanja Grandits aber auch nicht vor klaren Worten – «ich bin gerne Chefin», sagt sie. Führungsaufgaben nehme sie selber wahr und delegiere sie nicht beispielsweise an Küchenchef Marco Böhler.

Der Caminada-«Spirit». Einen vergleichbaren Ansatz verfolgt Andreas Caminada, der Schweizer Starchef mit den komplexesten Führungsaufgaben. Die Caminada Gruppe sei ein Familienunternehmen, welches mit viel persönlichem Einsatz geführt werde. Am Stammsitz um Schloss Schauenstein in Fürstenau ist ein ganzer Mikrokosmos mit Garten, Rösterei, Bäckerei, verschiedenen Restaurants und Hotelzimmern entstanden, dazu kommen die «Igniv»-Filialen in Bad Ragaz, Bangkok und Zürich – sowie bald in Andermatt. Das könne nur funktionieren, wenn man auf langjährige Mitarbeiter setzt, sagt der 46-jährige Koch und Unternehmer. «Unser Spirit besteht nicht nur aus dem Kochen. Wir wollen mit unseren Restaurants einen Platz der Freude schaffen, der nicht nur den Gästen, sondern auch den Mitarbeitern Spass macht», so Caminada. Wenn man die richtigen Leute auswähle, müsse man sie auch nicht gross coachen. Und wenn es doch etwas zu besprechen gebe, «rufe ich kurz an und bitte den Verantwortlichen vor Ort sich das anzuschauen». Er sei zwar «detailversessen, aber kein Mikromanager, das ist ein grosser Unterschied», sagt Caminada. 

Andreas Caminada, Schloss Schauenstein, Dom Pérignon

«Leader, die Menschen mögen»: Andreas Caminada und Marcel Skibba auf Schloss Schauenstein.

Potenzial des Teams. Seine Aufgabe als Chef sieht Andreas Caminada darin, «Leader auszusuchen, die Menschen gernhaben». Es komme aber natürlich vor, dass die eigenen und die Werte der Mitarbeiter nicht zusammenpassen, «dann muss man sachlich die Konsequenzen ziehen und sich trennen», sagt Caminada und erklärt auch gleich, wie es gelingen kann, die eigenen Köchinnen und Köche täglich zu Höchstleistungen zu motivieren: «Wenn du willst, das die Leute weiterkommen, muss man sie fordern, damit sie etwas noch besser machen. Kritik ist möglich, ohne den andern gleich zu verletzen.» Andreas Caminada will jeden dahin bringen, «dass er sein Potenzial ausschöpfen kann», schliesslich sei das ja sein Team. 

 

Fotos: Thomas Buchwalder, Yè Fan, Tanja Kurt, Digitale Massarbeit, Geri Born, Lucia Hunziker, Nils Hasenau