Text: David Schnapp

Bei Humm in Manhattan. Daniel Humm empfängt uns in seiner Penthouse-Wohnung an bevorzugter Lage in Manhattan, barfuss in rosafarbenen Nike-Trainerhosen und weissem T-Shirt. Der 46-jährige Schweizer Koch und Restaurantbesitzer hat anstrengende Wochen hinter sich. Das neue Frühlingsmenü in seinem Restaurant Eleven Madison Park wurde soeben lanciert. Und unter dem Label Eleven Madison Home hat er eben ein Abonnement für veganes Essen lanciert: Die Kunden bekommen einmal pro Woche eine Box mit Essen auf Pflanzenbasis für einen Tag. Während Humm an seiner italienischen Espresso-Maschine perfekte Cappuccini zubereitet, beginnt er das vergangene Jahr zusammenzufassen, in dem aus einem der besten Köche der Welt einer der wohl einflussreichsten wurde.

Die nächsten Schritte. Im Sommer 2021 hat Daniel Humm einen Weg eingeschlagen, den vor ihm noch kein Koch aus der globalen Spitzenliga gegangen ist: «Eleven Madison Park» ist das erste Drei-Sterne-Restaurant der Welt, das ein ausschliesslich veganes Menü anbietet. Gleichzeitig hat Humm in Zusammenarbeit mit der Organisation Re-Think ein Mahlzeiten-Programm für bedürftige New Yorker lanciert, und mit seiner kürzlich gegründeten Eleven Madison Stiftung will er das Thema Essen und Ernährung grundsätzlich angehen – mit Aufklärung in Schulen oder mit einem veganen Supermarkt. Nach zwölf Monaten Erfahrung mit Spitzenküche auf Pflanzenbasis und mit neuen Plänen im Ideengepäck ist es ein guter Zeitpunkt für einen Rück- und einen Ausblick.

Erbsen EMP

«Man kann das nun mögen oder nicht mögen»: Erbsen, glasiert mit braunem Reis, Kokosnuss und Nepotella.

Daniel Humm, worüber wollen wir sprechen?
Ich erzähle Ihnen meine ganze Geschichte (lacht).

Lassen Sie mich mal mit einer kleinen These anfangen: Sie beschäftigen sich fast Ihr ganzes Leben mit Essen auf gehobenem Niveau. Nun haben Sie einen Weg gefunden, diese Auseinandersetzung auf der nächsthöheren Ebene fortzusetzen. 
Es ist so: Als ich mit Kochen angefangen habe, bin ich mit der Mentalität eines Athleten an die Sache herangegangen: Wer sind die besten Köche, welche Auszeichnungen kann man erreichen? Ich wollte der Beste sein und diesen Berg erobern. Zwanzig Jahre lang bin ich diesen Weg gegangen, ohne gross darüber nachzudenken. Aber vor drei, vier Jahren begann der Berg in sich zusammenzufallen, denn mein System war auf einer veralteten Idee von Luxus und Fine Dining aufgebaut.

Gab es überhaupt einen Grund für Sie, grundsätzlich darüber nachzudenken – Sie waren ja sehr erfolgreich?
Ich wollte einfach diese Auszeichnungen holen, und wir haben ja auch eine nach der anderen gewonnen. 

Haben Sie überhaupt irgendetwas nicht gewonnen?
Es kommt mir nichts in den Sinn, sonst wäre ich jetzt wohl auch nicht weitergekommen. 2017 wurden wir das beste Restaurant der Welt, aber ich selbst war mit der Küche nicht mehr sehr verbunden. Ich war mehr am Reisen als am Kochen, gab Interviews und stand auf roten Teppichen. Man hat versucht, uns Köche zu Stars zu machen. Ich bin von meiner Art her ein gut angepasster, aber letztlich introvertierter Mensch. Um Erfolg zu haben, soviel hatte ich verstanden, muss man etwas extrovertiert sein. Aber eigentlich würde ich oft am liebsten mit gar niemandem sprechen. 

