Interview: Urs Heller
Franz Wiget, Sie haben auf dem GaultMillau-Channel Ihren Rücktritt angekündigt, und wenige Stunden danach waren für die letzten sechs Monate alle Tische weg. Erstaunt?
«Ich bin überwältigt, hätte nie gedacht, dass mein Rücktritt so ein Echo auslöst. Blättere ich im Reservationsbuch, kommt Demut auf. Ich entdeckte Namen von Gästen, die uns die ganzen 35 Jahre hindurch begleitet haben. Diese Treue berührt mich sehr. Auch Kollegen wie André Jaeger oder Peter Knogl haben sich sofort gemeldet, ebenso Köche aus der Region.»
Bei so einem Echo müssten doch eigentlich Zweifel aufkommen. Gehen Sie zu früh in den Ruhestand?
«Ich bin gerührt, aber komischerweise habe ich nicht die geringsten Zweifel. Meine Frau Ruth und ich denken seit zwei Jahren über die Pensionierung nach, und genauso haben wir es uns vorgestellt: Aufhören, wenn es so richtig gut läuft. Ich habe ein Interview mit einer berühmten, 60jährigen Opernsängerin gelesen: Sie will aufhören, weil sie nicht mehr besser wird. Gilt auch für Köche.»
Richtig gute Köche gehen mit einem richtig guten Gericht in die Geschichtsbücher der Kulinarik ein. Bei Ihnen ist es der «Gummelistunggis», Ihr berühmter Kartoffelstock.
«Ich habe einen Gast aus Deutschland, der mich immer als Herr Gummelistunggis begrüsst, und tatsächlich kriege ich diesen Kartoffelstock nicht mehr vor der Karte. Er schmeckt ja auch wirklich gut.»
«Herr Gummelistunggis» greift etwas kurz. Für mich sind Sie der Saucenkönig, wie etwa auch Peter Knogl.
«Wir geben uns auch unglaublich Mühe für unsere Saucen, arbeiten Tag und Nacht daran. Hier machen wir den Unterschied: Grossartige Produkte kann heutzutage auch ein Hobbykoch kaufen. Saucen auf unserem Niveau kriegt man Zuhause nur mit grosser Mühe hin. Ich staune aber über die wunderbaren Produkte, die es etwa in einem guten Coop gibt. Ich musste in meinen ersten Jahren zweimal pro Woche um vier Uhr losfahren, um im Zürcher Grossmarkt einzukaufen und den Meerfisch bei Bianchi selber abzuholen, weil damals kein Lieferant aufs Land hinausfahren wollte und es im Laden nie so eine Auswahl gab.»
Viele junge Köche setzen auf «Alpenküche». Aber wer hat’s erfunden…?
«Danke für die Blumen. Wir haben diesen Begriff tatsächlich vor vielen Jahren geprägt, weil wir in unserer Region Produzenten gesucht und auch gefunden haben: Gitzi aus dem Muotathal, Alpsbrinz von der Alp Chieneren und vieles mehr. Ich habe versucht, auf regionale Produkte zu setzen. Aber ich wollte alles andere nie ausschliessen, schon meinen Saucen zuliebe: Aus Süsswasserfischen kriegt man nie die gleich guten Saucen und Fonds hin, wie sie Meerfische hergeben.»
Sie stehen auch für uralte Schwyzer Gerichte.
«Ich habe in alten Büchern geblättert, mich mit alten Schwyzern unterhalten. Das führt zu spannenden Entdeckungen: Mispeln beispielsweise verwende ich gerne für Desserts. Die vergessene Frucht gefällt mir so gut, dass ich im Garten einen Mispeln-Baum gepflanzt habe.»
Die Liste der klassischen Köche wird immer kleiner. Die jungen Wilden übernehmen. Anlass zur Besorgnis?
«Ich bin ein klarer Verfechter der klassischen französischen Küche. Viele Gäste kommen genau deswegen zu uns und sind begeistert. Mit klassischer Küche ist es wie mit klassischer Musik: Ganz verschwinden wird sie nie, an Wert verlieren auch nicht. Ich war nie einer, der auf Trends aufsprang. Und vieles, was junge Köche leisten, könnte ich gar nicht: Die sind technisch sackstark, machen einen Superjob.»
Ab 1. Juli haben sie plötzlich «gaanz viel Zeit». Ihre Pläne?
«Mir machen alle Angst, fürchten, dass ich dann in ein Loch falle. Das wird nicht der Fall sein: Wir haben den Rücktritt gut vorbereitet. Ich habe eine wunderbare Frau, die mich immer unterstützt. Ich lese viel. Ich will auf dem «Schwyzerörgeli» Fortschritte machen und gehe dafür regelmässig in den Unterricht. Ist der «Adelboden» umgebaut, gehen Ruth und ich auch mal auf Reisen. Weniger nach Asien. Eher in die Bretagne.»
>> Fotos: Thomas Buchwalder, Marcus Gyger, Kurt Reichenbach