Interview: David Schnapp

Tanja Grandits, worüber haben Sie sich dieses Jahr am meisten gefreut?
Dass die Herzoperation meiner Tochter gut verlaufen ist, hat mich am meisten gefreut. Dann haben wir am 1. Juni 2023 mit allen Mitarbeitern ein grosses Fest zum 15-Jahre-Jubiläum gefeiert, das war auch ein Highlight. Einige meiner Leute sind ja auch schon 15 Jahre mit mir im «Stucki». Sie sind entscheidend daran beteiligt, dass ich schon so lange hier bin. Ich habe einen Olivenbaum und einen wunderschönen Ring mit einem grünem Stein geschenkt bekommen, es wurde an verschiedenen Orten gegessen, getanzt und gefeiert – es war ein megaschöner Abend.


Sind Sie nach 15 Jahren im «Stucki» am Ziel Ihrer beruflichen Träume?
Ich denke, ich bin in der Halbzeit. Ich möchte noch 15 Jahre weitermachen. Vor 30 Jahren habe ich meine Lehre angefangen, aber ich bin noch lange nicht am Ende meines Schaffens. Ich spüre weder Müdigkeit, noch leide ich an einem Mangel an Ideen.


Hat sie 2023 etwas wahnsinnig geärgert?
Nein, wenn mich etwas ärgert, verdränge ich das gleich wieder. 

Tanja Grandits mit Tochter Emma und ihrem Pferd Paul sowie Hund Norma auf dem Hof Klosterfiechten. Tanja Grandits, Köchin des Jahres 2019 von Gault & Millau Schweiz, 19 Punkte, fotografiert in Basel im September. Foto Lucia Hunziker

«Multitasking kann ich vielleicht fast zu gut»: Tanja Grandits mit Tochter Emma, Pferd Paul und Hund Norma (2019).

Mutter, Köchin, Chefin, Buchautorin, Pferde-Assistentin – wird Ihnen das nicht manchmal zu viel?
Als im Sommer auch noch das Buch «Einfach Tanja» fertig werden musste, war ich für einen Moment am Limit meiner Kräfte. Aber am Ende ist es ja gut gegangen. Und ich nehme jetzt übrigens auch Reitstunden. Ich möchte verstehen, was meine Tochter als Dressurreiterin eigentlich macht, damit ich nicht immer so ahnungslos danebenstehe, wenn ich sie zu Turnieren begleite. Es ist gut, seine Komfortzone immer wieder mal zu verlassen. 


Können Sie Multitasking?
Ja, zu sehr vielleicht sogar. Wenn ich etwas im Restaurant sehe, während ich eigentlich etwas anderes mache, muss ich das gleich thematisieren. Auch am Pass in der Küche mache ich meistens zwei Sachen gleichzeitig.


Welche Ihrer herausragenden Eigenschaften wird gerne unterschätzt?
Meine Stärke ist, dass ich mich extrem auf Dinge einlassen kann. Ich habe gute Ideen und setzte sie auch um. Schliesslich habe ich die Fähigkeit, die Leute, mein Team und meine Gäste zu inspirieren und zu begeistern. 

Einfach Tanja, Tanja Grandits, Vernissage

Neuer Besteller: Kochbuch «Einfach Tanja» (AT Verlag).

Tanja Grandits

«Inspirieren und begeistern»: Tanja Grandits in ihrem «Stucki».

Fenchel Tanja Grandits

Klare Linie: Amuse Bouche mit Fenchel und Verveine.

Tragen Sie Verantwortung leicht?
Verantwortung hat mich noch nie belastet, das ist schon lange meine Aufgabe: Zuerst für meine Tochter und dann für die 50 Leute, die im «Stucki» arbeiten.


Warum sind Sie eine gute Köchin?
Ich glaube, weil ich ein gutes Gespür habe für Produkte, aber auch für Menschen. Weil ich weiss, was gut schmeckt und was zusammenpasst. Und vor allem, weil ich es immer noch liebe, zu kochen und zu essen. Wenn ich etwas von Grund auf zubereite, merke ich intuitiv, was es noch braucht, um zum Beispiel einer Suppe etwas Besonderes zu verleihen. Ein wacher Geist und Offenheit machen einen guten Koch aus.


Welche Macke muss Ihr Team einfach ertragen, weil Sie die Chefin sind?
Ich bin sehr lärmempfindlich und mahne in der Küche immer wieder zur Ruhe und zur Sorgfalt. Eine zuknallende Ofentür oder zu viel Geschwätz ertrage ich nicht. Und ich sage alles gerade heraus. Ich habe keine Zeit, auf den richtigen Moment zu warten, um etwas loszuwerden. Das müssen die Leute aushalten.

Tanja Grandits feiert Geburtstag 2018

«Verantwortung hat mich noch nie belastet»: das Restaurant Stucki in Basel anlässlich des 10-jährigen Jubiläums von Tanja Grandits 2018.

Für viele junge Frauen sind Sie ein Vorbild. Was können die von Ihnen lernen?
Junge Frauen zweifeln oft an sich selbst, dafür gibt es aber keinen Grund. Man sollte sich selbst vertrauen. Man kann viel erreichen, wenn man an sich glaubt. Und auch wenn man mal scheitert, bricht deswegen nicht die Welt zusammen. Erwachsensein heisst letztlich, dass man Probleme lösen kann und nicht gleich in ein Loch fällt, wenn es mal nicht läuft. 