Da wir hier zu Hause an Ihrem Küchentisch sitzen, erlauben Sie mir ein wenig Küchentisch-Psychologie: Wenn man Sie bei Auftritten beobachtet, wirken Sie immer etwas verlegen, Sie überspielen diese Verlegenheit mit Kichern oder anderen Ablenkungsmanövern.
Mir ist es tatsächlich nie ganz wohl, und eine Folge davon waren damals Panikattacken und eine Depression; mit meinen Geschäftspartnern ging es nicht weiter, weil alle etwas anderes wollten. Und dann kam diese Pandemie, ich habe angefangen, für Bedürftige Essen zuzubereiten und hatte plötzlich wieder diese Verbundenheit mit dem Kochen, die mir zuvor gefehlt hatte. 

Foodtruck EMP

Unterwegs nach Queensbridge: der «Eleven Madison Park» Foodtruck. 

Humm Foodtruck

«Plötzlich wieder diese Verbundenheit»: Humm im Foodtruck, der Essen zu hungernden New Yorkern bringt.

Was hat diese Verbindung wieder hergestellt? Ging es darum, dem Kochen wieder einen höheren Sinn zu geben?

Mit 40 Jahren war ich auf der Spitze des Berges, es gab keinen Award, den ich nicht gewonnen hatte. Aber die Aussicht von der Bergspitze aus war gar nicht so toll, mir hat die Sinnhaftigkeit gefehlt. Es war nicht so erfüllend, zu gewinnen, wie ich mit meiner Sportlermentalität wohl gedacht hatte. Dass es das beste Restaurant der Welt geben soll, ist eigentlich ja ein Witz.

Wie meinen Sie das?

Meine beste Arbeit, was das Kochen angeht, habe ich abgeliefert, als ich viele, viele Jahre lang kaum meine paar Blocks in New York verlassen habe, und sechs Tage pro Woche von morgens acht Uhr bis Mitternacht in der Küche stand. Aber damals wollte niemand etwas von mir wissen. Und dann war ich plötzlich ein Star…

Und dann haben Sie für Leute gekocht, die unter «Food insecurity» leiden, wie das in Amerika heisst.
Als ich mit diesem Projekt angefangen hatte, wusste ich nicht, ob ich «Eleven Madison Park» jemals wieder werde öffnen können. Unsere Miete beträgt 4,5 Millionen Dollar im Jahr, und wir hatten 18 Monate geschlossen. Das war nicht zu finanzieren, wir standen kurz vor dem Bankrott. Das war sehr unangenehm. Anwälte kamen zu mir nach Hause, um zu sehen, was ich hätte verkaufen können, um zu Geld zu kommen. Und ich habe auch einige Dinge verkauft.

Die kamen zu Ihnen in Ihre Privatwohnung?
Ja, klar. Mein Geschäft garantiere ich persönlich, es ist nicht hinter einer Firma versteckt und geschützt. Als ich jung war, ging das gar nicht anders, um Kredite zu bekommen. Aber ich würde das sofort wieder so machen, und auf mich selbst setzen. 

Der Bankrott konnte aber abgewendet werden.
Für mich wäre es auch okay gewesen, wenn wir nicht mehr hätten öffnen können, aber unser Vermieter mag offensichtlich das Restaurant, er fand, diese Stadt brauche dieses Lokal. Man erliess mir die Miete und half mir wieder auf die Beine. Da wusste ich zwar, dass wir weitermachen können, aber es ging dann noch ein Jahr, bis es soweit war.

Daniel Humm/ Eleven Madison park after reopening

«Für mich wäre es auch okay gewesen, wenn wir nicht mehr hätten öffnen können»: das Team im «EMP».

Was haben Sie in der Zeit gemacht?
Ein Jahr lang sass ich praktisch alleine mit dem Laptop an einem Ecktisch im leeren Restaurant und habe angefangen, die Zukunft zu skizzieren. Es war früh klar, dass wir «plant based» kochen werden, etwas anderes kam gar nicht in Frage. Man braucht keinen Uniabschluss, um herauszufinden, dass wir gar keine andere Möglichkeit haben. 

War das nicht unglaublich deprimierend, so ganz allein in diesem unbelebten Raum zu sitzen, der seiner ganzen Magie beraubt worden war?
Es gab Momente, wo ich mich gefühlt habe, als wäre ich im Krieg. Die Stadt war plötzlich gespenstisch still, viele Leute haben New York gelassen, teilweise war kein Mensch, kein Auto mitten am Tag in Manhattan zu sehen. 

