Text: Kathia Baltisberger
2020 war ein schwieriges Jahr. Aber man will ja nicht jammern. Was war Ihr persönliches Highlight?
Ehrlich gesagt habe ich sehr viele positive Momente geniessen dürfen. Das Jahr hat mir gezeigt, dass die Gäste hinter mir stehen. Das hat sich vor allem bei unserem Take-away-Geschäft während des Lockdowns gezeigt. Im Sommer war dann auch das Verlangen da, wieder ins Restaurant zu kommen. Wir hatten so viele Westschweizer. Ein Gast hat mir auch mal einen Blumenstrauss gebracht. Der sei dafür, dass wir da sind und ihm so tolles Essen ermöglichen. Für mich ist das selbstverständlich, aber für die Gäste offenbar nicht. Und das sind wirklich schöne Momente. Die Mitarbeiter stehen hinter mir und tragen das Ganze mit. Ich habe noch nie so viele Komplimente bekommen wie dieses Jahr.
Ist das Take-away-Geschäft nicht viel Arbeit für wenig Ertrag?
Ein Gast hat mich überhaupt erst darauf aufmerksam gemacht, das auszuprobieren. Erst dachte ich, nein, das mache ich nicht. Dann überlegte ich nochmal: Vielleicht ist es gut, wenn man trotz allem beim Gast ist und ich sie ab und zu sehe. Im Sommer wollten wir es weiterziehen. Aber die Nachfrage war gar nicht mehr so da. Wenn man nicht eine konstante Menge produzieren kann, ist es einfach ein Chrampf. Aber wenn jemand angefragt hat, haben wir alle Wünsche erfüllt. Im November und Dezember haben wir es wieder eingeführt. Ich wollte einfach zeigen: Wir sind da und machen, was machbar ist.
Was war der beste Gang, den Sie 2020 auf den Tisch gebracht haben?
Wenn ich ein Menü abgeschlossen habe, ist es für mich Geschichte und ich denke nicht mehr darüber nach. Deshalb gibt es bei mir auch wenig Wiederholungen. Ich versuche nach vorne zu schauen. Ich muss den Kopf frei haben für Neues. Auf dem letzten Menü gefiel mir besonders die Mörschwiler Entenbrust. Dazu serviere ich den geschmorten Schenkel, dazu glasierter Rotkabis mit Ribelmais und Kastanie. So ein schönes Stück Fleisch finde ich toll. Und man sieht auch gleich, ob man das Handwerk beherrscht.
Sie haben es offenbar im Griff: Die GaultMillau-Tester verliehen Ihnen den 17. Punkt. Haben Sie damit gerechnet?
Die Punkte sind ja kein Wunschkonzert. Aber ich habe es selber in der Hand, ob die Gäste zufrieden sind. Ich habe immer gedacht, ein Punkt mehr wäre schön. Aber man muss das auch verwalten können. Vor drei Jahren wäre ich noch nicht bereit gewesen. Jetzt bin ich es, und ich sehe mich auch auf dieser Stufe. Der 17. Punkt kam ja im Sommer via GaultMillau-Channel und nicht erst im Herbst mit der Publikation des Guides. Das hat mich schon sehr überrascht. Ein Lieferant hat mir gratuliert und ich habe gar nicht verstanden wozu.
Wie schafft man es, in einem so turbulenten Jahr noch eine Schippe draufzupacken?
Man muss mit sich selber im Reinen sein, objektiv bleiben. Wenn man von den Gästen eine Sicherheit bekommt, ist man auch ruhiger. Aber ich bin ja nicht einfach als Küchenchefin angestellt. Ich bin für den ganzen Betrieb, den Garten, das Restaurant verantwortlich. Ich muss auch schauen, dass es finanziell stimmt, dass ich meine Mitarbeiter fair entlöhnen kann.
Wenn Sie vom finanziellen reden. Machen wir den Kassensturz: Ist die Buchhaltung einigermassen zufrieden?
Ich darf sehr zufrieden sein. Ich bin seit neun Jahren hier. Das Jahr, als ich «Köchin des Jahres» wurde, war ein Ausnahmejahr. Und es kamen immer wieder einschneidende Sachen, die ich immer irgendwie abfedern konnte. Mir zeigt das alles, dass ich in den wichtigen Momenten immer richtig gehandelt habe. Ja, 2020 war ein turbulentes Jahr, aber ich muss wirklich sagen: ein positives Jahr.
In anderen Betrieben sieht es nicht so rosig aus. Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen, von einem guten Jahr zu sprechen?
Mir geht es immer um die Sache, darum, was ich gerne mache. Aber auch um meine Existenz und um die Existenz meiner Mitarbeiter. Dem will ich gerecht werden. Aber durch diese Krise trennt sich halt die Spreu vom Weizen. Corona hat uns aufgerüttelt: Gehen wir mit unserem Essverhalten den richtigen Weg? Wenn ich sehe, dass den Schweizern in so einer Krise das WC-Papier am wichtigsten ist, frage ich mich schon: Habt ihr keine anderen Sorgen? Mir ist Essen wichtiger. Es ist das, was mich auf den Boden holt. Wenn du zufrieden bist mit dir, ehrlich und gerecht gegenüber dem Gast, dann kommt der Gast auch wieder. Die Aussicht, dass ich nicht mehr arbeiten kann, nicht mehr das tun, was ich am liebsten mache, das war für mich schlimmer, als die Aussicht auf mögliche finanzielle Einbussen. Das Herzblut, das kann man nicht kaufen. Und das ist, was es ausmacht. In der heutigen Zeit umso mehr.