Welchen Ihrer Fehler sollten hingegen niemand machen?
Für meinen Weg war alles, was ich gemacht habe, am Ende richtig. Das heisst nicht, dass alles gut gelaufen ist. Es gab immer wieder Zeiten, wo es schwierig war. Aber das gehört dazu. 


Welche Frage wird Ihnen oft, Ihren männlichen Kollegen aber nie gestellt?
Wie kriegt man das alles unter einen Hut? Das werden Männer viel weniger gefragt. Ich hoffe, das wird mit der Zeit weniger, wenn die Fragesteller jünger werden.

Im «Stucki» wird seit vielen Jahren ein Aromenmenü serviert. Was ist das eigentlich?
Das Wort «Aroma» habe ich vor zwei, drei Jahren gestrichen. Jetzt ist einfach nur noch unser Menü, und es zeigt immer der Stand der Dinge: Was wir miteinander finden, dass es das Beste für die jeweilige Jahreszeit ist.

 Gebratene Makrele mit Sesamspinat, Sauerampfer und Zimtblüten-Cuacamoleund Delamotte Blanc de Blancs 1999,Foto: Digitale Massarbeit, Tanja und Simon Kurt,

Stand der Dinge: gebratene Makrele mit Sesamspinat, Sauerampfer und Zimtblüten-Cuacamole.

Team Tanja Grandits at work, 19.09.2019. Foto Lucia Hunziker

«Ich bin sehr lärmempfindlich»: Tanja Grandits am Pass in ihrer Küche.

Notizen

«Ich spüre keine Müdigkeit»: Ideen für neue Gerichte.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie Ihre kulinarische Handschrift gefunden hatten, oder sind Sie immer noch auf der Suche?
Im «Stucki» habe ich vor 15 Jahren einen Neustart gemacht. Davor habe ich sehr gewollt viele asiatischen Komponenten eingebaut. Das habe ich reduziert. Heute gibt es auch bloss noch ein Gemüse, eine Farbe und ein prägendes Aroma pro Gericht. Aber man ist nie am Ende, es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Gleichzeitig ist es schön, nicht immer auf der Suche sein zu müssen. Ich habe eine Sicherheit erreicht, die mir ein gutes Gefühl und eine gewisse Zufriedenheit gibt.


2024 wird das «Stucki» renoviert. Was ist genau geplant?
Im Herbst 2024 beginnen wir mit dem Bau unserer Manufaktur, die durch einen Tunnel mit dem Haupthaus verbunden sein wird. Geplant sind eine Schokolade-Werkstatt, die Laden-Produktion, eine Bäckerei sowie eine grosszügige Fläche mit offener Küche, den wir als Kantine und Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter, aber auch für Workshops, Wein-Events und anderes nutzen können. Das verschafft uns gleichzeitig mehr Platz in der Hauptküche, weil das Mitarbeiteressen nicht mehr dort zubereitet werden muss. 


Was bedeutet der Bau für den Restaurant-Betrieb?
Zu Beginn werden wir normal weiterarbeiten, und im Frühjahr 2025 planen wir dann ein Pop-up irgendwo in Basel. Wir sind noch auf der Suche nach dem geeigneten Standort. Der Neubau gibt uns auch die Möglichkeit, im Restaurant alles zu überdenken und Details zu verändern, die im hektischen Alltagsgeschäft untergehen.

Tanja Grandits Stucki

«2023 bin ich mit allen Vorsätzen gescheitert»: Tanja Grandits.

Wenn Sie irgendwo auf der Welt das Restaurant Ihrer Träume planen und bauen dürften: Was würde entstehen?
Ich stehe zu fest auf dem Boden, um solche Traumschlösser zu bauen. Und das «Stucki» ist auch einfach mein perfekter Ort. Das fühlt sich so richtig an, dass es nicht besser sein könnte. Ich liebe ausserdem das Normale, es muss nicht alles besonders schräg oder verkopft sein.


Hatten Sie für 2023 einen Vorsatz, dem Sie tatsächlich nachleben konnten?
Nein, ich bin mit allem gescheitert (lacht laut): Französisch lernen, Klavier spielen oder Computerkenntnisse. Vielleicht sollte es auch einfach nicht sein. Das Jahr war aber auch verrückt: Ich habe das Bundesverdienstkreuz gekriegt, einen Stern im Basler «Walk of Fame» am Spalenberg, bin jetzt Basler Bürgerin mit Schweizer Pass… Es war so viel los, dass für Vorsätze keine Zeit mehr blieb. 


Und für 2024?
Ich habe mir vorgenommen, weniger chaotisch zu sein. Ich bin im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen kein besonders strukturierter Mensch. Ich denke, ich brauche weniger Chaos und mehr strukturierte Klarheit in meinem Leben.

>> Tanja Grandits ist mit 19 GaultMillau-Punkten und zwei Michelin-Sternen die erfolgreichste Köchin der Schweiz. Seit 2008 ist sie für das legendäre «Stucki» in Basel verantwortlich, wo sie neben dem Restaurant auch einen kleinen Laden betreibt und 50 Mitarbeiter beschäftigt. Die zweimalige Köchin des Jahres ist auch eine erfolgreiche Kochbuch-Autorin, zuletzt ist von ihr der Bestseller «Einfach Tanja» mit vegetarischen Rezepten für zu Hause erschienen.

Fotos: Lucia Hunziker, Digitale Massarbeit, Joan Minder, Thomas Buchwalder, HO