Und warum war für Sie so klar, dass nur eine vegane Küche die Zukunft sein kann?
In therapeutischen Sitzungen hatte ich plötzlich diesen klaren Blick, der mir ermöglichte, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Ich hatte dazu die Erfahrung gemacht, dass ich mit meiner Sprache, dem Kochen, etwas bewirken kann. Indem ich Leute, die zu wenig zu essen haben, versorge. Und ich wusste, dass die Welt keine neue Zubereitung von Ente mehr braucht. Das haben wir hundertmal gemacht. Ich will meine Sprache benutzen, um etwas zu verändern.

Ging es bei diesen therapeutischen Erfahrungen um Sie selbst oder um die Zukunft ihres Geschäfts?
In diesem Moment ging es um die Betrachtung der Welt, und wie wir mit Essen umgehen. Diese Idee von Luxus, der auf Kobe-Beef, Kaviar, Hummer basiert, ist nicht mehr zeitgemäss. 

Hat es geholfen, dass Sie durch die erzwungene Corona-Einsamkeit viel mehr bei sich selbst sein konnten, als wenn Sie wie üblich ständig mit Gästen, Medien, Mitarbeitern kommunizieren müssen?
Ganz klar, ja. Wobei mir auch wieder klar wurde, dass die Küche immer noch mein liebster Ort ist. Und ich war viel in diesen Quartieren, in die wir Essen bringen, und habe mit den Leuten gesprochen. Da habe ich auch ein schlechtes Gewissen bekommen, weil mir nach fast zwanzig Jahren in New York nicht bewusst war, was dort wirklich los ist.

EMP Eingang

«Das beste Restaurant der Welt ist ja ein Witz»: der Eingang zum «Eleven Madison Park» in Manhattan.

War es eine einsame Entscheidung, in eine neue Richtung zu gehen?
Normalerweise entscheiden wir viel in der Gruppe mit den Leuten, die schon sehr lange mit mir zusammenarbeiten. Aber hier war es ganz allein meine Entscheidung und niemand, wirklich niemand, hätte mich davon abbringen können. Ich hätte lieber alles verloren, als nochmals zurückzugehen. Es war vielleicht auch eine entscheidende Erfahrung, dass ich tatsächlich alles hätte verlieren können, aber gleichzeitig gemerkt habe, dass alles, was ich besitze, in mir drin ist, und niemand mehr etwas wegnehmen kann. Ein wenig wie die Spinnen der Künstlerin Louise Bourgeois, bei der die wunderschönen und starken Seidennetze allein aus dem Innern der Tiere kommen. 

Konnten Sie Ihre Leute leicht von diesem neuen veganen Kurs überzeugen?
Es war ein Hin und Her und führte laufend zu Diskussionen. Noch kurz vor der Wiedereröffnung kam eine Gruppe von Köche zu mir ins Büro und wollten nochmals alles in Frage stellen. Das hat mich wirklich wütend gemacht. Es war mir unbegreiflich, wie nach einem Jahr Vorbereitung, Forschung und Entwicklung diese Frage noch gestellt werden konnte. Es ging lange, bis alle voll dabei waren. Wir haben im Juni 2021 wieder aufgemacht und im November danach kam der Vorschlag, zu Thanksgiving Truthahn zu servieren. Es war unglaublich! Heute ist es klar, aber es hat ein Jahr gedauert, bis alle verstanden haben, dass es kein Zurück mehr gibt.

Können Sie das, trotz Ihres Ärgers, ein wenig verstehen? Dass jemand, der nicht Ihre Risikobereitschaft und auch Starrköpfigkeit hat, Mühe mit einer so grossen Umstellung hat?
Verstehen kann ich es, aber ich merke dabei auch, dass ich halt wirklich anders funktioniere. Ich verlasse ständig wieder die Monotonie, das zieht sich durch mein ganzes Leben. Es muss weitergehen, sonst wird mir unwohl. In der Einsamkeit fühle ich mich eigentlich ziemlich aufgehoben, auch wenn das zum Problem werden kann. Und mit diesem Schritt in die pflanzenbasierte Küche habe ich vielen meiner Koch-Kollegen und Lieferanten den Rücken zugewandt, und es ist noch einsamer geworden. 