Chefinnen wie Sie, Tanja Grandits oder Zineb Hattab sind Vorbilder für angehende Köchinnen. Was ist Ihr Tipp für eine junge Frau, die sich in dieser Männerdomäne behaupten will?
Ich habe die Gastronomie nie als Männerdomäne angeschaut. Ich glaube, es ist wichtig, dass man ehrlich zu sich selber ist und das macht, was einem wichtig ist. Man muss sich nicht gegen Männer querstellen, um sich zu behaupten. Ich wurde von Männern gefördert, sie haben mich und mein Talent gesehen. Die Akzeptanz gegenüber jeder Person ist wichtig. Wenn ich Quoten erfüllen müsste, weiss ich nicht, ob das der Sache dienen würde. Auf der anderen Seite erhalte ich nur wenige Bewerbungen von Männern. Und wenn, bleiben sie nicht so lange. Ich denke, Männer brauchen Gleichgesinnte im Team. Sie sagen das nicht direkt, aber man hört das raus. Ein Angestellter hat mir mal gesagt, er werde nie wieder für eine Frau arbeiten. Offenbar ist das für Männer nicht ganz einfach.
Bei den «Grandes Tables de Suisse» sind Sie und Marie Robert die einzigen Frauen. Sie suchen da auch nicht explizit nach «Gleichgesinnten»?
Genau, ich war sogar lange die einzige Frau. Mir geht es immer um die Sache. Ich verstehe mich hervorragend mit den Berufskollegen und kann mir Rat holen – egal, ob sie männlich oder weiblich sind.
Zum Jahreswechsel nimmt sich jeder etwas vor. Was ist ihr Vorsatz für 2021?
Ich will den Gast zufrieden stellen und schauen, dass es mir gut geht. Ich will zu meinem Körper schauen und mir Zeit für mich rausnehmen. Und ich hoffe, dass Corona nächstes Jahr nicht mehr so überhand nimmt – auch in den Medien. Dass dieses Virus ständig so in der Luft hängt und man nicht weiss, wie es weiter geht, ist für die Psyche enorm schwierig. Und nächstes Jahr habe ich mein 10-jähriges Jubiläum. Mein Wunsch ist, dass ich da etwas auf die Beine stellen kann.
Was machen Sie konkret in Ihrer Freizeit?
Ich bin gerne in der Natur. Ich muss auch nicht weiss ich wohin. Hier in der Region gibt’s so viele schöne Orte. Ich wandere und möchte eigentlich gerne wieder joggen. Eine Zeit lang habe ich auch Yoga gemacht. Mir ist es wichtig, nicht ständig unter Strom zu sein.
Wenn wir wieder reisen können, wohin zieht es Sie?
Reisen brauche ich überhaupt nicht. Nur ins Engadin würde ich diesen Winter gerne noch. Das ist mein drittes Zuhause.
Gibt es Kollegen, die Sie bald wieder besuchen möchten?
Ja, zu Franz Wiget und Arno Sgier möchte ich. Ich schätze ihre Küche und ihre Konzepte sind stimmig. Im Sommer war ich in Crissier bei Franck Giovannini – da würde ich auch jederzeit wieder hin. Und zu Peter Knogl. Die «Klassiker», die interessieren mich.
Was ist bei Ihnen immer im Kühlschrank?
Privat ist mein Kühlschrank leer. Ich esse immer im Betrieb – und falls ich doch mal Hunger habe, ist der Weg in die Restaurant-Küche nicht weit. Dann bin ich froh, wenn es Brot und ein Stück Käse hat.
Gibt es etwas, das Sie gar nicht essen?
Ich esse eigentlich alles. Was ich nicht ganz verstehe, sind diese veganen Ersatzprodukte. Für den Kassensturz habe ich mal einen Tag vegane Burger degustiert. Am Abend war mir richtig elend, das hat mir nicht gutgetan. Ich glaube, es geht mir grundsätzlich gegen den Strich, wenn man etwas auf Hochdruck heranzüchtet: Egal, ob Fleisch, Fisch oder eben solche Ersatzprodukte.
>> Was war, was kommt? Der GaultMillau Channel zieht Bilanz: Mit zehn Starchefs, die in diesem speziellen Jahr mit individuellen, besonderen Herausforderungen konfrontiert waren. Tanja Grandits, Sebastian Zier, Stefan Heilemann, Nenad Mlinarevic, Ivo Adam, Tobias Funke, Laurent Eperon, Bernadette Lisibach, Marco Campanella und Markus Stöckle im sehr persönlichen Chef's Talk.
Fotos: Olivia Pulver, Thomas Buchwalder, René Ruis