Hat sich in dieser Zeit auch Ihr Blick auf die Menschen verändert?
Es fällt mir manchmal schwer zu verstehen, warum jemand das, was für mich so klar zu sehen ist, nicht erkennen kann. Wenn man sich anschaut, wie Fische oder Geflügel gezüchtet werden – oder dieser ganze Plastik um uns herum –, das ist doch nicht zukunftsfähig. Wir haben im «Eleven Madison Park» jedes Jahr 200'000 Enten und 4000 Rinder für unseren Hauptgang gebraucht. Und wir sind nur ein kleines Restaurant…

Btot Pilzbutter

«Es muss weitergehen»: Brot und Pilzbutter aus dem aktuellen Frühlingsmenü.

Kaviar des Feldes EMP

Vorspeise im «Eleven Madison Park»: junger Salat, Kaviar des Feldes, Meerrettich und Radieschen-Tarte.

Was schliessen Sie daraus?
Zu veganer oder vegetarischer Küche kann man gelangen, weil man mit Zuchtpraktiken nicht einverstanden ist, weil einem die Tiere leidtun, weil einen der Klimawandel besorgt, und man kann über all dies streiten. Aber unbestreitbar ist, dass es nicht genug Tiere und tierische Produkte gibt für alle. 

Ist das gewissermassen der Kern Ihrer neuen Idee vom Essen, dass es nicht genug hat, beziehungsweise, dass es im Umkehrschluss für jeden genug haben müsste?
Ja, genau. Und mir geht es noch um einen anderen Aspekt: Heute entwickeln Forscher und die Lebensmittelindustrie Alternativen zu tierischen Produkten. Aber das kann ja nicht die Zukunft des Essens sein. Es braucht doch Köche, die die Zukunft des Essens gestalten. Sonst werden uns in zwanzig Jahren künstliche Shrimps und Hamburger, künstlicher Schweinebauch, künstliches Hühnchen oder Lammfleisch aufgetischt. All das habe ich schon gesehen. Es gibt sogar verschiedene künstliche Teile vom Thunfisch, fettiger Bauch oder magerer Rücken. Und beworben werden diese Produkte mit etwas, was sie nicht sind: «It’s not meat» oder «it’s not milk».

Was sollte denn Essen in Ihren Augen sein?
Essen muss das sein, was es ist: Ein vollwertiges, ganzheitliches Produkt, dessen Geschichte interessant ist. Man muss sich von der Idee verabschieden, dass es eine Hierarchie der Produkte gibt, dass Steinpilze besser sind als Zwiebeln oder Fleisch besser als Gemüse. Wir müssen beginnen, das alles gleich zu bewerten. Soll ich Ihnen noch einen Kaffee machen?

Ja gerne, einen Flat White, bitte. Aber ich habe einen Einwand: Ist im Kapitalismus nicht das, wovon es weniger hat, automatisch mehr wert?
(Humm bereitet Kaffee zu und schäumt Milch auf.) Das ist schon so, vielleicht stimmt mein Beispiel nicht ganz. Aber Kaviar gibt es mittlerweile so viel wie Zwiebeln, er wird überall gezüchtet. Am Genfersee wurde mir einmal ein absurder Teller serviert: Zitronen von der Amalfi-Küste, Kaisergranat aus Südafrika, Kaviar aus China und dazu noch Seeigel von irgendwo anders her.

Mir scheint, viele Gäste in Schweizer Spitzenrestaurants wollen mittlerweile Produkte und Geschichten aus der Region: Die Kuh, die ein langes Leben auf einem schönen Bauernhof hatte, dann auf der Weide geschossen und deren Fleisch sorgfältig gereift wurde, zum Beispiel.
Diese Geschichte ist schön, aber sie ist eine Illusion. Das ist wie das Bild einer glücklichen Kuh auf einem Bauernhof, welches man auf der Butterverpackung im Supermarkt sehen kann. 

Daniel Humm/ Eleven Madison park after reopening

«Uns sagt die Natur, was wir machen sollen»: Humm mit seinem Küchenchef Dominique Roy (r.) und Entwicklungschef Mike Pyers.

Haben Sie eigentlich eine romantische Beziehung zum Essen, oder haben Sie die Romantik jetzt erst wieder entdeckt?
Wenn man mit Gemüse kocht, muss man viel besser dem Produkt zuhören. Einem Stück Fleisch zwingt man meistens seine eigene Idee auf. Uns sagt die Natur, was wir machen sollen, insofern steckt in dieser Art zu kochen viel mehr Poesie.

Sie haben eine neue Stiftung gegründet und dafür schon mehrere Millionen Dollar gesammelt. Mit welchem Ziel?
Essen ist unsere Sprache, und mit Essen können wir eine Veränderung bewirken – in einem Quartier nach dem anderen. Heute sind wir in Queensbridge im Stadtbezirk Queens und geben 500 Essen am Tag aus, die jeder Gast im «Eleven Madison Park» mitfinanziert. Zusätzlich wollen wir nun mit der neuen Eleven Madison Foundation in Queensbridge einen Supermarkt übernehmen, in den Schulen Aufklärung zum Thema Essen betreiben und einen «Farmer’s Market» aufbauen. Es ist der nächste Schritt, um etwas in Bewegung zu bringen. 

Was genau?
Wenn Sie an den Klimawandel denken, sind alle diese Projekte, die viel gescheitere Leute als ich planen, frühestens in zehn Jahren wirksam: Windräder, Häuserisolation, Elektroautos und vieles mehr. Aber wenn wir morgen beginnen, nur einen oder zwei Tage pro Woche vegan zu essen, kann das die Welt unmittelbar verändern. 

Sie bereiten in Ihrem Restaurant Essen auf höchst kreative Weise zu und entwickeln eine Vision einer pflanzenbasierten Küche. Auf der anderen Seite geht es ja ums nackte Überleben.
Aber es geht weiter als das. Wir können auch jemanden, der wirklich aufs Essen angewiesen ist, etwas mitgeben, weil es eine besondere Kraft hat. Es spielt keine Rolle, ob wir im «Eleven Madison Park» ein Menü servieren oder in Queensbridge jemanden verpflegen. Es geht wie in der Kunst darum, zum Nachdenken anzuregen.

Hat der, der nicht weiss, ob er morgen genug zu essen hat, Zeit, grundsätzlich darüber nachdenken?
Sie wären überrascht! Die Leute, denen wir Essen bringen, schätzen das weit über die eigentliche Verpflegung hinaus und nehmen es viel elementarer wahr, als man vielleicht meint. Gutes Essen hat ja eine grundlegende Wirkung auf den Körper, es verändert die Gedanken, es nährt das Gefühl, ein Mensch zu sein und stärkt die Selbstwahrnehmung. Ich bin überzeugt, dass es den Leuten hilft, bessere Entscheidungen zu treffen.

Sie kochen jetzt ein Jahr auf Pflanzenbasis. Wie lautet das vorläufige Fazit?
In der Kunst bewegen mich Leute, die einen eigenen Weg gegangen sind: Monet, der das Bild schon im 19. Jahrhundert nicht bis zum Ende der Leinwand gemalt hat; die Pioniere der Abstraktion wie Mondrian oder Kandinsky und viele mehr. Dass ich selber in eine vergleichbare Situation gekommen bin, ist für mich immer noch nicht ganz fassbar. Selbst wenn man unbedingt einen eigenen Weg gehen will, ist es noch lange nicht klar, dass es auch möglich ist. Mir ist es einfach in den Schoss gefallen, etwas zum ersten Mal zu machen. Man kann das nun mögen oder nicht mögen, aber man kann nicht bestreiten, dass es so ist. 

Daniel Humm Eleven Madison Park Frühlingsmenü 2022

«Ein eigener Weg»: Hauptgang aus Spargeln, Mais, Kartoffeln und grünen Mandeln im aktuellen Frühlingsmenü.

Daniel Humm Eleven Madison Park Frühlingsmenü 2022

«Ich arbeite kreativ mit Essen»: Dessert aus Erdbeer-, Rosen- und Kirschblüten-Eis.

Sehen Sie sich selbst eigentlich als Künstler?
Ich arbeite kreativ mit Essen. Aber ich weiss gar nicht, ob sich jeder Maler als Künstler sieht. Eigentlich weiss ich gar nicht, was ein Künstler genau ist.

Treffen Sie negative Kritiken überhaupt noch?
Wir wurden viel kritisiert, ich habe sogar Hassbriefe bekommen, aber die Kontroverse ist trotzdem ein gutes Zeichen. Das beweist ja nur, wie gross der Schritt ist, den wir machen. Als das Internet aufkam, hat ein sehr gescheiter, hoch gebildeter Journalist geschrieben, «das Internet ist nicht mehr als eine Faxmaschine». Die Leute, die heute negativ beurteilen, was im «Eleven Madison Park» geschieht, werden in einigen Jahren so falsch liegen wie damals dieser Autor. Auch das ist für mich absolut klar. 

Auch wenn Sie in einigen Jahren immer noch der Einzige sind, der veganes Essen auf Drei-Sterne-Niveau anbietet?
Ich werde nicht der einzige sein. Früher gab es bei meinem Kollegen Thomas Keller im «Per Se» vegetarische Menüs als Alternative. Jetzt gibt es dort vegane Gerichte. Alain Ducasse plant einen vegetarischen Hamburgerstand in Paris, das Essen am diesjährigen Met-Ball in New York war vegan – die Zeichen sind überall.

Befriedigt Sie diese Art von Bestätigung oder ist das nicht mehr wichtig?
Ich habe so viel Freude an der Kreation und am Kochen wie noch nie. Das ist das Wichtigste überhaupt. Natürlich machen wir Fehler – wie überall. Aber unser Team ist eines der besten der Welt. Da steckt so viel Energie drin, wir nehmen nirgends Abkürzungen, gehen den Weg immer bis zum Ende. Wenn das jemand negativ beurteilt, wirkt es fast ein wenig lächerlich. 

Daniel Humm at Eleven Madison Park

«Ich habe so viel Freude am Kochen wie noch nie»: Humm in der «EMP»-Küche.

Gibt es nach einem Jahr Entwicklungen in Ihrer Küche, die Sie mittlerweile korrigiert haben?
Ich habe den Eindruck, wir werden immer freier, und natürlich finde ich, dass wir immer besser werden. Es ist alles eine organische Entwicklung, aber ich sehe nicht, wo wir etwas grundsätzlich falsch gemacht haben. Vor kurzem habe ich mich mit dem Creative Director von Nike über Nachhaltigkeit unterhalten. Nike spricht über dieses Thema nicht gross in der Öffentlichkeit, obwohl das Unternehmen damit sehr weit ist. Aber es ist nicht perfekt, das geht bei dieser Grösse gar nicht. Schon 1986 hat Nike an der Fussball-WM in Mexico T-Shirts aus Recycling-Plastik eingesetzt. Sobald man das aber gross zum Thema macht, kommen die Kritiker und zeigen auf diesen oder jenen Punkt, der noch nicht perfekt ist. 

Welchen Schluss ziehen Sie daraus?
Wollen wir, dass die Hälfte etwas zu 50 Prozent besser macht, oder wollen wir zwei Leute auf der Welt, die perfekt sind?

Und wo stehen Sie?
Sicher ist, dass kaum jemand den Durchhaltewillen hat, den ich aufbringen kann. Wir wurden für die neue Ausrichtung immer wieder kritisiert. Das ist ganz natürlich, und das nehme ich auch gar nicht persönlich. Meine Beziehung ist in den Medien, der Kaufpreis meiner Wohnung, das gehört offenbar dazu. 

Muss man mit dieser Art von Öffentlichkeit einfach leben, wenn man einen Hollywood-Star zur Partnerin hat?
Es gibt wenige Frauen, die überhaupt als Partnerin in Frage kommen, und die mich verstehen können. Das muss ein Mensch sein, der selbst schon einiges erlebt hat. 

Um die Art zu verstehen, wie Sie denken?
Ja, und Demi hilft mir sehr im Umgang mit dieser irritierenden Medien-Wirklichkeit. Jede Woche ruft ein so genannter Investigativ-Journalist an und wirft mir Belästigung vor oder Drogenmissbrauch oder die schlechte Behandlung meiner Angestellten. Bisher hat niemand etwas gefunden. Wir leben in einer Zeit, in der nichts mehr wahr sein muss. 
 

Sie bringen sich eigentlich selbst in Situationen, in denen es Ihnen dann höchst unwohl wird?
Ja, das ist schon so, aber jetzt müssen Sie leider gehen. Ich habe noch einen Termin für ein neues Projekt. Ich möchte ein Kinderkochbuch machen.

 

>> Fotos: Evan Sung, Peter Lueders, HO